Interview | Ursula Nonnemacher: "Hier passt die Frau ganz gut zum Ressort"
Brandenburgs grüne Sozialministerin Ursula Nonnemacher über ihre neue Aufgabe, Seuchen, Lunapharm und Pflegeroboter.
Frau Nonnemacher, Sie kennen das aus Ihrer Zeit als Notärztin: Wenn der Pieper geht, müssen Sie los. Und jetzt, frisch im Amt, sind Sie ständig in Alarmbereitschaft wegen der Afrikanischen Schweinepest und der Vogelgrippe. Wie stressig ist das?
Das nimmt vom ersten Tag an tatsächlich sehr viel Aufmerksamkeit und Ressourcen in Anspruch. Schon in der letzten Woche vor der Kabinettsbildung im Herbst wurde mir gesagt: Die Afrikanische Schweinepest nähert sich Brandenburg, da wirst du einiges mit zu tun haben.
Kann man den Ausbruch der Schweinepest aufhalten oder ist es nur eine Frage der Zeit, bis der erste Fall in Brandenburg auftritt?
Das Seuchengeschehen in Polen ist sehr dynamisch. Deshalb finde ich es schon relativ erstaunlich, dass wir bisher – toi, toi, toi – verschont geblieben sind. Das ist sicher auch unserer schnellen Reaktion geschuldet. Aktuell ist im Gespräch, dass das Technische Hilfswerk Polen dabei unterstützt, auch auf der anderen Seite der Grenze mobile Schutzzäune aufzustellen, wie wir das in Brandenburg bereits getan haben. In Sachsen werden solche Barrieren jetzt auch aufgebaut. Aber kurios ist es schon: Während alle über die Schweinepest reden, werden wir quasi von der Geflügelpest überrollt. Am 30. Dezember sind erste Fälle von Vogelgrippe in Ostpolen aufgetreten. Das Virus hat sich dann explosionsartig verbreitet, vermutlich über Zugvögel. In Brandenburg ist bei einem verendeten Wildvogel der Erreger nachgewiesen worden.
Da hilft dann auch kein Zaun.
Nein, den Luftraum können wir nicht abriegeln. Wir hoffen inständig, dass es nicht so schlimm wird wie 2016/2017. Damals mussten in Brandenburg 155 000 Vögel getötet werden, neun Großbetriebe und zwei zoologische Einrichtungen waren betroffen.
Und nun besteht auch noch die Gefahr eines Ausbruchs des Coronavirus. Wie gut ist Brandenburg darauf vorbereitet?
Momentan gibt es keinen Anlass zur Beunruhigung. Das Risiko, sich anzustecken, ist für Brandenburgerinnen und Brandenburger derzeit gering. Wir müssen zwar damit rechnen, dass Einzelfälle aus China nach Deutschland kommen. Für den Ernstfall ist Brandenburg aber gut vorbereitet. Wir haben geeignete Krankenhäuser, in denen solche Patienten isoliert versorgt werden können.
Dass neben Corona auch die Tierseuchenbekämpfung jetzt auf Ihrem Tisch landet, ist dem Umstand geschuldet, dass Ihr Ressort neu zugeschnitten ist. Arbeit ist jetzt beim Wirtschaftsministerium angegliedert, dafür haben Sie den Bereich Verbraucherschutz vom Justizministerium übernommen. Vize-Ministerpräsidentin sind Sie außerdem noch. Sind das nicht zu viele Aufgaben?
Ach wissen Sie, arbeiten bin ich ja gewohnt. Und von der Zahl der Mitarbeitenden ist das Ministerium mittelgroß, wir haben rund 280 Beschäftigte im Stammhaus, aber eben mehrere große nachgeordnete Behörden wie das Landesamt für Soziales und Versorgung in Cottbus mit rund 430 oder das Landesamt für Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit in Potsdam mit rund 330 Beschäftigten. Aber ich muss ehrlich sagen: Ich hätte das Haus lieber im alten Zuschnitt übernommen. Arbeit und Soziales – das gehört für mich zusammen und das ist ja eigentlich auch die Meinung der Sozialdemokratie. Aber das waren eben politische Entscheidungen während der Koalitionsverhandlungen. Auf der anderen Seite: Verbraucherschutz ist ein Ressort, das viele Gestaltungsmöglichkeiten bietet und den Grünen schon nahesteht mit Themen wie Tierschutz, Ernährungsfragen, Lebensmittelsicherheit.
