Ziel von 30 Millionen Impfungen erreichbar: Wie Scholz und Lauterbach im Bayern-Trainer einen Verbündeten finden
Die letzten Wochen haben zu Konflikten über Ungeimpfte geführt. Nun ändern viele ihre Meinung, der Impfturbo zündet – und der Kanzler will Gräben zuschütten.
Olaf Scholz hat bisher nur seine Blumensträuße von der Kanzlerwahl und der Amtsübergabe im 140 Quadratmeter großen Büro stehen, ansonsten hat er hat keine Zeit, sich einzurichten. Wer nun auch täglich in das Kanzleramt kommt, ist General Carsten Breuer, der Leiter des neuen Impf-Krisenstabs.
Als ersten Erfolg hat er im Zusammenspiel mit dem Gesundheitsministerium drei Millionen zusätzliche Impfdosen von Biontech organisiert, die andere EU-Staaten aktuell nicht benötigen. Sie werden nun den Ländern für die Impfzentren ausgeliefert.
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Richtige Weihnachtsferien wird es in der Regierungszentrale nicht geben. Scholz ist bemüht, die Pandemie ein für allemal in den Griff zu bekommen. In seinem Umfeld wird mit großer Erleichterung zur Kenntnis genommen, dass sich nun doch auch der an einer nicht milde verlaufenden Corona-Infektion erkrankte Bayern-Spieler Joshua Kimmich impfen lassen will – gerade solche Impfvorbilder werden als Multiplikatoren gebraucht.
Theoretisch könnte sich Kimmich sogar vom neuen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) impfen lassen, der selbst schon im Impfzentrum Leverkusen mitgeimpft hat. Der lässt derzeit im Zusammenspiel mit General Breuer prüfen, welche Impfdosen wo gelagert werden, welche Verträge zum Kauf weiterer Dosen bereits geschlossen wurden, wie es mit Lieferungen für Januar aussieht und welche bilateralen Verträge noch geschlossen werden können.
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So wie US-Präsident Joe Biden nach seiner Amtseinführung 100 Millionen Impfungen in den ersten 100 Tagen versprochen hatte, sind es bei Scholz 30 Millionen Impfungen bis Weihnachten, wobei das Gesundheitsministerium nun vom Jahresende spricht. Als Ausgangspunkt wird der 18. November gewählt, der Tag an dem Bund und Länder eine Booster-Offensive beschlossen hatten.
Noch rund elf Millionen Impfungen fehlen
„Wir haben uns vorgenommen, bis Jahresende 30 Millionen Menschen zu boostern. Das wird nicht am Impfstoff scheitern“, hat Lauterbach versprochen. Auf Tagesspiegel-Anfrage teilt sein Ministerium mit, dass seit dem 18. November 18,7 Millionen Impfungen durchgeführt worden seien, so dass noch 11,3 Millionen Dosen bis Jahresende verimpft werden müssen.
„Dass dies eine große Herausforderung darstellt, ist allen bewusst, ist aber erreichbar“, betont ein Sprecher. „Wir haben in den vergangenen Tagen oft mehr als eine Million Impfungen pro Tag gehabt. Bis Weihnachten sind es noch neun Werktage, hinzu kommen die Wochenenden und die Tage zwischen den Feiertagen, an denen auch geimpft werden wird.“
Gerade die Studien zur Omikron-Variante zeigen, dass ein halbwegs verlässlicher Schutz gegen eine Corona-Infektion erst mit einer dritten Auffrischungsimpfung vorliegt, bundesweit legen sich Ärzte und Impfzentren mit einem intensiven Einsatz auch an Wochenenden ins Zeug, um die aktuelle Welle dadurch zu brechen.
Scholz schließt weitere Verschärfungen und Lockdowns nicht aus, aber will sie über diesen Weg vermeiden. Und es soll nun ein zusätzlicher Anreiz geschaffen werden. Bei vielen Veranstaltungen gilt inzwischen die 2G-Plus-Regel, auch zum SPD-Parteitag am Samstag bekamen nur vollständig Geimpfte Zugang, die zusätzlich noch einen negativen Test vorlegten.
Neuer Anreiz: Keine Testpflicht mehr für Geboosterte
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU), der aktuelle Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz, fordert nun Klarheit, ob und ab wann für dreimal Geimpfte die Testpflicht entfallen kann. Der Wegfall der Testpflicht sei nicht nur medizinisch sinnvoll, sondern liefere auch einen zusätzlichen Impfanreiz. Lauterbach will für den bundeseinheitlichen Wegfall der Corona-Testpflicht für dreimal Geimpfte an diesem Dienstag der Gesundheitsministerkonferenz einen Vorschlag unterbreiten, wie ein Sprecher dem Tagesspiegel mitteilt. In einigen Bundesländern benötigen Menschen, die ihre Auffrischungsimpfung erhalten haben, schon jetzt keinen zusätzlichen Testnachweis mehr.
