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Linken-Bundesgeschäftsführer Harald Wolf beim Tagesspiegel-Interview.
© Mike Wolff

Linken-Parteimanager Harald Wolf: "Wir lösen unsere Konflikte nicht über Parteiausschlüsse"

Linken-Bundesgeschäftsführer Wolf sagt: "Es gibt wieder Turbulenzen bei uns." Ein Gespräch über Migration, Antisemitismus und Sahra Wagenknecht.

Herr Wolf, sind Sie erleichtert, wenn Union und SPD jetzt im Bund eine Wiederauflage der großen Koalition zimmern?

Nein, von Erleichterung kann keine Rede sein. Als erstes müssen wir abwarten, ob diese Koalition überhaupt zu Stande kommt. Die Widersprüche sind sehr groß. Die SPD muss, um auf dem Parteitag eine Mehrheit zu bekommen, versuchen, möglichst viel durchzusetzen. Auf der anderen Seite wird von den Unternehmerverbänden und dem Wirtschaftsflügel dagegengehalten werden. So wie die SPD aufgestellt ist, habe ich große Skepsis, dass das Ergebnis für die Masse der Lohnabhängigen und die prekär Beschäftigten gut sein wird.

Die Frage ist doch, ob die Linke Neuwahlen jetzt nicht fürchten muss. Ihre Partei ist gerade alles andere als gut aufgestellt, die Funktionäre streiten sich seit Wochen wie die Kesselflicker. Können Sie das als Bundesgeschäftsführer einfangen?

Es gibt gegenwärtig wieder Turbulenzen bei uns. Aber das gilt nicht für die Masse der Mitgliedschaft. Die macht eine gute Arbeit vor Ort, ist aktiv. Wir haben in diesem Jahr 8000 neue Mitglieder gewonnen. Es muss darum gehen, die Diskussionen inhaltlich in einem strukturierten Verfahren zu klären, durch online-Diskussionen, Regionalkonferenzen, Fachtagungen vor unserem Bundesparteitag im Juni in Leipzig: beispielsweise die Frage Flucht und Migration, das Problem, dass wir im Osten im ländlichen Raum Wählerinnen und Wähler verloren haben. Mein Interesse ist, diese Debatte von der personellen Ebene zu entfernen, und auf eine sachlich-inhaltliche zu heben. So wird sich die Partei dann auch inhaltlich weiterentwickeln.

Sie sprechen vom Streit über inhaltliche Fragen. Dennoch: Es gibt ein tief sitzendes Misstrauen zwischen einzelnen Akteuren, etwa der Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht und Parteichefin Katja Kipping. Sind Sie nun Schlichter oder Schiedsrichter?

Ich sehe mich nicht als Schiedsrichter. Meine Rolle ist, die Diskussionen mit zu organisieren, und zwar mit der gesamten Partei. Diese Diskussionen müssen wir auch öffnen gegenüber gesellschaftlichen Akteuren. Wenn es über das Thema Flucht, Migration und Einwanderung geht, müssen wir uns auch beraten und mit Organisationen wie Pro Asyl, Migrantenverbänden et cetera diskutieren. Das kann zu einer Versachlichung der Diskussion beitragen.

Sind Sie für die sogenannte Arbeitsmigration, also Zuwanderung von Fachkräften über das politische Asyl hinaus?

Diese Möglichkeit gibt es ja prinzipiell schon - wenn auch sehr eingeschränkt. Ich bin dafür, dass es außerhalb des Asyls legale Zugangswege gibt. Wir haben Menschen, die Klimaflüchtlinge sind, Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen nach Europa kommen wollen, und ihre Zahl wird zunehmen. Das Problem werden wir nicht mit Abschottung lösen und auch nicht mit schmutzigen Deals mit Ländern wie Libyen oder der Türkei. Mir gefällt hier der Vorschlag von Gesine Schwan. Sie will, dass die Kommunen in Europa, die bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen, aus europäischen Fonds gefördert werden. Diese Städte sollen so etwas tun können nicht nur für die Flüchtlinge, sondern auch für die Infrastruktur ihrer Städte. Das heißt, dass Migration nicht mehr nur als Belastung gesehen wird, sondern auch als Chance.

