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Dustin Hoffman als Carl Bernstein und Robert Redford als Bob Woodward in dem Film "Die Unbestechlichen".
© akg-images / Album

Panama Papers: Wie investigative Journalisten arbeiten

Alle Welt redet von den Panama Papers. Dahinter steht die Arbeit investigativer Reporter. Geheime Dokumente, verdeckte Recherchen: Welche Bedeutung hat der Enthüllungsjournalismus?

Warum wollen junge Menschen Journalisten werden? Es gibt dafür viele Gründe, einer der besten ist diese Szenerie aus einem Hollywoodfilm. Zwei junge Männer. Lange Haare, lockere Krawatten, entschlossener Blick. Sie telefonieren. Um sie herum: Akten, Bücherstapel, überquellende Papierkörbe – Redaktionschaos. Die beiden bringen gerade den mächtigsten Mann der Welt zu Fall. Und sehen dabei super aus.

Der Film heißt „All the President’s Men“ (deutscher Titel: „Die Unbestechlichen“). Robert Redford und Dustin Hoffman spielen darin die beiden legendären Reporter der Washington Post, Bob Woodward und Carl Bernstein, die 1972 die Watergate-Affäre aufdeckten – was zum Rücktritt des amerikanischen Präsidenten Richard Nixon führte. Die Rolle der Medien als vierte Gewalt, als Kontrolle der Staatsorgane, als Enthüller dubioser Wirtschaftsgeflechte: Die beiden amerikanischen Reporter gelten als role models für einen harten, recherchierenden Journalismus, der heute als „investigativ“ bezeichnet wird.

Recherchejournalismus in Deutschland Mangelware

In Deutschland hat diese Art der aufdeckenden Berichterstattung keine lange Tradition, auch wenn in diesen Tagen alle Welt von den Panama Papers redet, diesem beeindruckenden Scoop des Rechercheverbunds von Süddeutscher Zeitung, WDR und NDR. Gemeinsam mit 100 Redaktionen aus aller Welt veröffentlichten die deutschen Journalisten vor einer Woche geheime Dokumente eines Finanzdienstleisters aus Panama. Sie beleuchteten damit nicht nur das undurchsichtige System der Offshore-Konten, brachten Politiker und Prominente in Bedrängnis, sondern lösten auch eine weltweite Debatte über Briefkastenfirmen und Steuermoral aus

Im Gegensatz zu den angelsächsischen Ländern, wo aggressive Reporterfragen und Skandalstorys seit jeher zum Repertoire von Zeitungen und Fernsehstationen zählen, war der hartnäckige Recherchejournalismus hierzulande nie die Regel. Viel mehr zählt die kluge Kommentierung, das schön formulierte Feuilleton, die lebendig erzählte Reportage. Das liegt an der literarischen Tradition dieses Berufs in Deutschland – und natürlich an der Pressezensur, die Journalisten nur als obrigkeitshörige Protokollanten oder feinsinnige Kulturbetrachter zuließ. Auch später wurden Enthüllungen oft abfällig als Skandaljournalismus bezeichnet und allenfalls dem krawalligen Boulevard zugerechnet.

Die Medien haben eine Kontrollfunktion

Ausnahmen? Gab es immer. Egon Erwin Kisch, zum Beispiel, der wohl als frühester investigativer Journalist gelten kann. 1913 machte er die Spionageaffäre um den österreichischen Nachrichtenoffizier Alfred Redl publik. Redl, erpresst wegen seiner Homosexualität, hatte Militärgeheimnisse an Russland verraten. Nach seiner Enttarnung als Spion beging er Selbstmord. Der Generalstab wollte die Affäre vertuschen – bis sie Kisch in der Prager Zeitung „Bohemia“ veröffentlichte. Die Resonanz war gewaltig.

Auch wenn das Investigative nie der Grundbefindlichkeit des deutschen Journalismus entsprach, muss man doch konstatieren: Skandale wurden in diesem Land nie von der Politik oder der Justiz aufgedeckt, sondern praktisch immer von Journalisten. Was im Umkehrschluss bedeutet: Ohne schlagkräftige Medien funktionieren die „checks and balances“, die gegenseitige Kontrolle der Verfassungsorgane, nicht ausreichend. Eine Demokratie braucht investigativen Journalismus.

Die vielleicht wichtigste Rolle spielt hier „Der Spiegel“, der in den Nachkriegsjahren das amerikanische Modell des faktenorientierten Nachrichtenmagazins etabliert hatte. Im „Spiegel“ fanden die wichtigsten Enthüllungen statt. Am berühmtesten die „Spiegel-Affäre“ 1962: Nach einem Bericht über die desolate Lage der Bundeswehr („Bedingt abwehrbereit“) wurden die Magazin-Leute wegen Landesverrats angezeigt, es folgten Redaktionsdurchsuchungen und Festnahmen. Am Ende musste Verteidigungsminister Franz Josef Strauß zurücktreten. Und später? Von der Flick- über die Neue Heimat- bis zur CDU-Spendenaffäre – immer war der „Spiegel“ an der Aufdeckung mindestens beteiligt. Versteht sich, dass diese Art des respektlosen Recherchejournalismus im Politikbetrieb nicht gut ankam. Als „Gestapo unserer Tage“ beschimpfte Strauß den „Spiegel“. Und Willy Brandt urteilte 1974 knapp: „Scheißblatt.“

