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Die Kanzlerin entschuldigt sich bei den Bürgern und gesteht Fehler ein.
© Tobias SCHWARZ / AFP

Merkel zu Osterruhe-Chaos: „Ich bitte alle Bürgerinnen und Bürger um Verzeihung“

Die geplante Osterruhe, der harte Lockdown über die Feiertage, wird wegen rechtlicher Probleme gestoppt. Die Kanzlerin übernimmt die Verantwortung.

Es ist ein Tag, der in Berlin nachhallen wird, so ein handwerklicher Fehler ist der Bundeskanzlerin in ihrer fast 16-jährigen Amtszeit selten unterlaufen. Und so einen Kotau hat Angela Merkel auch noch nicht gemacht. Der von ihr bei den Bund-Länder-Beratungen am Montag überraschend vorgeschlagene und dann durchgesetzte verschärfte Oster-Lockdown wird nach massiver Kritik gestoppt.

Kurzfristig hatte die Kanzlerin für 11 Uhr eine erneute Videoschalte mit den Länder-Regierungschefs einberufen. "Es war mein Fehler. Ich übernehme die volle Verantwortung", sagte sie nach Tagesspiegel-Informationen in der Schalte.

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Merkel betonte zudem, beim Kopf durch die Wand gewinne immer die Wand. „Das wird in meinem Fall nicht anders sein“. Mehrere Ministerpräsidenten, darunter der nordrhein-westfälische Regierungschef und CDU-Chef Armin Laschet und Bayerns Markus Söder (CSU) zollten Merkel Respekt für das Eingeständnis des Fehlers.

Laschet betonte, laut Tagesspiegel-Informationen: „Das müssen wir alle auf uns nehmen. Wir haben diesen Weg mitgetragen und nicht widersprochen.“ Es sei richtig und notwendig, dass Politik berechtigte Kritik aus der Praxis aufnehme und Fehlentscheidungen korrigiere. Schleswig-Holsteins Regierungschef Daniel Günther (CDU) sagte ebenfalls, es sei gut Dinge auch mal zurückzunehmen.

Um 12:30 Uhr trat Angela Merkel vor die Presse für ein kurzes Statement:

Die Kanzlerin sagte dabei in Berlin: Der inzwischen revidierte Beschluss sei "einzig und allein mein Fehler" gewesen, und als Kanzlerin wolle sie die Verantwortung dafür tragen, sagte Merkel am Mittwoch in Berlin. Sie wisse, dass "der gesamte Vorgang zusätzliche Verunsicherung" auslöse. "Das bedaure ich zutiefst, und dafür bitte ich alle Bürgerinnen und Bürger um Verzeihung."

Für Angela Merkel ist es der kritischste Moment der Pandemie

Für Kanzlerin Angela Merkel ist der Stopp eine schwere Niederlage. Unterhändler von Bund und Ländern hatten zuletzt schon das verheerende Bild nach außen kritisiert, sie waren von dem Vorschlag am Montagabend in den Marathonverhandlungen beim Bund-Länder-Gipfel überrascht worden.

[Mehr zum Thema: Chaos um den Osterlockdown - Merkel droht eine Rebellion]

Der MPK-Beschluss sah vor, dass vom 1. bis einschließlich 5. April, also von Gründonnerstag bis Ostermontag, das öffentliche, private und wirtschaftliche Leben weitgehend heruntergefahren wird, um die dritte Welle der Pandemie zu brechen. Aber schnell wurde klar, dass es rechtliche Probleme bei der Umwandlung des Gründonnerstags in einen „Ruhetag“ gibt.

"Das ist ein Riesen-Uhrwerk, das sich da in Gang setzt", hieß es aus Länderkreisen mit Blick auf die Auswirkungen auch für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, etwa auch zu der Frage, ob sie dann für Arbeitnehmer, die trotzdem arbeiten müssen, Feiertagszuschläge zu zahlen haben.

[Mehr zum Thema: Bund-Länder-Runde im Kanzleramt - Angela Merkels Osternacht, eine Rekonstruktion des Chaos-Gipfels]

Im Anschluss an die kurzfristig einberufene Videoschalte mit den Ministerpräsidenten kündigte das Kanzleramt ein Statement der Kanzlerin an, unklar war, ob eine für 13 Uhr mit ihr geplante Befragung im Bundestag noch stattfinden kann.

Es ist für Merkel der bisher kritischste Moment in ihrem Krisenmanagement. Nachdem die Union zuletzt auch wegen der Unzufriedenheit mit der zunehmen chaotischen Pandemiepolitik gefallen war, droht der Kanzlerin zum Ende ihrer fast 16-jährigen Amtszeit ein bitterer Abgang aus dem Amt.

Harsche Kritik in der Union an den Corona-Beschlüssen

Zumal die letzte Ministerpräsidentenkonferenz am Montag mit dem überraschenden Osterlockdown-Vorstoß zu tiefen Rissen im Verhältnis mit einigen Länder-Regierungschefs geführt hatte, die den Vorstoß aber letztlich wegen der starken Ausbreitung der Mutante B.1.1.7 mitgetragen hatte. Auch wenn einige danach einräumten, eine Vertagung wäre besser gewesen, um den Plan erst einmal in Ruhe rechtlich zu prüfen.

Laschet, der auch die Kanzlerkandidatur der Union anstrebt, hatte bereits vor der Schalte am Mittwoch im Düsseldorfer Landtag betont, die jüngste Ministerpräsidentenkonferenz habe die Menschen enttäuscht. Die Regierungschefs hätten von 14 Uhr bis drei Uhr am Dienstagmorgen verhandelt. „Wir können so nicht weitermachen“, sagte der CDU-Bundesvorsitzende.

