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Annäherung ohne Wandel. China ist Deutschland größter Handelspartner geworden. Und die EU der größte Handelspartner Chinas.
© DPA

EU-China-Gipfel: Darüber klagen deutsche Firmen

Gute Geschäfte in China? Das war einmal. Unter Präsident Xi häufen sich die Beschwerden deutscher Unternehmer. Europas Wirtschaft fordert einen Kurswechsel.

Es gibt sie weiterhin: die „Zurückhaltenden“ unter den in China tätigen deutschen Firmen. Auch sie haben ihre Erfahrungen mit den Grenzen unternehmerischer Freiheit. Im Großen und Ganzen aber sind sie zufrieden. „Der chinesische Markt ist weiterhin attraktiv und wichtig, laute Kritik an Peking wird hier mit Vorsicht gesehen“, schildert Friedolin Strack die Haltung dieser Gruppe vor dem EU-China-Gipfel an diesem Montag. Er ist der Asien-Experte beim Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).

Vor fünf Jahren bildeten die Zufriedenen die Mehrheit unter den in China tätigen deutschen Firmen, sagt Strack. Diese Mehrheit bröckelt. Den „Mainstream“ und dessen Erfahrungen beschreibt er so: Ausländische Firmen werden in China aus Prinzip nicht gleichbehandelt. Sie dürfen zwar Betriebe und Start-ups gründen, aber de facto bleibt China einer der geschlossensten Märkte des Globus.

In vielen Bereichen bestehe der Zwang, ein Joint-Venture mit einem chinesischen Mehrheitspartner zu gründen. Sensible Branchen wie die Raumfahrt bleiben Ausländern versperrt. In der Luftfahrt ist die eng begrenzte Zulassung für Airbus die Ausnahme. Die digitalen Plattformen schottet Peking ab. Im Finanzsektor ist kein freies Investment möglich.

Ein Handelsvertrag soll fairen Wettbewerb sichern

Für das Direktkundengeschäft erhalten Ausländer keine Lizenz. Bei öffentlichen Aufträgen, zum Beispiel Schnellzügen, bekommen chinesische Firmen den Zuschlag, europäische Konzerne wie Siemens und Alstom sind chancenlos. Ähnliches gilt für Krankenhausausstattung und Medizintechnik. Die Zentralregierung in Peking und die Provinzregierungen haben zudem zahlreiche Mittel, um nationale Firmen vor ausländischer Konkurrenz zu schützen, etwa durch die Entscheidung, bei wem und wie streng Umweltauflagen kontrolliert werden.

Strategische Partner oder Rivalen? Der chinesische Präsident Xi Jinping und Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Strategische Partner oder Rivalen? Der chinesische Präsident Xi Jinping und Bundeskanzlerin Angela Merkel.
© REUTERS

Deshalb erwartet ein Großteil der deutschen Wirtschaft von der Bundesregierung und der EU, dass sie Druck auf Peking ausüben, die offenen wie die verdeckten Benachteiligungen zu beenden. Erst wenn Marktzugang und Chancengleichheit vertraglich festgeschrieben sind und durchgesetzt werden, könne man von einem fairen und „level playing field“, also gleichen Wettbewerbsbedingungen sprechen. Doch die 2013 begonnenen Verhandlungen über ein Investitionsabkommen der EU mit China gestalten sich schwierig.

Kam die neue China-Strategie zu spät?

Kommt der Ruf nach einer robusteren Vertretung der deutschen und der europäischen Forderungen nach reziprokem Marktzugang nicht reichlich spät? Warum hat der BDI erst 2019 ein Strategiepapier veröffentlicht, in dem er China nicht mehr nur einen Partner nennt, sondern einen „systemischen Wettbewerber“? Es zeichnet sich seit längerem ab, dass sich die Hoffnungen auf eine Öffnung Chinas nach der Devise „Wandel durch Annäherung“ nicht erfüllen.

