Krieg im Jemen: "Wir müssen das Überleben von Millionen Jemeniten sichern"
Christof Johnen vom Deutschen Roten Kreuz über die Not im arabischen Bürgerkriegsland, die Bedeutung der Friedensgespräche und politische Hilflosigkeit.
Herr Johnen, Krieg, Seuchen und Hunger – ist der Jemen überhaupt noch zu retten?
Ob der Jemen als staatliches Gebilde Bestand haben wird, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass dort mehr als 29 Millionen Menschen leben. Und die müssen gerettet werden. Das ist, was zählt.
Aber gerade im Jemen müssen Hilfsorganisationen wie das Deutsche Rote Kreuz einen Mehrfrontenkampf führen: während ständiger Gefechte zugleich gegen Krankheiten vorgehen, Nahrungsmittel verteilen und die Menschen mit Medikamenten versorgen. Wie ist das zu schaffen?
Im Zentrum steht ganz klar die humanitäre Nothilfe. Und das nicht erst seit gestern. Das DRK kooperiert schon mehr als zehn Jahre mit dem Jemenitischen Roten Halbmond, der traditionell sehr eng mit den Gemeinden zusammenarbeitet. Zwei Elementen kommt dabei nach wie vor eine besondere Rolle zu.
Welche sind das?
Gesundheit und Ernährungssicherung. Anfangs waren das zumeist langfristig ausgelegte Projekte. Solche also, die Selbsthilfekapazitäten der Bevölkerung stärken sollen. Doch nachdem die Lage derart eskalierte, wurde daraus fast ausschließlich Nothilfe.
Allerdings ermutigen wir den Jemenitischen Roten Halbmond, wenn möglich an langfristigen Vorhaben festzuhalten. Denn irgendwann wird auch dieser Konflikt enden. Dann gibt es eine Grundlage, auf der man wortwörtlich aufbauen kann.
Davon ist der Jemen weit entfernt, oder?
Keine Frage, gegenwärtig ist der Bedarf an Hilfe um ein Vielfaches höher als die zur Verfügung stehenden Ressourcen. Der Zugang zu den Menschen in Not ist immer noch extrem eingeschränkt. Und nicht zuletzt gefährlich, vor allem für die Helfer. Deren Leben ist oftmals bedroht.
Seit 2015 sind bereits 14 Helferinnen und Helfer des Roten Kreuzes und Roten Halbmondes bei Einsätzen getötet worden. Von der körperlichen und seelischen Erschöpfung einmal ganz abgesehen. In den letzten Monaten des vergangenen Jahres hatten wir die große Sorge, dass die Abwärtsspirale des Leids und des Elends kaum noch aufzuhalten sein wird. Nun gibt es eine ganz vorsichtige Zuversicht.
Worauf gründet die?
Die Konfliktparteien reden inzwischen zumindest miteinander. In Stockholm haben Regierungsvertreter und Gesandte der gegnerischen Huthi-Milizen unter Vermittlung der UN vereinbart, Gefangene freizulassen. Das ist eine humanitäre Geste, ein möglicherweise erster kleiner Schritt in Richtung Frieden.
Aber was nutzt das den Bedürftigen im Jemen?
Das ist eine vertrauensbildende Maßnahme. Und der extrem schwierige Zugang zu den Notleidenden hat eben sehr viel mit Misstrauen zu tun. Insofern hoffen wir, dass sich diese Vereinbarung positiv auf unsere Arbeit auswirkt.
Die Situation in der umkämpften Stadt Houdeida – die meisten Hilfslieferungen werden über den dortigen Hafen abgewickelt – hat sich wenigstens nicht verschlechtert. Aber richtig ist auch: Es gibt keinen Grund für Euphorie. Der Jemen ist sehr, sehr weit von einer irgendwie gearteten Normalität entfernt.
Das heißt?
Es fehlt an allem. Weniger als 50 Prozent der Gesundheitseinrichtungen funktionieren überhaupt noch. Jobs sind Mangelware, Gehälter werden nicht mehr ausgezahlt. Die Wirtschaft liegt am Boden. Der Hunger ist allgegenwärtig. Das alles kann humanitäre Hilfe allein nicht kompensieren. Sie muss in erster Linie das Überleben der Menschen sichern. Deshalb ist ein politischer Prozess so wichtig.
Der Jemen gilt schon lange als Armenhaus der arabischen Welt. Wie soll das Land unter den herrschenden Bedingungen in absehbarer Zeit ohne Nothilfe auskommen können?
Wenn es keine Kampfhandlungen mehr gibt, also Zivilisten und zivile Einrichtungen nicht mehr angegriffen werden, dann ist die Lage zwar längst noch nicht gut. Aber es wird dann immerhin möglich sein, wichtige Waren einfacher ins Land zu bringen. Die Menschen könnten wieder arbeiten gehen, ein soziales Leben führen. Sie hätten damit eine Perspektive. Allerdings birgt dies auch eine Gefahr.
Welche?
Der Jemen könnte wieder in Vergessenheit geraten. Dies war schon häufiger der Fall. Die entscheidende Frage lautet deshalb: Wird das Land nach einem Frieden langfristig und nachhaltig unterstützt? Wenn das nicht der Fall ist, gibt es nur eine kurze Atempause. Es ist an der Politik, dies zu verhindern.
Fühlen sich die Hilfsorganisationen zuweilen überfordert?
Die humanitäre Hilfe als solche ist nicht überfordert. Der humanitären Hilfe wird allerdings eine Menge aufgebürdet. Sie soll häufig als Ersatz herhalten für fehlendes frühzeitiges politisches Handeln. Im Jemen ist die Situation vor aller Augen eskaliert - und humanitäre Hilfe soll offenkundige politische Hilflosigkeit übertünchen.
Wo steht der Jemen in einem Jahr?
Puh. Ich hoffe, am Anfang eines Prozesses, der Lebensgrundlagen wiederherstellt und den Menschen Perspektiven gibt. Dann wäre schon viel erreicht.
Das Gespräch führte Christian Böhme.