Angela Merkel hat die politische Verantwortung für den Osterruhe-Stopp übernommen.
Angela Merkel hat die politische Verantwortung für den Osterruhe-Stopp übernommen.
© Stefanie Loos/AFP

Auch in der Sitzung der Unions-Fraktion hatte es am Dienstag großen Unmut über den Beschluss gegeben, viele fürchten inzwischen, dass sie bei der Bundestagswahl am 26. September ihre Mandate verlieren können und mit der Ära Merkel auch die Regierungszeit von CDU/CSU enden könnte.

MPK-Runde mit Angela Merkel: Oster-Lockdown war eine spontane Idee

„Das Vertrauen ‚Die CDU kann Krise‘ ist erschüttert. Dieses Vertrauen hatte ihren Rückhalt in der Bevölkerung vor einem Jahr steil steigen lassen, und der Verlust dieses Vertrauens führt jetzt zu ihrem Absturz“, bilanziert die Demoskopin Renate Köcher vom Allensbach-Institut in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Die Idee eines harten Oster-Lockdowns entwickelte sich während der Verhandlungen am Montag spontan, sie stand in keinem Papier. Aus zwei Gründen: Merkel konnte zunächst weder Ausgangssperren noch einen Einfluss des Bundes auf Schul- und Kitaschließungen bei zu hohen Inzidenzen durchsetzen.

Zudem stemmte sich Kanzlerin Merkel gegen das aus ihrer Sicht fatale Signal, dass einige Bundesländer „kontaktarmen Urlaub“ in Ferienwohnungen und auf Campingplätzen ermöglichen wollten. Merkel betonte, die Mutante fresse leider quasi vorherige Erfolge auf. Zweitens fehlen noch Impfstoff und ausreichend Schnelltests, so dass mit der Maßnahme des Oster-Lockdowns Zeit gewonnen werden soll.

Linke, FDP und AfD forderten die Kanzlerin am frühen Nachmittag im Bundestag bei einer zufällig für diesen Tag angesetzten Regierungsbefragung auf. die Vertrauensfrage zu stellen, um zu sehen, ob sie noch den Rückhalt der Koalitionsfraktionen hat. Merkel ging auf die Forderungen bei einer Regierungsbefragung aber nicht näher ein.

Am Abend sagte sie in der ARD: "Nein das werde ich nicht tun." Sie hat es bisher noch nie getan, die Opposition zweifeln, ob sie nach diesem Chaos und dem Dauer-Ärger um die Impfstoffbeschaffung noch den ausreichenden Rückhalt von Union und SPD hat.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zollte Merkel wie viele Amtskollegen Respekt: „Sie hat das nicht alleine entschieden.“ Alle Ministerpräsidenten stünden mit in der Verantwortung und müssten sich entschuldigen. „Es tut uns Leid, es tut auch mir Leid".

Grüne und forderten im Bundestag, dass die Corona-Beratungen in den Bundestag gehörten, und nicht in einem intransparenten kleinen Kreis getroffen werden dürften. 

Die FDP fordert Entscheidungen im Parlamenten

Der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Marco Buschmann fragt Merkel bei der Regierungsbefragung: „Wann hören Sie endlich auf, im kleinen Kreis übernächtigt über das Leben von Millionen Menschen zu entscheiden?“ Mit Beratungen und Entscheidungen im Parlament gäbe es auch bessere Lösungen. Sie deutet Gespräche über eine bessere Arbeitsweise an. Die Beratungen mit den Ministerpräsidenten seien aber weiterhin nötig, weil es letztlich Aufgabe der Länder sei, die Corona-Beschlüsse per Verordnung umzusetzen. Der Tag hat gezeigt: Die Entschuldigung ist das eine, aber alle Probleme sind ungelöst.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt erinnert an die große ungelöste Problematik: „Die dritte Welle rollt, aber wir brauchen einen Wellenbrecher“.

Und auch Merkel betont bei aller Häme, die es auch gibt: „Unser Gegner ist das Virus, das darf keiner vergessen“.

Risse im Verhältnis zu Bürgern

Jeden Tag kann die Kanzlerin, wenn sie sich das denn ansieht, abends in den Nachrichten verzweifelte Menschen sehen, von Hoteliers und Gastronomen auf den Nordseeinseln bis zu Schauspielern und Musikern in Berlin, die mit viel Kreativität Konzepte erarbeitet haben, um mit Schnelltests und der Luca-Kontaktnachverfolgung-App abgesicherte Öffnungen zu testen – und sich unerhört fühlen. Sicher, Merkel hat mit ihrem Kurs bisher stets Recht gehabt, kämpft gemäß ihres Amtseids, mit ihren Methoden gegen das Virus.

Aber ist die Methode noch die richtige, wo die Stimmung kippt und der Impfstoff noch lange nicht genug sein wird? Welche Möglichkeiten des „Mit dem Virus leben“ kann es noch geben? Eine deutliche Mehrheit unterstützt harte Maßnahmen, – viele vermissen aber eine Differenzierung und Evaluierung, was das bisherige bringt. Es ist ein bisschen wie im Aufzug. Die Union fuhr mit Merkel ganz nach oben, in der ersten Welle der Pandemie waren Kommunikation und Maßnahmen oft nachvollziehbarer. Jetzt rauscht der Aufzug nach unten. Das ist manchmal Politik. Die nächsten Wochen werden zeigen, mit welchem Bild Merkel nach 16 Jahren abtreten wird.

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