Enthüllungsjournalist Seymour Hersch: "Lügen sind der Kern der US-Politik"
Seymour Hersch gilt in den USA als Reporterlegende. Doch nach seinen neusten Enthüllungen zur Ermordung von Al-Qaida-Chef Osama bin Laden hagelt es Kritik. Hersch kämpft um seine Glaubwürdigkeit.
Seit mehr als 40 Jahren zwingt der Journalist Seymour Hersh die USA in die Auseinandersetzung mit den Schattenseiten ihrer Politik. Derzeit hält der 78-Jährige Amerika mit vermeintlichen Enthüllungen über die Tötung des Al-Qaida-Chefs Osama bin Laden in Atem. Die Darstellung der Regierung, nach der amerikanische Geheimdienste den Terroristenführer ohne Mithilfe pakistanischer Informanten aufgespürt hätten, sei „eine große Lüge, nicht ein Wort ist war“, sagte Hersh schon im Jahr 2013. In einem Essay berichtet Hersh nun ausführlich über vermeintliche Fehlinformationen, die das Weiße Haus über die Tötung bin Ladens verbreitet habe.
Hersh gilt in den USA als Koryphäe des Enthüllungsjournalismus. Der Sohn osteuropäischer Einwanderer wuchs in Chicago auf, wo er seine Karriere als Reporter bei der Presseagentur AP begann. Schon früh machte Hersh mit aufsehen erregenden Geschichten von sich reden: Als er aufdeckte, dass die amerikanische Regierung Giftgasmunition entgegen eigener Beteuerungen im Ausland lagerte, kam es zwischen Hersch und der AP zum Zerwürfnis. Aus Angst vor dem politisch brisanten Stoff wollte die Agentur Hershs Text auf einen Bruchteil zusammenkürzen, Hersh widersprach, kündigte und verkaufte seine Geschichte an eine Zeitung.
Hersh rückt die USA ins Zentrum der Weltöffentlichkeit
Den wohl größten Coup seiner Karriere landete Hersh mit seinen Berichten über das Massaker von My Lai im Jahr 1968, bei dem amerikanische Soldaten bei einem Angriff auf ein vietnamesisches Dorf hunderte Frauen und Kinder umgebracht hatten. Auch bei dieser Geschichte drückten sich die großen Zeitungen vor der Veröffentlichung. Erst als das Massaker offiziell bestätigt wurde und Hersh für seine Arbeit den Pulitzer Preis verliehen bekam, begann das Werben der großen Zeitungen um den brillanten Investigativ-Journalisten.
Mit seinen Enthüllungsgeschichten rückte Hersh die USA ins Zentrum der Weltöffentlichkeit: Zuletzt hatte er die Folter von Gefangenen in US-Gefängnissen im Irak aufgedeckt. Mehrfach hatte sich der Rechercheur jedoch auch in unhaltbare Anschuldigungen verrant. Seine aktuellen Vorwürfe dementiert die Regierung in Washington erneut entschieden. Wieder einmal steht Hershs Glaubwürdigkeit auf dem Spiel. Er hält sich jedoch eisern an sein Dogma, das er auch in seinem aktuellen Aufsatz formuliert: „Lügen von höchster Stelle bleiben nach wie vor der modus operandi der US-Politik.“
Paul Middelhoff