Solider Start: 100 Tage Kenia-Koalition in Brandenburg - eine Bilanz
Seit knapp 100 Tagen arbeitet Brandenburgs Kenia-Regierung unter Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). Eine Bilanz.
Potsdam - Die Schonfrist ist vorbei, am Donnerstag ist es soweit: Seit genau 100 Tagen arbeitet dann Brandenburgs Kenia-Koalition aus SPD, CDU und Grünen unter Führung von SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke. Es ist seine dritte Regierung. Das für hiesige Verhältnisse immer noch ungewöhnliche Bündnis, das nach zehn Jahren Rot-Rot ablöste, war in kurzer Zeit nach der Brandenburg-Wahl am 1.September gebildet worden. Diese Allianz mit ihren so unterschiedlichen Polen hat es bisher geschafft, ohne offenen Koalitionskrach, große Pannen und schwere Stockfehler über die Runden zu kommen. Aber wie macht sich Brandenburgs neue Regierung, mit vielen Neulingen im Amt, die weiblichste in der jüngeren Geschichte des Landes, mit einer Mehrheit von sechs Frauen im Kabinett? Ein Überblick.
DIETMAR WOIDKE (SPD), MINISTERPRÄSIDENT
Ein bisschen Glück gehört in der Politik ja manchmal auch dazu. Aber kein Zweifel, Dietmar Woidke, seit 2013 Brandenburgs Ministerpräsident, hat einen Lauf. Die letzte Wahlperiode, während der er die Kreisgebietsreform vergeigte und absagte, ist für ihn abgehakt. Sein Kabinett, mit dem er seit dem 20. November regiert, dürfte – zumindest bisher – noch eins der besten der jüngeren Landesgeschichte sein, besser als die am Ende ausgelaugte rot-rote Vorgängerregierung allemal.
Und Woidke? Mit der Ansiedlungszusage des Elektroautoherstellers Tesla und der Batteriematerialien-Großinvestition der BASF in Schwarzheide kann er schon in der Startbilanz zwei Paukenschläge verbuchen. Er wirkt verbindlicher als früher, hat viele damit überrascht, dass er Brandenburg zum Klimaschutz-Industrie-Vorreiter in Deutschland machen will. In der SPD kann ihm keiner was.
Gerade hat Woidke seine erneute Kandidatur als SPD-Chef angekündigt. Und trotzdem diskutieren Genossen hinter vorgehaltener Hand schon mal, ob der 58-Jährige in dieser Legislaturperiode – rechtzeitig vor der nächsten Wahl 2024 – den Weg für eine Nachfolge freimachen könnte. Er selbst machte bislang nicht mal eine Andeutung, wer ihn irgendwann einmal beerben könnte.
MICHAEL STÜBGEN (CDU), INNERES UND KOMMUNALES
Er kam in den ersten 100 Tagen kaum zum Luftholen: Michael Stübgen, vorher einer der dienstältesten CDU-Bundestagsabgeordneten Deutschlands, übernahm das Ministerium für Inneres und Kommunales. Es stellte sich heraus, dass das vorher von Karl-Heinz Schröter (SPD) geführte Ressort nicht gerade gut aufgestellt war. Im Gegenteil. Kaum war Stübgen da, ging eine Mine nach der anderen hoch, die er entschärfen musste. Da ist die aus Sicht von Datenschützern rechtswidrige Massen-Total-Erfassung von Autos an Autobahnen (Kesy), da war der Verfassungsschutz mit einem veritablen Führungsproblem, da sind weitere Personalien.
Im permanenten, manchmal etwas holprigen Krisenmanagement versucht er, eine Baustelle nach der anderen aufzuräumen. In die Kritik war der Vize-Ministerpräsident auch innerhalb der Koalition geraten, als er dem mit Stimmen der AfD gewählten Thüringer Kurzeit-Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP) gratulierte. Er hat ein doppeltes Problem: Er wird nicht nur von der Opposition, sondern auch von den Konservativen um Saskia Ludwig oder Frank Bommert in der eigenen Partei sehr genau beobachtet.
