Frauenfußball in Deutschland: Kampf gegen den Negativtrend
Das frühe WM-Aus, Defizite in der Bundesliga: Sorgen begleiten den deutschen Frauenfußball. Turbine-Trainer Matthias Rudolph hat eine Idee, wie man wieder in die Erfolgsspur kommen könnte.
Potsdam - Die Fußballerinnen von Turbine Potsdam befinden sich in der Sommerpause 2.0. Nach zwei Wochen Training –vornehmlich im Grundlagenausdauerbereich – und einem Testspiel gegen die Kreisklasse-Männer des FSV Grün-Weiß Niemegk (3:1-Sieg) legt Chefcoach Matthias Rudolph eine Zwischenphase für sein Team ein. Wie traditionell unter seiner Regie absolvieren die Turbinen nun während der Saisonvorbereitung einen kurzen Block mit individuellen Trainingsplänen, ehe ab nächster Woche wieder gemeinsam gearbeitet wird.
Früher als erhofft sind derweil die Spielerinnen der deutschen Nationalmannschaft in ihrer richtigen Sommerpause. Bei der Weltmeisterschaft in Frankreich war für das Team von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg bereits durch eine 1:2-Niederlage gegen Schweden im Viertelfinale Schluss. Acht WM-Teilnahmen haben Deutschlands Frauen bisher bestritten, zum dritten Mal nach 1999 und 2011 wurde der Sprung unter die Top 4 verpasst. Dieses Abschneiden bedarf einer gründlichen Aufarbeitung, sagt Matthias Rudolph im Interview auf rbb24.de. „Man muss schon sagen, dass wir bei der WM eine Mannschaft hatten, die qualitativ eigentlich in das Halbfinale und Finale kommen kann und auch muss“, urteilt der Turbine-Coach. Er hadert vor allem mit dem Verpassen der Olympia-Qualifikation 2020. „Dadurch, dass man in Tokio im nächsten Jahr nicht dabei ist, kann man sich medial schlechter präsentieren. Man hat gesehen, dass das Interesse im Fernsehen bei ARD und ZDF groß war – das hätte dem Frauenfußball auch im nächsten Jahr gut getan.“ Bei den Sommerspielen 2016 in Rio hatten die deutschen Frauen erstmalig Olympiagold geholt.
„Versäumt, in letzten Jahren noch mehr für Frauenfußball zu tun"
Danach begann das Schwächeln der lange Zeit international führenden Frauenfußball-Nation. Die Europameisterschaft 2017 war ein Tiefpunkt. Nach zuvor acht Titelgewinnen und einmal Bronze beim Kontinentalvergleich setzte es das erste Viertelfinal-Aus. Die Misserfolge der Nationalelf stehen offenbar im Zusammenhang mit der Bundesliga, einst als beste Damen-Spielklasse der Welt angesehen. Andere europäische Länder – erst Frankreich, dann besonders England, Spanien und Italien – haben jedoch stark auf- beziehungsweise überholt. In Deutschland habe man es „versäumt, in den letzten Jahren noch mehr für den Frauenfußball zu tun, um der Entwicklung gerecht zu werden und den Vorsprung auch zu halten“, sagt Rudolph. Er kreidet dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) zu wenig finanzielle Unterstützung für die Frauen-Bundesliga an. „In den anderen europäischen Ligen fließt weitaus mehr Geld“, weiß er. Deutsche Top-Kickerinnen zieht es daher vermehrt ins Ausland, weil dort bessere Rahmenbedingungen und höhere Gehälter geboten werden.
Nicht zuletzt weil dort große Männer-Vereine den Frauenfußball vorantreiben. Hierzulande stellen sich diesem Projekt bislang nur der VfL Wolfsburg und FC Bayern München mit großen Investitionssummen. Sie seien der nationalen Konkurrenz wirtschaftlich „um Lichtjahre voraus“, so Rudolph. 2020 schließt sich dann der Deutsche Frauen-Rekordmeister 1. FFC Frankfurt nach zuletzt erfolglosen Jahren dem Herren-Erstligisten Eintracht Frankfurt an, um wieder an der Spitze mitmischen zu können. Verstetigt sich dieser Trend, würde es für Turbine Potsdam als traditionellen Frauenfußballverein noch schwerer werden, oben dran zu bleiben. Schließlich bietet die hiesige Region kein Potenzial der Angliederung an einen starken Männer-Club.
Rudolph plädiert für mehr Startplätze im Europapokal
Beim Vorjahresdritten von der Havel glauben sie dennoch daran, weiter im Konzert der Großen zu spielen. Eine Erhöhung des eigenen finanziellen Volumens sei aber dafür notwendig, mahnt Rudolph an. Zugleich macht er einen Vorschlag, wie der Wettbewerb innerhalb der Bundesliga stärker und die Aussichten auch für seinen Verein wieder besser werden könnten: Der 36-Jährige plädiert dafür, nicht nur den Meister und Vizemeister mit europäischen Startplätzen auszustatten, sondern auch den Dritten oder Vierten – entweder für eine größere Champions League oder einen neu initiierten Wettbewerb. Dadurch würde mehr Geld in die Liga fließen, die Attraktivität und Qualität gesteigert werden. „Bislang hat man bei Vertragsverhandlungen immer das Totschlagargument gegen sich, dass die Spielerinnen international spielen wollen. Das können die Vereine – abgesehen von Wolfsburg und Bayern – unter derzeitigen Umständen nicht bieten.“
Darüber hinaus formuliert Rudolph als Aufgabe für die Vereine und den DFB, den Frauenfußball medial besser zu präsentieren und mittels Aktionen mehr Zuschauer in die Stadien zu locken. Während in England, Spanien oder Italien unlängst Rekorde mit zehntausenden Besuchern aufgestellt wurden, sinkt in der Bundesliga der Schnitt kontinuierlich – auf zuletzt magere 833 Zuschauer pro Partie. Der Turbine-Coach, der in seiner Teamphilosophie selbst stark auf junge Talente setzt, fordert generell auch mehr Engagement im Nachwuchs: „Es muss wieder besser gearbeitet werden, sodass noch mehr Qualität aus den Jugendmannschaften entspringt.“ Vor der Herausforderung der Ausbildung von Spielerinnen wird es für den Verband aber entscheidend sein, diese überhaupt für sich zu gewinnen. Bei den Mädchen bis 16 Jahren registriert der DFB seit 2010 rund acht Prozent weniger Aktive und fast 40 Prozent weniger Mannschaften.