Strack widerspricht. In Xi Jinpings ersten Amtsjahren habe man durchaus noch darauf setzen können, dass China sich zumindest wirtschaftlich sukzessive öffnet und liberalisiert. Seit dem Parteikongress 2017 sei jedoch klar, dass sich China unter Xi Jinping nicht weiter in Richtung Marktwirtschaft und Offenheit entwickeln würde, sondern auf sein eigenes, staatswirtschaftlich getriebenes Modell setzt. Darauf habe Deutschland und habe die EU relativ rasch reagiert und zum Beispiel die Anti-Dumping-Regeln angepasst.

Ein Geflecht aus Regierung, Verwaltung und Staatsbetrieben

Es gibt eine dritte Gruppe unter den deutschen Firmen in China, sagt Strack. Sie artikuliert ihre Kritik an Hemmnissen grundsätzlicher, auch gegenüber der chinesischen Regierung. Die Firmen kritisieren das Geflecht aus Partei, Verwaltung, Zentral- und Provinzregierung, Staatsbetrieben und chinesischen Privatunternehmern. Diese können ihre Beziehungen spielen lassen, wenn ein ausländisches Unternehmen zu einer Konkurrenz wird, die ihren Interessen schadet.

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Es hänge jetzt von Peking ab und seiner Bereitschaft, auf Beschwerden einzugehen, ob diese Gruppe in der Zukunft weiter wachse, heißt es beim BDI. Die strukturelle Benachteiligung sinke erst, wenn China sich zu echten Reformen entschließe, die Staatsbetriebe und die Staatsbanken umfassend reformiere und privatisiere und so einen freien Wettbewerb ermögliche. Die Festschreibung von Fairness in einem Vertrag reiche dieser Gruppe nicht, sie verlange Fairness in der Praxis. Ähnlich argumentieren die US-Regierung unter Donald Trump, aber auch Japan und Australien.

In manchen Bereichen wird es liberaler, auch aus Eigeninteresse

Strack sieht freilich auch Bewegung in China. Die Führung sehe es als Problem an, dass die chinesische Wirtschaft in einigen Feldern nicht international konkurrenzfähig sei. Um den Druck auf die eigenen Unternehmen zu erhöhen, gebe sie ausländischen Firmen mitunter mehr Freiheit. Einige Beispiele für Lockerungen: BMW darf Alleineigentümer einer Fabrik für E-Autos werden; BASF darf eine Großinvestition ohne chinesischen Partner tätigen; Allianz erhält eine landesweite Konzession.

Die Forderung der US-Regierung unter Donald Trump nach einem „Decoupling“ von China, einer gezielten Reduzierung der wirtschaftlichen Verflechtung, liegt aus Sicht des BDI nicht im deutschen Interesse. Nach China gingen 2019 noch über sieben Prozent der deutschen Ausfuhren.

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Stärkeren Druck aus Brüssel und Berlin, um ein faires Investitionsabkommen zu erreichen, würde der BDI hingegen begrüßen. Peking hatte zunächst den Verhandlungen mit den USA Priorität gegeben; das hat sich nach Analyse des BDI aber geändert. Nun verhandele China mit der EU ernsthafter als mit den USA. Eine Einigung 2021 sei nicht sicher, aber möglich.

China kann sich seiner Attraktivität nicht mehr sicher sein

Und China kann sich seiner Attraktivität nicht mehr so sicher sein. Die eigenen Schulden sind stark gestiegen. Peking kann in der Coronakrise nicht mit der gleichen Power Konjunkturprogramme auflegen wie 2008 in der globalen Finanzkrise. Partnerstaaten der Neuen Seidenstraße, der Belt&Road-Initiative, machen gemischte Erfahrungen. Vielerorts ist die China-Euphorie in Enttäuschung umgeschlagen.

Europaweit wird die Kritik an China lauter. Business Europe, ein Zusammenschluss von 37 Wirtschaftsverbänden, verlangt von der EU, die „systemischen Herausforderungen“ anzugehen. In dieser Situation kann die EU zum Anker einer neuen, pragmatischeren Chinapolitik werden. Sofern der Wille da ist, sich klar zu positionieren.

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