URSULA NONNEMACHER (GRÜNE), SOZIALES, GESUNDHEIT, INTEGRATION, VERBRAUCHERSCHUTZ
Diese Frau bleibt ein Phänomen. Es ist ein riesiges Ressort, das die Grüne Ursula Nonnemacher führt. Und zwar so, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Die Ärztin, die zuletzt Fraktionschefin der Grünen im Landtag war, sei in den Themen drin, heißt es anerkennend. Und dabei musste sie von Anfang an zeigen, dass sie schwierige Lagen managen kann. Gleich zu Beginn ihrer Amtszeit rückte die Afrikanische Schweinepest immer näher an Brandenburg heran, auch Corona und Vogelpest fordern ihre Aufmerksamkeit.
Der von ihr mit Nachdruck eingeforderte, im Koalitionsvertrag verankerte „Pakt für Pflege“ ist gestartet, aktuell muss sie eine Lösung im Streit um die Approbation deutscher, in Polen ausgebildeter Ärzte suchen. Ihre Vorgängerinnen Diana Golze und Susanna Karawanskij von den Linken hatten es zum Leidwesen ihrer Partei nicht geschafft, sich in dem Hildebrandt-Ressort zu profilieren. Es sieht bisher zumindest so aus, dass Nonnemacher, die auch Stellvertreterin Woidkes ist, dies gelingen könnte.
KATHRIN SCHNEIDER (SPD), STAATSKANZLEI
Sie arbeitet am liebsten im Hintergrund. Öffentliche Auftritte sind ihre Sache eher nicht: Geräuschlos lenkt Kathrin Schneider, die vorher das Infrastrukturministerium geführt hatte, die Regierungszentrale. Schneider habe schnell Tritt gefasst, heißt es. Dass regierungsinterne Abstimmungen bisher ohne Eruptionen laufen, dürfte auch mit ihrem Führungsstil zu tun haben. Jenseits des Alltagsgeschäftes bleibt Schneider, eine Pragmatikerin und Problemlöserin, bislang aber noch ein unbeschriebenes Blatt, was angesichts der AfD-Stärke dringend nötige, mittelfristige politische Strategien für Brandenburg angeht.
KATRIN LANGE (SPD), FINANZEN, EUROPA
Ihre ersten Feuertaufen hat sie bestanden: Katrin Lange, Finanzministerin und engste Vertraute von Woidke, hat den Nachtragshaushalt für 2020 durch das Kabinett gebracht: Mit 13,2 Milliarden Euro gibt das Land so viel aus wie nie, allerdings durch einen tiefen Griff in die Rücklage. Dass der nicht noch tiefer ausfiel, dürfte an der resoluten Prignitzerin gelegen haben. Schon Ende des Jahres hatte sie versucht, Begehrlichkeiten einzudämmen, als der Jahresabschluss 2019 statt Überschüssen wie in den Vorjahren mit weniger Einnahmen als erwartet ausfiel. Finanzministerin Katrin Lange „ist zwar sehr streng, aber gesprächsbereit und zielorientiert“, sagt Innenminister Stübgen über die Kabinettskollegin.
JÖRG STEINBACH (SPD), WIRTSCHAFT, ARBEIT, ENERGIE
Er macht seinem Ruf als Brandenburgs „Mister Tesla“ weiter Ehre. Wirtschaftsminister Jörg Steinbach bestreitet seine Sache gut. Dass er mit Managern umgehen kann, einen Draht findet, war schon vorher bekannt. Bei den Anwohner-Turbulenzen um Tesla in den vergangenen Monaten stellte sich heraus, dass sich Steinbach in seiner offenen, authentischen Art auch in Bürgerversammlungen oder dem Kreistag im direkten Austausch mit Kritikern und Skeptikern der Tesla-Fabrik wacker behauptet, keine Selbstverständlichkeit in diesen aufgewühlten Zeiten.
BRITTA ERNST (SPD), BILDUNG, JUGEND, SPORT
Brandenburgs Bildungsministerin macht so weiter, wie sie in der vergangenen Legislatur aufgehört hat: ruhig, unauffällig, zurückhaltend. Große Fehler sind ihr bislang nicht unterlaufen, der große Wurf war aber auch noch nicht dabei. Ernst arbeitet ab, was ansteht. Bei der Bekämpfung des Lehrermangels beispielsweise stellt sich nun heraus, dass die Qualifizierung von Seiteneinsteigern nicht klappt, das Konzept dringend überarbeitet werden muss. Im Kita-Bereich ist eine Reform überfällig, der Start ist mit einer Auftaktveranstaltung mit allen Akteuren in Potsdam gemacht. Rasch reagierte die Ministerin, als Vorwürfe von Kindesvernachlässigung hochkamen. Zuerst ging es um zwei Jugendheime, dann um ein fünfjähriges Mädchen in Eberswalde. Ernst veranlasste in allen Fällen eine schnelle Prüfung, ohne vorzuverurteilen.