Wer Sahra Wagenknecht zuhört, bekommt das Gefühl, sie setzt eher auf Abschottung.

Ich glaube nicht, dass es auf einem Parteitag eine Mehrheit für eine solche Position gibt. Aber ich würde mir wünschen, dass diejenigen, die für eine Begrenzung der Zuwanderung eintreten, einmal ihre Position konkret formulieren, wie diese Begrenzung konkret aussehen soll.

Haben Sie einen direkten Zugang zu Sahra Wagenknecht?

Ja, selbstverständlich. Ich hatte, nachdem ich das Amt des Bundesgeschäftsführers kommissarisch übernommen habe, relativ schnell ein Gespräch mit ihr und ihrem Ko-Chef Dietmar Bartsch.

Linkspartei-Funktionäre Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine 2011 auf einem Landesparteitag in Saarbrücken.
Linkspartei-Funktionäre Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine 2011 auf einem Landesparteitag in Saarbrücken.
© Thomas Wieck/dapd

Sahra Wagenknecht und auch ihr Ehemann, Ex-Parteichef Oskar Lafontaine, profilieren sich mehr und mehr als Anwälte derjenigen, die Ängste vor Flüchtlingen haben. Was entgegnen Sie?

Diese Ängste existieren, sie werden auch von mir und von anderen in der Partei nicht geleugnet. Die Frage ist: Was ist die Antwort darauf? Die Antwort kann nicht Abschottung und der Versuch, den deutschen Arbeitsmarkt vor Migration zu schützen, sein. Die Antwort muss sein, den Ursachen der Ängste nachzugehen: zum Beispiel, dass in vielen Gemeinden seit langem der Busverkehr eingestellt wurde, dass die Infrastruktur nicht mehr funktioniert. Das Problem ist, dass für die abgehängten Regionen nichts getan wurde, dass sie allein gelassen wurden. Das führt zu einer Stimmung nach dem Motto: Seit langem hat man sich nicht mehr um uns gekümmert und jetzt kommen die Flüchtlinge und für die wird etwas getan.

Die Linke hat bei der Bundestagswahl besonders viel im Osten verloren, auch bei Arbeitern und Arbeitslosen, aber in den urbanen Milieus zugelegt. Wie gehen Sie damit um?

Zunächst muss ich relativieren: Wir haben bei den Angehörigen der Pflegeberufe steigenden Zuspruch, weil wir deren drängende Probleme klar benannt haben. Es gibt also Angehörige einer neuen Arbeiterschaft im urbanen Milieu, die wir durchaus erreichen. Richtig ist, dass wir in Ostdeutschland in ländlichen Regionen weniger gute Ergebnisse hatten. Das hat mit der Präsenz der Partei zu tun, auch mit einer gewissen Überalterung der Mitgliedschaft. Und damit, dass es in diesen Bereichen eine tiefe Frustration gibt. Genau darum müssen wir uns kümmern. Notwendig ist eine neue politische Offensive für Ostdeutschland und die strukturschwachen Regionen.

Viele Menschen, die AfD gewählt haben, behaupten, sie hätten dies aus Protest getan. Ist die Linkspartei überhaupt noch ansprechbar für Protestwähler, will sie die AfD-Wähler zurückgewinnen?

Bei Wählern, die für die AfD gestimmt haben, damit sich die Bundesregierung oder „die anderen“ ärgern, also aus Protest und nicht einer gefestigten rechten Haltung heraus, gibt es Chancen, sie zurückzugewinnen. Aber unsere Rolle kann nicht die einer reinen Protestpartei sein, wir müssen auch konkrete Vorschläge machen und Lösungen anbieten.

Neu aufgeflammt ist in den vergangenen Wochen auch die Debatte über Antisemitismus in der Linkspartei. Der Bundestagsabgeordnete Diether Dehm hat vor Jahren einmal gesagt, der Begriff Antisemitismus werde inflationiert, er solle dem Massenmord vorbehalten bleiben. Können Sie das unterschreiben?

