Die letzte Karte der Kanzlerin: Wie Angela Merkel an Autorität verliert und voll ins Risiko geht
Die Kanzlerin will gemäß ihrem Amtseid Schaden vom deutschen Volk abwenden. Doch je höher die Impfquote, desto schwieriger die Methode „streng und einheitlich“.
Angela Merkel schaut zu. Hört sich unter der sonnendurchfluteten Reichstagskuppel an, wie ihr vielleicht letztes großes Gesetz scharf kritisiert wird. Eine gute Woche zuvor, gleicher Platz im Bundestag, dieses Mal Fraktionssitzung von CDU/CSU. Angela Merkel schaut zu, hört sich an, wie sich ihre Nachfolgekandidaten duellieren. Vieles liegt nicht mehr in ihrer Hand. Aber nichts läuft richtig gut.
„Politik besteht ja oft darin ‑ und das ist ja auch das Faszinierende ‑, dass Sie morgens ins Büro kommen und nicht wissen, wie der Abend aussieht, und dass Sie ein Jahr beginnen und sich nicht vorstellen können, was in diesem Jahr passiert“, hat sie mal gesagt. Und sie habe noch das Gefühl wie in den Anfangstagen ihrer Amtszeit: „Das Gefühl ist angespannte Aufmerksamkeit.“
Was in diesem Jahr passiert, hätte sie so auch nicht gedacht. „Nie in den letzten 15 Jahren haben wir alle das alte Jahr als so schwer empfunden – und nie haben wir trotz aller Sorgen und mancher Skepsis mit so viel Hoffnung dem neuen Jahr entgegengesehen“, sagte sie in ihrer letzten Neujahrsansprache als Kanzlerin.
Doch dann wurde auch hier die B.1.1.7-Mutante zur dominierenden Virusvariante. Das Impfen kam nicht richtig in Gang. Und der Lockdown wurde zum Dauer-Lockdown.
„Das Kanzleramt hat keinen Kindergarten“, bringt ein Regierungschef die unterschiedlichen Blickwinkel auf den Punkt. Merkel, die mit aller Macht und auf Basis der Ratschläge aus der Wissenschaft die Welle brechen will, und auf deren anderen Seite die Ministerpräsidenten, die den Frust von Eltern und Unternehmern abbekommen, dazu die sozialen Verwerfungen und Schicksale.
Kraftlos, etwas abgetaucht, abwartend, beschreibt ein Mitglied aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion den Eindruck von der Kanzlerin. Von der kraftvollen Krisenanpackerin war zuletzt wenig zu sehen - und ihr Lösungsweg könnte sich als Sackgasse entpuppen.
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Schon oft war von Merkeldämmerung die Rede
Auch Merkel fehlen die persönlichen Treffen, im Kanzleramt ist abseits der großen öffentlichen Auftritte zuletzt viel daran gearbeitet worden, dass das Impftempo verbessert wird, zudem ist die Frage zu klären, welche Grundrechte Geimpfte früher zurückbekommen könnten, was mit Reisen ist – auch läuft es mit der Auszahlung der Wirtschaftshilfen besser.
Die Merkeldämmerung ist oft beschworen worden, selten stimmte es. Und die CDU kann mit Blick auf die Grünen-Konkurrenz laut Demoskopen froh sein, dass sie die CDU beharrlich modernisiert und in die Mitte gerückt hat. Mangels erfolgversprechender Alternativen hat sie zum Ende ihrer Amtszeit einen Schachzug vollzogen, der das Bild prägen wird, mit dem sie abtritt.
Und die Entscheidung dazu liegt nun auch in den Händen der Verfassungsrichter.
Der Kanzlerin-Kotau als Zäsur
Am 22. März gab es jene völlig schief gelaufene Ministerpräsidentenkonferenz mit dem plötzlich vorgeschlagenen Osterlockdown, am 24. März den Kotau der Kanzlerin. Am 28. März bei „Anne Will“ kündigte sie an, es nun mit bundesweiten Regeln über das Infektionsschutzgesetz zu versuchen. Doch kann das Prinzip Brechstange funktionieren?
