Neuer Stadtteil in Potsdam: Krampnitz geht in den Stresstest
Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) lässt die umstrittenen Pläne für das Quartier im Norden von externen Experten prüfen. Damit könnte das Vorhaben noch einmal auf den Kopf gestellt werden. Eine Analyse.
Potsdam - Leben in Potsdams neuem Wohnviertel Krampnitz langfristig nur 7000 oder 9000 Einwohner statt den bisher geplanten 10.000? Muss dort dichter gebaut werden? Wie teuer wird das Ganze langfristig für die Stadt - und wo stecken noch Risiken? Solche Fragen soll nach PNN-Recherchen nun der von Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) verordnete Profi-Stresstest für das zunehmend umstrittene Großprojekt Krampnitz klären - der damit weitreichende Folgen haben könnte, auch für die Mieten im künftigen Quartier. So könnten nun vielleicht doch früher preisgedämpfte Wohnungen vor Ort entstehen. Die PNN geben einen Überblick über den Stand der Planungen.
Wer soll den Stresstest organisieren?
Gesucht wird eine möglichst erfahrene Beratungsfirma. Die entsprechende Ausschreibung dafür hatte Rathauschef Schubert bereits am Mittwochabend im Hauptausschuss der Stadtverordneten angekündigt. Den Kostenrahmen dafür nannte er nicht - allerdings hat Schubert intern bereits klargemacht, dass es besser sei nun ein paar 100.000 Euro für so eine externe Expertise in die Hand zu nehmen als bald mehrstellige Millionen-Investitionen vor unsicherem Hintergrund zu tätigen.
Warum ist der Stresstest nötig?
Weil das Großprojekt und dessen Verantwortliche angesichts der Dauerkritik und einer wachsenden Zahl von Klagedrohungen zunehmend in die Defensive geraten ist. Den Gang vor Gericht angekündigt haben dieses Jahr bereits Anwohner, an deren Immobilien die geplante Tramtrasse nach Krampnitz entlangführen soll. Ferner sammelt der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) im Norden der Stadt aktuell Spenden für seine angedrohte Klage, mit der eine "verträgliche Siedlungsentwicklung" statt ein "neuer großer Stadtteil" erreicht werden soll. In dieser Woche wurde ein weiterer Gegner bekannt: Die Bauernfamilie Ruden will es bei einem geplanten Radschnellweg von Krampnitz über Neu Fahrland in die Innenstadt auf gerichtliche Auseinandersetzungen ankommen lassen, weil der Weg teilweise über ihre eigenen Grundstücke verlaufen soll.
Was soll nun der Stresstest bringen?
Ein umfassendes Lagebild für die zunehmend unter Druck geratenen Projektverantwortlichen. Das Rathaus teilte auf PNN-Anfrage mit, der Stresstest solle wegen der "eingetretenen Veränderungs- und Anpassungsbedarfe sowie der veränderten finanziellen Möglichkeiten des kommunalen Haushalts durch die Corona-Pandemie" durchgeführt werden. In die Betrachtungen sollen "alle entwicklungsbedingten Maßnahmen einschließlich derer der kommunalen Unternehmen sowie die Auswirkungen auf das spätere Mietenniveau einbezogen werden". Es geht also um das Gesamtprojekt. Mit so einem externen Gutachten, so Schuberts Kalkül, könne man mögliche Fehlentwicklungen doch noch korrigieren und auch angesichts der zahlreichen Kritiker wieder glaubwürdiger auftreten. Nach PNN-Informationen ist diese Erkenntnis auch beim Blick auf andere Siedlungsprojekte in Deutschland gereift, die wie zum Beispiel in München mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hatten. In den Blick genommen werden soll demnach auch die gesamte Projektstruktur. So ist grundsätzlich zuständig ein Entwicklungsträger, der eine direkte Tochter der städtischen Bauholding Pro Potsdam ist. Eine Frage ist, ob dort und auch im Rathaus genügend Personal vorhanden ist - oder ob man sich breiter aufstellen müsste? Ebenso soll geprüft werden, was sich Potsdam wegen der sinkenden Landeszuschüsse und Steuereinnahmen überhaupt noch von den bisherigen Planungen leisten kann - und wie.