{ Mit den Privatsendern kam investigativer Journalismus in Mode}

Der Journalist und Autor Günter Wallraff ist Ehrenpreisträger beim Deutschen Fernsehpreis 2016. Er ist berühmt für seinen investigativen Journalismus.
Der Journalist und Autor Günter Wallraff ist Ehrenpreisträger beim Deutschen Fernsehpreis 2016. Er ist berühmt für seinen investigativen Journalismus.
©  Foto: Oliver Berg/ dpa

Für das Fernsehen war investigativer Journalismus zunächst nur in wenigen Formaten von Bedeutung. Politikmagazine wie „Monitor“ und „Panorama“ arbeiteten mit den Mitteln der verdeckten Recherche und konfrontierten Politiker mit unangenehmen oder skandalösen Ergebnissen. So entlarvte „Panorama“ – der Beitrag stammte vom späteren „Spiegel“-und heutigen „Welt“-Chefredakteur Stefan Aust – den damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger als Marinerichter, der noch kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs Todesurteile über Fahnenflüchtige verhängt hatte. 1978 war das. Filbinger musste zurücktreten.

Erst mit Aufkommen des Privatfernsehens kamen investigative Methoden in Mode. Plötzlich sah man Reporter, die mit wackeligen Kameras in Wohnungen eindrangen, man operierte mit verpixelten Gesichtern und nachgesprochenen O-Tönen. Dahinter verbarg sich mehr Pose als Profil: Meist handelte es sich um völlig normale (Boulevard-)Storys, die optisch aufgemotzt wurden und dadurch interessanter wirken sollten.

Es zeigte sich dabei aber ein interessantes Muster: Eine Enthüllung funktioniert dann besonders gut, wenn sie mit einem Protagonisten, einem Gesicht in Verbindung gebracht wird. Der Journalist tritt aktiv in Erscheinung – eigentlich ein Widerspruch zur verdeckten Recherche. In den USA bringen es Enthüllungsjournalisten seit Watergate zu einiger Prominenz. Wie Seymour Hersh, Spitzname Sy, der für das Wochenmagazin „The New Yorker“ schreibt. Hersh wurde weltbekannt, als er 1969 das Massaker von My Lai ans Licht brachte – ein Kriegsverbrechen der US-Armee. Amerikanische Soldaten töteten mehr als 500 Dorfbewohner in dem vietnamesischen Dorf, darunter viele Frauen und Kinder. Nach der Veröffentlichung nahmen die Proteste gegen den Vietnamkrieg enorm zu. Seymour Hersh war es auch, der 2004 den Folterskandal im irakischen US-Kriegsgefängnis Abu Ghraib bekannt machte.

In Deutschland ist das berühmteste Gesicht des investigativen Journalismus sicher Günter Wallraff. Seine verdeckten Reportagen gehören seit den 70er Jahren zum festen Inventar der bundesrepublikanischen Skandalberichterstattung. Seine haarsträubenden Erfahrungen als Reporter von „Bild“ oder als türkischer Gastarbeiter sind Klassiker. Aber auch in den vergangenen 20 Jahren machte Wallraff, der seine Recherchen meistens multimedial auswertet, immer wieder von sich reden. Dabei besitzen seine Maskeraden einigen Unterhaltungswert. So ließ er sich 2009 auf somalischen Asylbewerber trimmen. Mit einem Kamerateam reiste er quer durch Deutschland und beschrieb in einer Undercover-Reportage den offenen Rassismus, dem er begegnete.

Vielleicht ist Günter Wallraff als Beispiel für aufdeckenden Journalismus auch deshalb gut geeignet, weil er sich selbst als Aufklärer versteht, als engagierter Kämpfer für die gute Sache. Das gilt wohl für die meisten investigativen Journalisten. Sie berichten nicht nur mit kaltem Herzen. Sie wollen etwas. Die Wahrheit herausfinden, mindestens.

Die Rolle des Internets

Aber funktioniert das heute überhaupt noch? Ohne Frage hat in Zeiten von sozialen Netzwerken und Daten-Anarchie im Internet die Bedeutung der klassischen Massenmedien abgenommen. Interessanterweise funktionieren die Mechanismen des investigativen Journalismus – wie die Panama Papers gerade wieder beweisen – auch unter den veränderten Bedingungen des heutigen Medienbetriebs. Sogar besonders gut, vor allem bei der Quellenbeschaffung. Beim Watergate-Skandal traf sich Bob Woodward mit seinem geheimen Informanten „Deep Throat“ noch zur Dokumentenübergabe in der Tiefgarage. Heute bekommen die SZ-Investigativen 11,5 Millionen Dokumente verschlüsselt übers Internet übermittelt. Und in den Blickpunkt rücken heute – wie bei Edward Snowden – weniger die Journalisten als die „Whistleblower“, die Beschaffer des Datenmaterials.

Welche Bedeutung hat der investigative Journalismus in Deutschland heute? Die gute Nachricht lautet: Sie wird größer. Viele Redaktionen leisten sich eigene Rechercheabteilungen – wie „Spiegel“, „SZ“, „Zeit“ oder „Welt“. Das liegt nicht nur am aufklärerischen Impetus dieser Medien, sondern hat wirtschaftliche Gründe: In Zeiten, in denen die meisten Informationen kostenlos verfügbar sind, gewinnt Exklusivität an Bedeutung, schärft das Profil, wird zum Kaufgrund.

Die schlechte Nachricht: Die meisten Medien sehen diesen Zusammenhang nicht. Sie bauen lieber Personal ab, statt Rechercheressorts zu gründen. Ihre Berichterstattung wird braver statt härter. Vielleicht sollten sich nicht nur junge Journalisten, sondern auch Verleger wieder einmal „Die Unbestechlichen“ ansehen.

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