Das Sozialministerium ist bis heute eng mit dem Namen der SPD-Politikerin Regine Hildebrandt verbunden. Ist das für Sie eine Bürde oder eine Herausforderung?
Weder noch. Ich könnte jetzt nicht sagen, dass mich das in irgendeiner Weise beeinflusst, aber ich freue mich, dass das Haus so eine Tradition hat. Regine Hildebrandt war eine herausragende Figur im neu gegründeten Land Brandenburg. Sie war eine sehr energische, soziale Gesundheitspolitikerin. Sie ist zurecht vielen Menschen in guter Erinnerung.
Sie haben auf jeden Fall eines gemeinsam mit Regine Hildebrandt: Sie gelten auch als sehr energisch. Während der Koalitionsverhandlungen hieß es hinter vorgehaltener Hand, Sie könnten manchmal eine ganz schöne Nervensäge sein. Sind Sie eine?
Ich denke, es tut einem Ministerium immer gut eine Führung zu haben, die über Energie und Durchsetzungskraft verfügt. Man muss schließlich bei Verhandlungen sehen, dass man nicht über den Tisch gezogen wird. Und für die Interessen dieses mir nun anvertrauten Ressorts habe ich mich natürlich eingesetzt. Ich bin sehr glücklich, dass ich nun Ministerin dieses Hauses sein kann, als Ärztin hätte ich mir schwer ein anderes vorstellen können. Ich finde, hier passt die Frau ganz gut zum Ressort.
Aber im Landtag waren Sie vor allem in der Innenpolitik zu Hause. Kesy, Rechtsextremismus, Combat 18, NSU. Alles Ihre Themen. Innenministerin wollten Sie trotzdem nicht werden?
Stimmt, ich habe viel Innenpolitik gemacht und die innenpolitischen Themen interessieren mich noch immer sehr. Dass der Innenminister Combat 18 verboten hat, finde ich super, das war überfällig! Wir Grünen sind inzwischen in elf Landesregierungen beteiligt, aber es gibt keinen einzigen grünen Innenminister. Das finde ich schade, da waren wir bisher nicht mutig genug, das anzugehen. Aber in Brandenburg hat sich die Frage, das Innenministerium zu übernehmen, nicht gestellt. Nicht, nachdem wir 25 Jahre gar nicht in der Regierung waren, und nicht in einer Konstellation mit SPD und CDU.
Die Grünen sind der kleinste Partner im Kenia-Bündnis, im Koalitionsvertrag ist die grüne Handschrift aber deutlich zu erkennen, der Vertrag ist zudem sehr detailliert.
Ja, das ist ein absolutes Novum. Was mir aus früheren Zeiten aus diesen Verhandlungsrunden berichtet wurde, sah wohl eher so aus: Da setzen sich zwei, drei Herren mal zusammen und unterhalten sich ein bisschen. Das war nun anders. Schon die Sondierungsgespräche wurden in einer Intensität geführt, wie sie bisher nicht üblich war. Das war phasenweise sehr, sehr anstrengend – aber das ist auch ein neuer Geist der Zusammenarbeit in Brandenburg.
Bei Amtsantritt haben Sie angekündigt, dass Sie sich weiter um die Aufarbeitung des Lunapharm-Skandals um gestohlene Krebsarzneimittel kümmern wollen, der Ihre Vorvorgängerin Diana Golze von den Linken das Ministeramt gekostet hat. Werden die Betroffenen jemals eine Antwort darauf bekommen, ob sie tatsächlich ein wirkungsloses Medikament bekommen haben?