Welche Probleme gibt es bei der Verkehrsanbindung?
Viele. Und derzeit ist die Entwicklung des Stadtteils auf maximal 5000 Anwohner gedeckelt, sollte die Anbindung über die geplante Straßenbahn zwischen Fahrland und dem Campus Jungfernsee doch nicht kommen. Einmal wollen etwa Anwohner eines erst vor wenigen Jahren genehmigten Mehrfamilienhauses in der Tschudistraße 6 klagen, weil die Tram zu nah an dem Gebäude vorbeifahren und so auch die Immobilie entwertet würde. Ungeklärt ist ebenso, wie man mit einem denkmalgeschützten Chausseehaus auf der Strecke umgehen kann - hier hatte das Landesdenkmalamt bereits Widerstand gegen mögliche Abrisspläne angekündigt. Auch rein finanziell ist bisher viel unklar, gerade die Frage der nötigen Fördermittel des 150-Millionen-Euro-Projekts: Eine verbindliche Zusage dafür hat die Stadt noch nicht. Mit dem "Stresstest" sollen ferner auch die langfristigen Kosten für den Verkehrsbetrieb in den Blick genommen werden, der für die Linie auch neue Straßenbahnen und das nötige Personal stellen muss. Die Zeit drängt: Bereits für den Sommer sollen die Stadtverordneten über ein Finanzierungspaket beraten, in dem die nötigen Busverbindungen für den ersten Krampnitz-Bauabschnitt enthalten sind - aber auch der nachträgliche zweigleisige Ausbau der Tram Richtung Jungfernsee im Bereich der Roten Kasernen an der Nedlitzer Straße.
Welche Probleme gibt es beim Thema Klimaschutz?
Auch hier gibt es Schwierigkeiten mit den Kosten - und mit den Versprechungen aus der Anfangszeit des Projekts, dass Krampnitz ein klimaneutraler Stadtteil werden soll. Daran zweifelt inzwischen nicht nur der BUND, der allerdings eben nun offen opponiert. So haben die Umweltschützer auch Widerspruch gegen die Genehmigung des Blockheizkraftwerks in Krampnitz eingelegt, denn mit dem vorgelegten Energiekonzept könne die avisierte Klimaneutralität nicht erreicht werden. So könne die Wärme vor Ort auch mit völlig normalem Erdgas erzeugt werden, argwöhnt der BUND. Die Stadtwerke versichern hingegen, dass Biogas genutzt werden soll. Zudem setzt man etwa auf den Einsatz von Geothermie, wofür im Sommer Probebohrungen stattfinden sollen. Allerdings gibt es nach PNN-Informationen auch hier grundsätzliche Fragen zu klären: Vor allem, ab wann der Stadtteil groß genug und dicht genug gebaut wäre, damit sich Klimaschutz auch wirtschaftlich gestalten lässt und wie schnell das Ganze entwickelt werden muss, damit die Stadtwerke nicht dauerhaft auf jetzt entstehenden Investitionskosten sitzen bleiben. Unter anderem für ein Niedrigtemperaturnetz zur Wärmeversorgung sind bereits mittlere zweistellige Millionenbeträge eingeplant.
Welche Probleme gibt es beim Thema Mietpreise?
