zum Hauptinhalt
Liebesgrüße aus Moskau? Das war einmal. 2018 begrüßte Wladimir Putin Angela Merkel mit Blumen.
© REUTERS

Außenbeauftragter Borrell zu Gast in Russland: Wird der Annäherungsversuch der EU zur „Mission Impossible“?

Die EU sucht die strategische Kooperation mit Russlands Präsident Putin. Doch der Fall Nawalny erschwert den Dialog über Klimapolitik und Abrüstung.

Gutes Timing ist in der Diplomatie der halbe Weg zum Erfolg. Schlechtes Timing kann eine Gelegenheit zur „Mission Impossible“ machen. Der dreitägige Besuch des EU-Außenbeauftragten Josip Borrell in Moskau wird wegen der jüngsten Ereignisse nach anderen Maßstäben beurteilt als bei der Planung vor vielen Wochen. Erlaubt der Kreml eine Begegnung mit Alexej Nawalny?

Die russische Justiz hat den Oppositionellen - nach der Vergiftung mit dem Nervengift Nowitschok, wochenlangem Koma in der Charite und einem Fitnesstraining im Schwarzwald - unter fragwürdigen Vorwänden zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, als er nach Moskau zurückkam. Die EU-Kommission und viele nationale Regierungen fordern Nawalnys Freilassung. Der Druck, die Sanktionen gegen Russland zu verschärfen und die Pipeline Nord Stream 2 zu stoppen, nimmt zu.

Diese Dynamik liegt quer zur ursprünglichen Absicht von Borrells Reise. Er soll sondieren, in welchen Feldern die EU und Russland beiderseits Interesse an Kooperation haben, ungeachtet der Meinungsverschiedenheiten. Das reicht von der Wiederbelebung des Atomdeals mit dem Iran über Klimapolitik und Regeln für den Cyberwar bis zur Terrorabwehr. Alles Themen von großer Reichweite.

Wie sollen die EU und Borrell diese gegenläufigen Interessen gegeneinander abwägen? Wie können sie klare Kante in Sachen Nawalny und generell bei Demokratie und Menschenrechten zeigen, wovon ja auch die Glaubwürdigkeit in Wertefragen abhängt, und zugleich in den strategisch wichtigen Fragen vorankommen?

Putin empfängt Borrell erst gar nicht

Russland zeigt keine Absicht, der EU beim Management der Widersprüche zu helfen. Präsident Wladimir Putin werde Borrell nicht empfangen, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Donnerstag. Parallel zur Pressekonferenz Borrells mit Außenminister Primakow steht Nawalny heute erneut vor Gericht.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell ist drei Tage in Russland zu Gast.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell ist drei Tage in Russland zu Gast.
© John Thys/dpa

Man messe dem Besuch große Bedeutung bei, weil sich die Beziehungen zwischen der EU und Russland „in einem eingefrorenen Zustand“ befinden, betonte Peskow. Russland sei aber nicht Urheber der Eiszeit. Zuvor hatte er erklärt, wenn Borrell mit einer scharfen Erklärung zum Fall Nawalny anreise, werde Außenminister Sergej Lawrow ebenso scharf antworten.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Wie soll Borrell mit dieser Ansage umgehen? Ist es klug, die Frage, ob er mit Nawalny sprechen kann, zu einem Bewertungskriterium für Erfolg oder Misserfolg zu machen? Abrüstung, Klimapolitik, Terrorabwehr, verdeckte Cyberangriffe auf Datenbanken, Krankenhäuser und Infrastruktur, Energieversorgung sowie der Umgang mit der Opposition sind unterschiedliche Bereiche einer komplexen Beziehung. Sie haben nicht direkt miteinander zu tun, auch wenn sie alle zum Gesamtbild beitragen.

Präsident Biden muss sein Telefonat mit Putin rechtfertigen

Westliche Öffentlichkeiten tun sich weit schwerer mit der Gleichzeitigkeit von scharfem Konflikt bei manchen Themen und Kooperation bei anderen. Autoritäre Staaten, die zudem den Nachrichtenfluss lenken können, fällt es leicht, die Widersprüche auszublenden.

Als der neue US-Präsident Joe Biden und Putin vor einer guten Woche den „New Start“-Vertrag, das letzte große atomare Abrüstungsabkommen, kurz vor dem Auslaufen verlängerten, stand Biden unter Druck in den USA. Er musste erklären, wieso er trotz der Verhaftung Nawalnys und russischer Versuche, Wahlen in den USA zu beeinflussen, mit Putin verhandele. Und versichern, dass er die Streitfragen gegenüber Putin angesprochen habe. In der russischen Darstellung kamen sie nicht vor.

Der letzte EU-Russland-Gipfel liegt fast neun Jahre zurück. Wie kommt man wieder ins Gespräch?
Der letzte EU-Russland-Gipfel liegt fast neun Jahre zurück. Wie kommt man wieder ins Gespräch?
© AFP

Es gibt keine vernünftige Alternative zu Realpolitik und Doppelstrategie, das erkennen westliche Regierungen und Organisationen durchaus an. Die EU nennt China einen Partner und zugleich einen systemischen Rivalen. Die Nato definiert ihr Verhältnis zu Russland als Abschreckung plus Dialogbereitschaft.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron setzte sein ambivalentes Verhältnis zu Donald Trump in Bilder. Beim Besuch im Weißen Haus umarmte er ihn, denn jeder Präsident der USA ist in vielen Fragen ein Verbündeter. Bei seiner Rede im Kongress übte Macron harte Kritik an Trump.

Was hat ein Stop von Nord Stream mit Nawalny zu tun?

Die Interessen der EU, ihrer Staaten und ihrer Bürger gebieten es, zu beidem zugleich fähig zu sein: Zusammenarbeit wo möglich und klare Abgrenzung wo nötig. Ob Nord Stream 2 mehr Schaden oder mehr Nutzen bringt, hängt nicht davon ab, wie Putin die Opposition behandelt. Das Pro und Contra des Atomdeals mit dem Iran steht in keinem Kausalverhältnis zumUmfang deutsch-russischer Gasgeschäfte oder innerrussischer Machtkämpfe.

Die EU und Borrell müssen sich freilich überlegen, was sie tun können, um nicht als Papiertiger wahrgenommen zu werden, sondern als Global Player mit Druckmöglichkeiten. Die Reduzierung russischer Deviseneinnahmen, etwa aus Gasgeschäften, ist da gewiss wirkungsvoller als die Verweigerung von Gesprächen über den Atomdeal oder Klimapolitik, sofern Borrell nicht mit Nawalny sprechen darf. Öffentlich ansprechen muss er den Konflikt freilich schon, auch in Moskau.

Nach Ansicht der St. Petersburger Europa-Expertin Tatjana Romanowa werden die Gespräche nicht zu einem Tauwetter führen. „Zum einen gibt es weder für die Europäische Union noch für Russland, eine existenzielle Notwendigkeit zur Zusammenarbeit“, schrieb sie auf der Webseite der Zeitung „Kommersant“. Vielmehr hätten sich beide Seiten in der Konfrontation eingerichtet.

Zudem existierten die fundamentalen Probleme, die 2014 in die Konfrontation geführt haben, nach wie vor. Zudem seien sowohl Brüssel als auch Moskau überzeugt, dass die Zeit für sie arbeite. Moskau glaube, dass die Position des Westens immer schwächer werde. „Brüssel ist überzeugt, das die sozialen Probleme und die Alterung der politischen Klasse zu Veränderungen in Russland führen“, meint Romanowa.

Zur Startseite