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Karl Lauterbach (SPD).
© Rainer Jensen dpa

Coronakrise in Potsdam: Lauterbach rügt Bergmann-Klinikum

Corona-Ausbruch am Bergmann-Klinikum: Der SPD-Gesundheitsexperte und Epidemiologe Karl Lauterbach sieht „gravierende und unentschuldbare Verfehlungen“ seitens des Klinikums. 

Potsdam - Nach dem Corona-Ausbruch am Potsdamer Klinikum „Ernst von Bergmann“ wächst der politische Druck auf die Interims-Geschäftsführung, die Vorgänge vollständig und schonungslos aufzuklären. Die „Verfehlungen vor Ort“ seien „gravierend und unentschuldbar“, sagte der SPD-Gesundheitsexperte und Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach auf Anfrage des ZDF-Politmagazins „Frontal 21“ im Rahmen einer gemeinsamen Recherche mit den Potsdamer Neuesten Nachrichten. Die bisherige Klinikleitung hatte kurz vor ihrer Beurlaubung durch den Oberbürgermeister am vergangenen Freitag bereits Fehler und Versäumnisse im Umgang mit dem Virusausbruch eingeräumt und Aufklärung zugesagt.

Lauterbach wirft dem Potsdamer Klinikum vor, „offensichtlich die Symptome bei vielen Patienten übersehen“ zu haben. Dabei seien diese mittlerweile „so gut einzugrenzen, dass der Verdacht, dass es sich um Coronapatienten handelt, auf der Hand lag“. Das Klinikum hätte „sehr viel früher mehr Leute testen müssen und hätte, bis das Testergebnis vorliegt, die Betroffenen isolieren müssen“, so der Gesundheitswissenschaftler und Mediziner Lauterbach, der seinen Abschluss in Epidemiologie an der US-Universität Harvard machte. In Potsdam hätten „weder die frühe Testung“ funktioniert, noch „die Isolation während getestet wurde“.

Lauterbach hält das Geschehen im Klinikum für eine "Rarität"

Im Potsdamer Klinikum hatte es vermutlich in der letzten Märzwoche einen Ausbruch des gefährlichen Sars-CoV-2-Virus gegeben. Seit dem 26. März sind im Klinikum 42 Patienten mit oder nach einer Coronainfektion verstorben. Rund 200 Mitarbeitende sind nach jüngsten Angaben des Klinikums mit dem Virus infiziert. Das Interventionsteam des Robert Koch-Instituts, das von Stadt und Land um Amtshilfe gebeten worden war, hatte in seinem Bericht Missstände und Versäumnisse festgestellt. Der Gesundheitsexperte Lauterbach, der angibt, auch derzeit selbst in vielen Kliniken unterwegs zu sein, hält das Geschehen im Potsdamer Klinikum für eine „Rarität“. „Ein so sorgloses Umgehen mit der Erkrankung, dass sich mehr als 100 Mitarbeiter sogar infizieren konnten, das ist schon außergewöhnlich“, sagte Lauterbach gegenüber dem ZDF-Magazin „Frontal 21“. Ein Virusausbruch sei auch in anderen Kliniken nicht auszuschließen, doch dort habe „die Wachsamkeit deutlich zugenommen“.

Auch Hinweise auf ein nicht optimales Meldesystem für positive Coronatests lässt Lauterbach im Fall Potsdam nicht gelten. Eine schnellere Meldung von den Laboren an das Robert Koch-Institut (RKI) wäre wünschenswert, so Lauterbach. Im Potsdamer Klinikum habe das Meldewesen zu der Lage beigetragen, aber „die Verfehlungen vor Ort waren entscheidend“. Die Sendung wird am heutigen Dienstagabend ausgestrahlt.

Staatsanwaltschaft prüft Vorwürfe weiterhin

Ob es sich um strafrechtlich relevante Versäumnisse und Verfehlungen handeln könnte, prüft weiterhin die Potsdamer Staatsanwaltschaft. Es fehlten bislang noch Unterlagen, sagte die Behörde gegenüber „Frontal 21“. Auch gegenüber den PNN bestätigte die Staatsanwaltschaft, dass die Aufnahme von Ermittlungen wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung sowie des Verdachts des Verstoßes gegen das Infektionsschutzgesetz weiterhin geprüft würden.

Seit vergangenen Donnerstag soll bei der Staatsanwaltschaft auch eine Strafanzeige gegen Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert und die Gesundheitsbeigeordnete Brigitte Meier (beide SPD) vorliegen. Er hege den Verdacht des Organisationsverschuldens und den Verdacht auf Verstoß gegen die Garantenstellung teilte der Potsdamer Stadtpolitiker Ingo Charnow mit, der die Strafanzeige nach eigenen Angaben gestellt hat. Er sehe zudem Amtshaftung der politisch Verantwortlichen „in Form eines Amtsdeliktes und die Mitschuld zur fahrlässigen Tötung durch Unterlassen“ im Zusammenhang mit dem Corona-Ausbruch im Klinikum.