Hier sorgen sich gerade linke Stadtpolitiker, dass Krampnitz in der Anfangszeit vor allem ein Klientel ansprechen könnte, dass auch hochpreisige Wohnungen bezahlen kann. Hintergund ist das Engagement des Konzerns Deutsche Wohnen, der in den nächsten Jahren dort 1800 Wohnungen errichten will - und zwar weitgehend in bestehenden Altkasernen, die dazu denkmalgerecht saniert werden müssen. Dafür kann man aber keine Förderung für sozialen Wohnungsneubau beantragen. Allerdings könnte auch hier im Rahmen des Stresstests noch einmal neu gedacht werden. So teilte das Rathaus den PNN offiziell mit: Bis zum Herbst solle "noch einmal überprüft werden", ob "durch stadträumliche Optimierungsmöglichkeiten frühzeitig preisgedämpfter Wohnraum ermöglicht werden kann, auch im denkmalgeschützten Bereich". So wird nach PNN-Informationen untersucht, ob in den Hinterhöfen der Kasernenbauten neue Gebäude entstehen könnten. Ebenso stellt sich die Frage, wie viele Einwohner prinzipiell in Krampnitz möglich sein sollen, damit sich die Entwicklung auch für die kommunale Pro Potsdam rechnet - bisher ist hier von 10.000 Menschen die Rede.
Wie ist das Projekt in die Schieflage geraten?
Die Probleme für das Großprojekt zeichnen sich schon länger ab. Rückblick: Noch in den 2010ern galt das Kasernengelände als Problemfall, nachdem das Land das Areal zum Sparpreis an ein undurchsichtiges Firmengeflecht veräußert hatte, das sich in der Folge einen juristischen Dauerstreit mit der Stadt lieferte. Dann aber konnten Potsdams früherer Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) und Brandenburgs Ex-Finanzminister Christian Görke (Linke) im März 2017 den überraschenden Durchbruch verkünden: Die Deutsche Wohnen wurde als Käufer von großen Teilen des Geländes sowie als neuer Partner präsentiert. Allerdings zeigte sich in der Folge, dass eben wesentliche Voraussetzungen wie die Tramanbindung längst nicht fertig geplant waren und deswegen erst Jahre später fertig werden als damals erhofft. So war man damals noch von einer Fertigstellung des gesamten Komplexes im Jahr 2030 ausgegangen. Davon ist längst nicht mehr die Rede. Inzwischen soll die Straßenbahn zum Beispiel erst ab 2029 fahren, wenn alles mit dem nötigen Genehmigungsverfahren glatt läuft. Auch hier soll der Stresstest beleuchten, wie Anfangsfehler möglichst noch geheilt werden könnten.
Warum ist der neue Stadtteil Krampnitz nötig?
Einmal soll mit den Wohnungen für später bis zu 10.000 Menschen der angespannte Potsdamer Wohnungsmarkt entlastet werden. Dafür ist Krampnitz das in seiner Größenordnung wichtigste Projekt: Denn laut einer aktuellen Studie der Stadt gibt es noch Bauland für knapp 30.000 weitere Einwohner, davon würden eben 10.000 in den nördlichen Stadtteil passen. Ferner soll der Ballungsraum auch jene Infrastruktur möglich machen, deren Fehlen aktuell noch im Norden vielfach beklagt wird - zum Beispiel ein Hallenbad oder eben die bessere Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr. Ferner hofft man im Rathaus auf Tausende neue Jobs, die vor Ort entstehen könnten - und rechnet so mit bis zu 20 Millionen Euro zusätzlichen Steuereinnahmen pro Jahr. Klar ist aber auch, sollte Krampnitz nur begrenzt auf 5000 Menschen bleiben, müssten die Stadt und ihre kommunalen Unternehmen, die bereits in Vorleistung gehen, mit erheblichen zusätzlichen Belastungen in Millionenhöhe rechnen. Auch hier soll die Untersuchung genauere Zahlen liefern.
Welche Folgen hätte ein Scheitern der Pläne?
Wird Krampnitz tatsächlich deutlich kleiner als gedacht oder deutlich später fertig, hätte das wahrscheinlich stadtweite Auswirkungen. Die Nachfrage nach Wohnungen ist anhaltend hoch. Das könnte die Wohnungssuche weiter erschweren und Mietsteigerungen begünstigen. Gebaut würde zwar trotzdem - nur weniger, an anderen Stellen und weniger konzentriert. Viele kleinere Neubaugebiete würden aber wahrscheinlich zu mehr Verkehr führen und eine schlechtere Klimabilanz haben. Denn für ein paar hundert Bewohner würden Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr und klimaschonende Energieversorgung unerschwinglicher.