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Wenn über die Verschärfungen - die bundesweit geltenden 2G-Regelungen sind in vielen Bereichen ein Lockdown für Ungeimpfte - die Impfquote auf 85 Prozent und höher steigt, könnte auch die allgemeine Impfpflicht obsolet werden. Allerdings hat der SPD-Parteitag sich auf Antrag der Jusos dafür ausgesprochen, sie trotzdem einzuführen, allerdings sollen die Abgeordneten im Bundestag weiter ohne Fraktionszwang, also nur ihrem Gewissen verpflichtet, abstimmen.
Scholz, der Kanzler auch der Ungeimpften
Scholz hat auch dort betont, dass er sich als Kanzler dem Zusammenhalt in der Gesellschaft verpflichtet fühlt. Und so sagt er im Interview mit der „Bild am Sonntag“ einen Satz, den ein Zeitreisender aus dem Jahr 2019 nicht ohne weiteres verstehen würde: Er sei „auch der Kanzler der Ungeimpften.“
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Die möchte er gerne vom Sinn der Impfung überzeugen. Deutschland sei mitnichten gespalten, meint er – trotz der jüngsten Exzesse gegen Politiker. Die allermeisten Bürger hätten sich impfen lassen. „Viele weitere wollen es bald tun, weil sie ihre Bedenken überwunden haben. Verschiedene Meinungen zu haben, bedeutet doch nicht gleich Spaltung. Wir dürfen auch streiten“, sagte Scholz.
Zugleich zieht er aber eine klare Linie zu fundamentalistischen Impfgegnern. Er sei überzeugt, „dass die allermeisten Ungeimpften diese Fackelkundgebungen als genauso widerwärtig empfinden wie ich.“
Bayern-Trainer Nagelsmann und die Causa Kimmich
Aber gerade der Umgang mit dem zunächst zweifelnden Nationalspieler Kimmich hat gezeigt, dass die Pandemie demokratische Diskurse in eine Schieflage bringen kann. Wer das besonders treffend auf den Punkt gebracht hat, ist der Trainer von Bayern München, Julian Nagelsmann.
Das gehe nicht spurlos an einem jungen Menschen vorbei, „wenn er so durchs Dorf getrieben wird und verantwortlich gemacht wird für sehr viele Dinge, die im Land passieren, die aber garantiert nicht alle Josh Kimmich verbockt hat“, betonte Nagelsmann am Wochenende.
Kimmich sei aber nicht der Sündenbock der Nation, sondern habe zunächst für sich eine Entscheidung getroffen, die man akzeptieren müsse – und die nun eben revidiert wird. Es sei ein Lerneffekt für alle, „dass man auch Meinungen in Deutschland zulässt, in allen Bereichen, und nicht immer sofort über die Menschen drüberfährt, wenn sie mal eine andere haben.“
Das sind Worte, die auch ein Olaf Scholz unterschreiben könnte.
Lauterbach lobt Kimmich
Nagelsmann fürchtet am Beispiel der Kimmich-Debatte, dass irgendwann niemand mehr ehrlich seine Meinung sage, weil man Angst habe, „es scheppert wieder“, dann würde alles irgendwann stromlinienförmig. „Das heißt aber nicht, dass der Strom immer in die richtige Richtung fließt, wir müssen auch eine bunte Vielfalt zulassen, an Meinungen, an Kulturen, dann kriegen wir auch einen guten Austausch hin“, sagt Nagelsmann, der zugleich immer für das Impfen geworben hat.
Auch dem Gesundheitsminister Lauterbach geht es jetzt vor allem darum, dass spalterische Diskurse nicht überhand gewinnen und Ungeimpfte noch stärker überzeugt werden können, eben auch durch eine bessere Kommunikation. Lauterbach setzt darauf, dass auch das Umdenken Kimmichs einen zusätzlichen Impfschub bringen kann. „Die Entscheidung für die Impfung von Joshua Kimmich verdient Respekt“, schreibt Lauterbach bei Twitter. „Er war nie ein Querdenker und hat nur zu lange gezögert. So geht es leider vielen, auf den Intensivstationen bereuen viele ihr Zögern. Die Zögernden müssen wir gezielter ansprechen.“
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