Viele Fragen sind weiterhin offen

Angaben dazu, wie viele der infizierten und verstorbenen Patienten zuvor bereits stationär in dem Krankenhaus behandelt wurden, macht das Klinikum nicht. Auch gibt es keine Auskünfte darüber, wie viele Patienten der Geriatrie, die als Epizentrum des Ausbruchs gilt, infiziert wurden und mit oder nach Covid-19-Erkrankung verstorben sind. Die Altersmedizin-Station hat knapp 90 Betten. Die Tochter einer Geriatrie-Patientin aus Potsdam, die mit Covid-Infektion im Klinikum verstorben ist, erhob im Gespräch mit den PNN und „Frontal 21“ schwere Vorwürfe gegen die Klinikleitung. Ihre Mutter habe Vorerkrankungen gehabt, „aber sie hätte nicht sterben müssen“. Sie werfe den Verantwortlichen vor, gegen klare Vorgaben verstoßen zu und die Gefahr unterschätzt zu haben. Die Potsdamerin kündigte an, juristisch gegen das Klinikum vorzugehen. Sie wolle sich der Strafanzeige der Deutschen Stiftung Patientenschutz unter anderem wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung anschließen. „Das bin ich meiner Mutter und den anderen Opfern schuldig“, sagte die Frau, deren Name den PNN bekannt ist.

Die Ursachen für den Corona-Ausbruch im Klinikum suchen derzeit Experten im Referat für Infektionsschutz im Brandenburger Gesundheitsministerium. Dort liege der erste Zwischenbericht des Klinikums zur Analyse des Ausbruchsgeschehens fristgerecht seit Freitagabend vor und werde geprüft, sagte Sprecher Gabriel Hesse auf PNN-Anfrage. Ziel des Ministeriums sei es, das Bergmann-Klinikum so schnell wie möglich wieder ans Netz zu bringen – für das 1100-Betten-Haus herrscht wegen des Virusausbruchs seit dem 1. April ein Aufnahme- und Verlegungsstopp. Für die Wiederinbetriebnahme müsse man wissen, „was zu dem Ausbruchsgeschehen geführt hat“, sagte der Sprecher. Darüber, wie lange die Prüfungen andauern werden, konnte er keine Angaben machen. Das Ministerium stehe jedoch weiter in engem Kontakt zum Potsdamer Gesundheitsamt. Zuvor hatte das Klinikum erst nach mehrfachen Anordnungen sowie einer Zwangsgelddrohung der Stadt und einem Aufsichtsgespräch im Gesundheitsministerium Daten an das Gesundheitsamt übergeben, die die Patientenbewegungen und Arztkontakte ab Mitte März dokumentieren.

Potsdam bleibt brandenburgweit der Corona-Hotspot

Die Stadt Potsdam als alleiniger Gesellschafter des Klinikums, vertreten durch Oberbürgermeister Schubert, sowie der Klinikum-Aufsichtsrat wollen mit einer Untersuchungskommission die Aufklärung des Geschehens vorantreiben. Bislang leitet die ehemalige Brandenburger Gesundheitsministerin Anita Tack (Linke) die Kommission – ein Mediziner soll später mit ihr eine Doppelspitze bilden. Sie suche derzeit noch die weiteren Mitglieder der unabhängig und ehrenamtlich arbeitenden Kommission, sagte Tack am Montag auf PNN-Anfrage.

Potsdam bleibt brandenburgweit der Hotspot mit den meisten Corona-Infektionen. Mehr als 570 Menschen sind in der Landeshauptstadt positiv auf das neuartige Virus getestet worden, gefolgt von Potsdam-Mittelmark mit rund 440 und dem Landkreis Barnim mit knapp 360 gemeldeten Infektionen. Im Barnim sorgt wie in Potsdam ein größerer Corona-Ausbruch in einem Klinikum für einen Anstieg der Infektionszahlen. In der Brandenburgklinik in Bernau sind 72 Patienten und 60 Mitarbeiter infiziert, wie der Landkreis mitteilte. Elf Patienten, die mit Corona infiziert waren, starben. Seinen Ausgang nahm der Corona-Ausbruch in der Neurologie, inzwischen sind unter anderem auch die Kardiologie und die Orthopädie betroffen. Für diese Häuser wurde wie am Potsdamer Bergmann-Klinikum ein Aufnahmestopp verhängt. 

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