Die Fraktionen von Union und SPD weichten die bundesweite Notbremse schließlich auf, vor allem bei den Ausgangssperren, die mit mehr Ausnahmen versehen wurden und von 22 Uhr bis 5 Uhr ab diesem Wochenende in Regionen mit einer Inzidenz über 100 gelten Die Länder winkten das bei allen Bauchschmerzen im Bundesrat dann durch, weil sie nicht wieder als Blockierer am Pranger stehen wollen.
Aber bis zu Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) sind alle Einwände dokumentiert. Kippt Karlsruhe die allein auf dem Inzidenzwert von 100 Neuninfektionen je 100.000 Einwohner in sieben Tagen basierte Ausgangssperren, würden einfach die Landesregelungen weiter gelten. Aber es ist jetzt Merkels Gesetz – und es wäre eine schwere Niederlage.
Sie argumentiert mit ihrem Amtseid, Schaden vom deutschen Volke abzuwenden. Doch ihre Methode, alles möglichst streng und einheitlich, kommt mit höheren Impfquoten und mehr Schnelltests an Grenzen.
Die Sorge vor dem Jojo-Lockdown
Die Bundes-Notbremse ist sehr viel Aufwand, ein hohes Risiko für eine womöglich begrenzte Wirkung. Das meiste machen die Länder schon selbst so, nicht immer so streng, aber auch regionale Rechtsprechungen berücksichtigend. Immer wieder ist auch das Kanzleramt auf das jüngste Urteil des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg hingewiesen worden, das eine Ausgangssperre von 22 bis 05 Uhr in der Region Hannover gekippt hatte, weil nicht erwiesen sei, ob damit das Pandemiegeschehen beeinflusst werden kann und weil unklar ist, ob damit in nennenswerter Zahl abendliche Treffen, etwa zum Essen oder Biertrinken, verhindert werden.
Und noch ein Punkt stößt den Staatskanzleien auf; dieses Gesetz habe einen schweren Konstruktionsfehler: die Pendelbewegung. Drei Tage über 100 beziehungsweise 165: Ausgangssperre, Schulen zu. Fünf Tage darunter, Ausgangssperre aufgehoben, Schulen wieder offen. Es gibt jetzt keinen Ermessensspielraum mehr vor Ort. Tritt der befürchtete Jojo-Effekt ein, droht Zermürbung und noch mehr Verdruss über die Corona-Politik.
Es ist ja in der Pandemie fast untergegangen, aber das Bundesverfassungsgericht hat bei einer der folgenreichsten Entscheidungen Merkels schon mal eine Rolle gespielt. Sie hatte den rot-grünen Atomausstieg kassiert, die Laufzeiten wurden 2010 deutlich verlängert, um ein paar Monate später nach Fukushima alles rückabzuwickeln und einen neuen Atomausstieg ins Werk zu setzen. Anfang März gab die Bundesregierung nach heftigen juristischen Auseinandersetzungen bekannt: Knapp 2,43 Milliarden Euro an Steuergeldern erhalten die Energiekonzerne als Entschädigung, der Preis für Merkels Atomwendepolitik.
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Das Autoritätsproblem der Noch-Kanzlerin
Es gibt, weil sie bald abtreten wird, ein deutliches Macht- und Autoritätsproblem, das attestieren auch mehrere Ministerpräsidenten. Merkel drang zuletzt mir ihrer „Es ist ernst“-Kommunikation weniger bei den Bürgern durch. Der Zuspruch zum Krisenmanagement schwand- „Immer diese ewige Licht-am Ende-des-Tunnel-Rhetorik“, kritisiert ein CDU-Bundestagsabgeordneter. Und ihr Werkzeugkasten wird immer stärker hinterfragt, auf die Spitze getrieben mit mehreren Videos der Schauspieler-Initiative „Allesdichtmachen“.
Wenn man dieser Tage mit Ministerpräsidenten spricht, hört sich die Kritik an wie am Tag nach Merkels Überraschungscoup mit der „Osterruhe“. Nicht gut durchdacht, unpraktikabel.