Das wird sich nicht mehr rekonstruieren lassen. Wichtig ist, dass aus dem Fall Konsequenzen gezogen wurden und das ist unter meiner Vorgängerin Susanna Karawanskij schon geschehen. Zum Beispiel sind die Stellen bei der Arzneimittelaufsicht mittlerweile besetzt. Mit Unterstützung anderer Bundesländer arbeiten wir derzeit ganz intensiv an der Ausbildung von Inspektoren. Die Aufsicht über Medizinprodukte und Apotheken wurde getrennt, eine Innenrevision wurde eingerichtet. Und ich bin dabei, „meinen Laden“ kennenzulernen, alle Abteilungen und nachgeordneten Behörden zu besuchen, mehr zu kommunizieren. Das habe ich aus der Lunapharm-Affäre als Schlussfolgerung für mich persönlich gezogen: Man kann in der Hausspitze nicht wie in einem Ufo sitzen, der enge Kontakt mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist wichtig. Bei der Aufarbeitung ist also schon einiges passiert. Trotzdem wird uns Lunapharm noch lange beschäftigen.
Inwiefern?
Die juristische Aufarbeitung ist noch nicht abgeschlossen, da laufen noch mehrere Verfahren. Anfang 2019 wurden der Lunapharm Deutschland GmbH die Erlaubnisse für die Herstellung und den Großhandel von Medikamenten entzogen. Dagegen gab es Widersprüche, die noch in Bearbeitung sind. Hinsichtlich des beim Verwaltungsgericht anhängigen Verfahrens auf vorläufigen Rechtsschutz erwarten wir möglicherweise nächsten Monat eine Entscheidung des Gerichts. Zudem gibt es inzwischen drei Anträge der Lunapharm Deutschland GmbH auf Regress nach dem Staatshaftungsgesetz. Der letzte Antrag ist jetzt erst am 15. Januar 2020 eingegangen. Lunapharm fordert unter anderem wegen des Widerrufs der Herstellungserlaubnis Schadenersatz vom Land.
Andere wichtige Vorhaben blieben dabei offenbar liegen: Der 2018 vom Landtag verabschiedete Aktionsplan, um die Versorgung mit Hebammen zu verbessern, wurde nicht umgesetzt. 2019 sind keinerlei Mittel abgeflossen, weil die notwendigen Voraussetzungen im Ministerium nicht geschaffen wurden. Das muss Sie doch über alle Maßen ärgern.
Das können Sie laut sagen! Ich war sicher, dass das in Arbeit ist – dabei wurde im gesamten Jahr 2019 praktisch nichts gemacht. Darüber war ich „not amused“. Zumal wirklich dringender Handlungsbedarf besteht: Hebammen sind sehr, sehr knapp. Es gibt inzwischen Kliniken, die mehrere Tausend Euro anbieten, wenn sich Hebammen vertraglich für mehrere Jahre an das Krankenhaus binden. Das ist nicht nur ein Problem der Peripherie: Auch in Berlin werden Pflegekräfte per Werbeanzeigen gesucht. Der Konkurrenzkampf um medizinisches Fachpersonal ist deutschlandweit riesig.
Wie wollen Sie sicherstellen, dass beim Pakt für Pflege, der im Koalitionsvertrag verankert ist, nicht Ähnliches passiert wie beim Hebammen-Aktionsplan: Ein schönes Konzept auf dem Papier – aber am Ende passiert nichts?
Da passiert schon was! Wir haben bereits einen Stufenplan bis 2024 erstellt, um die einzelnen Punkte des Pflegepaktes umsetzen. Wir sind ganz schön „busy“. Am Donnerstag übergebe ich einen Förderbescheid für die „Fachstelle Altern und Pflege im Quartier im Land Brandenburg“, die Kommunen bei der Pflege vor Ort unterstützt. Da geht es um kleine Projekte, die viel bewegen können und die ich großartig finde: Alte Menschen gehen zusammen über eine Streuobstwiese, sammeln Obst, machen daraus Most. Das klingt nicht besonders spektakulär, aber die Senioren bewegen sich gemeinsam an der frischen Luft und bei dementen Menschen kann das Erinnerungen wecken.
Trotzdem bleibt für viele Betroffene eine ganz andere Frage: Kann ich mir Pflege im Alter, ein Heim leisten?
Das ist ein sozialpolitisches Megathema auf Bundesebene der nächsten Zeit. Da muss dringend etwas passieren, sonst treiben wir immer mehr Leute in die Grundsicherung. Bislang ist der Anteil der Menschen in Brandenburg, die „Hilfe zur Pflege“ beziehen müssen, noch überschaubar. 2018 erhielten 7261 Menschen in Brandenburg diese Sozialleistung.
