Geschäftsführerin von Save the Children: „Im Jemen ist nichts vor Angriffen sicher“
Susanna Krüger von Save the Children über das Grauen des Krieges im Jemen, Nothilfe für 20 Millionen bedürftige Menschen – und geschädigte Kinderseelen.
Frau Krüger, Sie waren vor Kurzem im Jemen. Dort herrscht nach übereinstimmender Auffassung die größte humanitäre Krise. Was unterscheidet den dortigen Konflikt von anderen?
Es kümmert niemanden. Was dort passiert, passiert eben. Das ist die gängige Haltung.
Woran liegt das?
Das hat mehrere Gründe. Einer der wichtigsten: Es gibt keine Flüchtlingsströme, die für den Westen von Relevanz sind. Die Menschen kommen einfach nicht raus. Hinzu kommt, dass die Lage im Jemen völlig undurchschaubar ist. Da geht es eben nicht nur um einen Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und Iran. Vielmehr kämpfen Interessensgruppen wie die Huthis im Norden gegen die Regierung, im Süden drängen Separatisten auf ein eigenes Territorium. Stammeskonflikte und Warlords spielen ebenfalls eine große Rolle. Das hat auch auf unsere Arbeit erheblichen Einfluss.
Inwiefern?
Wenn man von der Hauptstadt Sanaa zum Hafen in Hudaida will, müssen mindestens zwei Dutzend Kontrollposten passiert werden. An jedem Checkpoint werden die Helfer aufgefordert, Wegezoll für einen der Clanchefs zu zahlen. Überhaupt ist die ganze Krise im Jemen menschengemacht. Auslöser ist nicht etwa eine Dürre oder eine Naturkatastrophe, sondern der millionenfache Hunger wird von Menschen verursacht. Im Jemen kommt alles zusammen, soziale, wirtschaftliche und politische Faktoren - was es für uns so schwierig macht zu helfen. Und heikel. Damit wir Zugang zu den ärmsten Kindern bekommen, müssen wir ja auch mit jenen kooperieren, die mit ihrem Handeln unsere Arbeit erschweren.
Zugang zu den Bedürftigen ist die größte Herausforderung für Hilfsorganisationen wie Save the Children?
Auf jeden Fall! Die Sicherheit ist auch ein riesiges Problem. Und nicht zu vergessen die Schwierigkeit, Hilfsgüter überhaupt ins Land zu bekommen. Vieles läuft über den Hafen Hudaida. Und wenn der wegen anhaltender Gefechte zwischen der saudischen Militärallianz und den Aufständischen Huthis zugemacht wird, dann weiß ich wirklich nicht, was das für die Versorgung der Menschen bedeutet. 70 Prozent der Lieferungen werden über Hudaida abgewickelt. Zwei Drittel der Bevölkerung – das sind 20 Millionen Menschen – benötigen dringend Nothilfe! Ganz davon abgesehen, dass die Zerstörungen erhebliche Folgen haben.
Was meinen Sie damit?
Durch die Bombardements ist die Infrastruktur weitgehend vernichtet worden. Stromleitungen, Wasserwerke, Brücken, Krankenhäuser, Schulen – nichts ist vor den Angriffen sicher. Vor allem das Gesundheitssystem ist völlig zusammengebrochen. Kinder- und Müttersterblichkeit sind deshalb sehr hoch.
Was benötigten die Jemeniten momentan am dringendsten?
Lebensmittel, um den Hunger zu bekämpfen. Das hat im Alltag sicherlich Priorität. Aber ich schaue gerne noch ein wenig weiter. Im Jemen funktioniert einfach nichts mehr. Es gibt keine Arbeit, Schulen und Krankenhäuser haben ihren Betrieb eingestellt. Bis das alles wiederaufgebaut ist, vergehen Jahrzehnte. Das ist dramatisch, vor allem für die Kinder. Verheerend wirkt sich dabei in erster Linie aus, dass es für Mädchen und Jungen keine Bildung mehr gibt. Und dann ist da noch der toxische Stress, dem die Kinder ausgesetzt sind. Das heißt, ihre Seelen sind geschädigt. Sie sind depressiv, leiden unter Schlafmangel, neigen zu Aggressivität.
Was kann dagegen getan werden?
Wir betreiben zum Beispiel sogenannte kinderfreundliche Zonen. Dort können sich die Mädchen und Jungen ein paar Stunden am Tag erholen. Und wir organisieren Lernzentren. Da geht es um Schulbildung für Kinder, die sogenannte Binnenflüchtlinge sind, also ihr Zuhause verloren haben und in Zelten leben. Diese Lernzentren kommen Tausenden zugute. Und die Kinder freuen sich riesig, dass sie wenigstens sechs Stunden täglich Unterricht bekommen. Denn das sind auch sechs Stunden ohne Krieg und somit ein Hoffnungszeichen.
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