MANJA SCHÜLE (SPD), WISSENSCHAFT, FORSCHUNG, KULTUR
Die Potsdamerin Manja Schüle ist gut in ihren neuen Job gestartet, wirkt deutlich engagierter, empathischer und informierter als ihre Vorgängerin Martina Münch (SPD). Bei den Verhandlungen für den Nachtragshaushalt für 2020 konnte Schüle, mit 43 Jahren die Jüngste im Kabinett, einiges durchsetzen. Insgesamt erhält ihr Ressort rund 17 Millionen Euro und 14 Stellen zusätzlich, unter anderem, um die Lausitz zu stärken und den Wissenschaftsstandort Cottbus-Senftenberg durch Ansiedlung von Forschungsprojekten voranzubringen. Außerdem im Nachtragshaushalt abgebildet: eine Verbesserung des Schutzes jüdischer Einrichtungen und mehr Geld für die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, um Klimaschäden in den historischen Parkanlagen zu beheben. Auch im Potsdamer Streit um einen Synagogenneubau hat die Ministerin schon Position bezogen.
SUSANNE HOFFMANN (CDU), JUSTIZ
Sie kennt das Justizministerium aus früheren Tätigkeiten von innen, gilt als fachlich versiert – aber ist sie auch die richtige auf dem Ministerposten? Wenn man der Einschätzung in Justizkreisen glaubt, ja, aber bislang kam von Hoffmann nicht viel – was auch nicht nötig war, denn, wie von Kenia angekündigt und vorher schon von Rot-Rot angeschoben, wird die unter Personalmangel leidende Justiz in Brandenburg gestärkt und erhält 109 Stellen zusätzlich. Wichtigste Aufgabe für Hoffmann aktuell: Sie muss eine geeignete Nachfolgerin oder einen Nachfolger für ihren eigenen, früheren Posten finden: Die wichtige Stelle des Generalstaatsanwalts ist vakant, nachdem Hoffmann nach nicht einmal eineinhalb Jahren dieses Amt gegen den Ministersessel tauschte.
GUIDO BEERMANN (CDU), INFRASTRUKTUR, LANDESPLANUNG
Er war eine Überraschungspersonalie im neuen Kenia-Kabinett: Guido Beermann, vorher Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, wechselte in Brandenburgs Landesliga: Das von ihm geführte Infrastrukturministerium gilt als Schlüsselressort. Die Erwartungen im Land und das Programm des Koalitionsvertrags haben es in sich: Das Pendlerchaos zu beseitigen, erfordert Zeit und Systematik. In den ersten Monaten trat Beermann vor allem als pragmatischer Fachminister in Erscheinung, auch im Landtag. Größere politische Pflöcke schlug er bisher nicht ein. Wo er eigene Akzente setzen will, auch in Abgrenzung zu seiner Vorgängerin Kathrin Schneider (SPD), lässt er bisher noch offen. Er lege Wert darauf, keine Schnellschüsse zu riskieren, heißt es im Haus.
AXEL VOGEL (GRÜNE), LANDWIRTSCHAFT, UMWELT, KLIMASCHUTZ
Er hat einen soliden Start hingelegt, vom ersten Tag an. Und sein Job macht Axel Vogel, mit dem er seine lange politische Karriere bei den Grünen krönen kann, augenscheinlich Spaß. Selbst das Hardcore-Programm der Grünen Woche scheint Vogel – anders als alle SPD-Vorgänger demonstrativ ohne Alkohol beim Rundgang über die Stände – als grüner Hahn im Korb durchaus genossen zu haben. Als Minister setzte Vogel erste Akzente, etwa mit der Ankündigung eines Gesetzes, um Äcker gegen Spekulation für heimische Landwirte zu sichern. Vor allem aber liegt in seiner Zuständigkeit das politisch brisante Tesla-Genehmigungsverfahren: Das Land kann sich da keinerlei Fehler erlauben. Der vorzeitige Fällbescheid der Umweltbehörde, der erste Test auch für den neuen Minister Vogel, hatte jedenfalls in zwei Gerichtsinstanzen bestand.
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