Ich hätte das so nie formuliert. Er hat ja dann noch mal versucht, das zu erklären…

Das macht ja Diether Dehm immer so, oder?

Das macht er häufig, das ist richtig. Das Problem mit Diether Dehm ist – das ist meine Kritik, das ist auch die Kritik des Parteivorstandes -, dass die nötige Trennschärfe fehlt zu Akteuren, die versuchen, zwischen rechten und linken Positionen zu verwischen. Und auch zu Leuten, die eine undifferenzierte Haltung zum Konflikt Israel/Palästina einnehmen. Das ist eine Diskussion, die wir seit langem innerhalb der Partei haben.

Trotzdem haben Katja Kipping und ihr Ko-Chef Bernd Riexinger namens des Parteivorstandes nun Dehm gegen den Vorwurf des Antisemitismus in Schutz genommen. Warum?

Sie haben ihn in Schutz genommen gegen den Vorwurf in einem Zeitungskommentar. Dort hieß es, dass Dehm keinen Antisemitismus erkennen würde, wenn in Deutschland wieder "Judensterne" eingeführt würden und auch der Bau von  Konzentrationslagern bei ihm keinen "einschlägigen Verdacht" erwecken würden. Eine solche Kritik an Diether Dehm schießt weit über das Ziel hinaus. Ich habe viel Kritik am Agieren von Dieter Dehm, aber Kritik muss treffend sein. Und die Deutungshoheit über Antisemitismus, oder den Anspruch definieren zu wollen, was Antisemitismus ist, hat Diether Dehm natürlich nicht.

Kundgebung für "Meinungsfreiheit" am vergangenen Donnerstag vor dem Kino Babylon in Berlin. Auch der Linken-Politiker Wolfgang Gehrcke trat dort auf.
Kundgebung für "Meinungsfreiheit" am vergangenen Donnerstag vor dem Kino Babylon in Berlin. Auch der Linken-Politiker Wolfgang Gehrcke trat dort auf.
© imago/IPON

Dehm war mit der von ihm mitbegründeten Firma Weltnetz TV und dem Musik-Verlags Musikant Sponsor der hoch umstrittenen und letztlich geplatzten Preisverleihung an den Veschwörungstheoretiker und ehemaligen RBB-Moderator Ken Jebsen im Kino Babylon. Hat so etwas Konsequenzen, gerade nach dem Parteivorstandsbeschluss „Klare Kante gegen Querfront“?

Diese Veranstaltung war mehr als skurril und politisch absolut grenzwertig. Ich habe vollständiges Unverständnis, wie man eine solche Veranstaltung unterstützen und sponsern kann.

Der langjährige Linken-Fraktionsvize Wolfgang Gehrcke sprach vor dem Babylon-Kino auf einer Kundgebung, bei der später Evelyn Hecht-Galinski das Verbrennen von Fahnen mit Davidstern verteidigte. Warum bekommt die Linke das seit Jahren nicht hin, einen sauberen Trennstrich zu solchen Akteuren zu ziehen?

Katja Kipping hat klar erklärt, dass es vor dem Hintergrund des Holocaust und der Shoa völlig inakzeptabel ist, wenn in Deutschland Fahnen mit dem Davidstern verbrannt werden. Das kann ich nur unterstreichen. Der Parteivorstand hat sehr klar Position bezogen. Allerdings sind wir aufgrund auch der historischen Erfahrungen keine Partei, die politische Konflikte und Themen administrativ oder über Ausschlüsse löst.

Harald Wolf (61) wurde im November 2017 nach dem Rücktritt von Matthias Höhn zum kommissarischen Bundesgeschäftsführer der Linkspartei ernannt. Ob der frühere Berliner Wirtschaftssenator sich auf dem Bundesparteitag im Juni 2018 in Leipzig offiziell für das Amt des Parteimanagers bewirbt, ist offen. Das Gespräch führte Matthias Meisner.

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