Das Band zu ihnen ist brüchig geworden. Sie sind es leid, am Pranger zu stehen. Eine Erzählung geht so: Merkel habe immer wieder Kanzleramtschef Helge Braun losgeschickt, um vor Bund-Länder-Runden ein dramatisches Bild zu zeichnen und den Ländern Zaudern vorzuhalten. In den Runden habe man darauf wetten können, dass irgendwann ein kalkulierter Ausbruch Merkels kommt, „Das reicht nicht“, „Alles zu wenig“. Wissend, dass in den virtuellen Runden, wo locker 70, 80 Leute mitlauschen, die Zitate nach draußen getragen und in den Live-Tickern veröffentlicht werden. Der Effekt war jedenfalls, dass die Schuldfrage öffentlich klar war, ohne dass Merkel das öffentlich sagen musste.
Merkels Vertrauter: "Das war eine Corona-Politshow"
Einer, der Merkel sehr gut kennt, ist Eckhardt Rehberg. Er hat einen etwas anderen Blick. Der Chef-Haushälter der Unions-Fraktion, der bestens in Merkels Heimatverband Mecklenburg-Vorpommern vernetzt ist, sagt, dass Merkel am Ende gar keine andere Wahl hatte. „Wir haben jetzt in der Corona-Zeit 24 Ministerpräsidentenkonferenzen gehabt. Ich habe das mal nachgezählt“, erzählt Rehberg. „Sogar Angela Merkel war erstaunt über diese Zahl". Am Ende sei das Ganze, „zu einer Corona-Polit-Show geworden, von Schwesig bis Söder.“ Die erste Phase von März bis zum Sommer 2020, sei sehr ziel- und ergebnisorientierter gewesen. Er sei ja ein glühender Föderalist, aber da bestand am Ende eine Notwendigkeit, die Notbremse bundeseinheitlich auszugestalten. „Angela Merkel ist eine Politikerin, die nie die Nerven verliert. Und dann hat sie schließlich gesagt: Ich kann auch anders.“
Ein Grund für diese Zäsur sieht Rehberg auch in den Videokonferenzen, in der ersten Welle traf man sich fast immer noch persönlich. Die Methode Merkel lebt vom Verhandeln, dem persönlichen Gespräch am Rande, das war auch oft der Erfolgsweg bei EU-Gipfeln. „Um zu Kompromissen zu kommen, muss man eigentlich in einem Raum sitzen, sich in die Augen schauen, sagt Rehberg.
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Merkels Kritik an Laschet
Die größte Hoffnung liegt nun auf dem schnelleren Impferfolg. Die Stimmung könnte ab dem Sommer sich aufhellen, darauf setzt auch ihr möglicher Nachfolger Armin Laschet. Es passte in das Bild, dass ihr Auftritt bei „Anne Will“ den Eindruck erweckte, sie stelle sich in der Corona-Politik gegen ihn, was sie später intern dementierte.
Laut "Spiegel" hat sie in der entscheidenden Sitzung des CDU-Bundesvorstands am Montag auch nicht für Laschet gestimmt und einfach keine Stimme abgegeben. Also sich auch nicht enthalten. Sie hat immer erklärt, sich aus dem Wettstreit zwischen CDU-Chef Laschet und CSU-Chef Markus Söder heraushalten zu wollen.
Ihr Ansatz, 2018 als CDU-Chefin abzutreten, aber Kanzlerin zu bleiben, hat die Probleme mit heraufbeschworen. Rehberg hält es für richtig, dass sie zur K-Frage schwieg. „Zwischen 0 und 1 gibt’s da nichts. Entweder mischen Sie voll mit oder Sie halten sich total raus.“ Man wüsste aber gerne, was sie wirklich denkt, dass der Kandidat von der CDU-Basis nun quasi gezwungen wird, mit einer informellen Troika in den Wahlkampf zu ziehen. Friedrich Merz und Markus Söder können sich vor Wahlkampfeinladungen kaum retten – und werden die Nach-Merkel-Ära mitbestimmen. Die für die CDU sehr unruhig werden könnte, Merkel hinterlässt kein bestelltes Feld.
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