Aber das können deutlich mehr werden.
Ja, Altersarmut wird zunehmen, wenn Menschen mit gebrochenen Erwerbsbiografien und langer Arbeitslosigkeit ins Seniorenalter kommen. Gleichzeitig steigt der Eigenanteil für vollstationäre Pflege stetig, teils werden da bis zu 2000 Euro im Monat für Pflege im Heim fällig. Das hängt damit zusammen, dass die Bezahlung von Pflegekräften deutlich angehoben wurde – zurecht. Pflege muss besser bezahlt werden. Das Problem: Die Leistungen der Pflegeversicherung sind gedeckelt, steigende Kosten werden auf den Eigenanteil der Pflegebedürftigen oder ihrer Angehörigen draufgeschlagen. Es müsste andersherum sein: Zusatzkosten gehen zu Lasten der Pflegeversicherung und der Eigenanteil der Pflegebedürftigen ist gedeckelt.
Was halten Sie eigentlich vom Einsatz von Pflegerobotern?
Ethisch ein sehr schwieriges Thema. Ich will mich nicht komplett gegen den Einsatz künstlicher Intelligenz in der Pflege verwahren: Bei Arbeiten, die körperlich sehr anstrengend sind, etwa dem Bewegen gelähmter, schwergewichtiger Menschen, kann der Einsatz von Technik helfen. Aber ansonsten bin ich da sehr skeptisch. Ich war vor kurzem im Berliner Zukunftsmuseum Futurium. Dort wurde eine kleine Stofftierrobbe präsentiert, die sich bewegte und Laute von sich gab, wenn man sie streichelte – gedacht für demente, bettlägrige Patienten. Menschliche Zuwendung kann man doch nicht durch quiekende Stofftiere ersetzen!
Was Brandenburg gerade auch sehr beschäftigt, ist der Fall des vernachlässigten fünfjährigen Mädchens in Eberswalde. Bei den U-Untersuchungen beim Kinderarzt war es nicht, wie nun herauskam. Sollten diese Vorsorgeuntersuchungen in Brandenburg verpflichtend sein?
Es ist eine Illusion zu glauben, dass man dadurch Fälle von Kindesmisshandlung verhindern könnte. Das 2008 in Brandenburg eingeführte Einladungssystem, bei dem Eltern mehrfach schriftlich an die Untersuchungen ihrer Kinder erinnert werden, hat sich bewährt, die Teilnahmezahlen sind gestiegen. Das halte ich für den besseren Weg. Die Familien sollen ein Vertrauensverhältnis zum Arzt aufbauen – und das erreicht man nicht, in dem man die Kinder mit der Polizei zum Kinderarzt schleppt. Zudem: Auch ein Kind, das bei der U-Untersuchung vorgestellt worden ist, kann drei Wochen später Opfer einer Misshandlung werden.
Sie waren viele Jahre in der Falkenseer Stadtverordnetenversammlung. Dort wurden nun im Dezember mit den Stimmen der Grünen die Pläne für ein Hallenbad gestoppt – weil die Klimabilanz nicht stimmen würde. Dabei wünschen sich Senioren das Bad, Kinder sollen dort schwimmen lernen. Was sagt die grüne Sozialministerin aus Falkensee: Wurde hier Klimaschutz der Vorrang vor Sozialem gegeben?
Das wäre zu verkürzt dargestellt, die seit Jahren laufende Debatte über das Bad in Falkensee ist viel komplexer. Ich hatte auch Zweifel an den Planungen. Aber eine klare Mehrheit der Bevölkerung hat sich – in Kenntnis dessen, dass das Bad ökologische Nachteile hätte und stark zuschussbedürftig wäre - für den Bau ausgesprochen. So ein Bad ist auch eine Form von Daseinsvorsorge.
Wie hätten Sie gestimmt, wenn Sie im Dezember noch in der SVV gewesen wären?
Das ist jetzt eine hypothetische Frage. Aber ich kann Ihnen sagen: Bei der letzten Abstimmung, bei der ich noch dabei war, habe ich für das Bad votiert.
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