Schäuble vermittelt, Söders Würfel fallen: So verliefen die letzten Stunden im Kanzler-Krimi
Söder dreht bei, Schäuble schimpft, Bouffier warnt vor der Basis und Laschet gewinnt einen Wahlkämpfer. Eine Rekonstruktion des CDU-CSU-Bruderkampfes.
Markus Söder will das jetzt schnell hinter sich bringen. Noch während er am Pult in der CSU-Zentrale seine Maske in die Jackettasche steckt, sagt er um 12.03 Uhr den für Armin Laschet erlösenden Satz: „Die Würfel sind gefallen: Armin Laschet wird Kanzlerkandidat der Union.“ Schon zuvor hatte sich angedeutet, dass das Rätselraten, wie Söder mit dem Votum des virtuellen montagabendlichen „kleinen Hinterzimmers“ im Adenauer-Haus umgehen würde, schnell vorbei sein wird.
Selbst kampfeslustigen Christsozialen war klar: Noch mal eine Entscheidung der CDU in Frage stellen, noch mal die Fraktion in Stellung zu bringen, würde nicht funktionieren. Söders eifrigste Unterstützer unter den Abgeordneten waren ohnehin solche, die in der „Bild“-Zeitung gerne als wahre Stimme der CDU auftreten, im Rest der Fraktion aber als notorisch gelten.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt strich schon morgens im Vorstand der Bundestagsfraktion die Segel: Das Verfahren sei holprig gewesen, aber das Ergebnis eindeutig.
Auch in Bayern bereiten Söder-Vertraute einen offensiven Rückzug vor: Das „Angebot“ seines Chefs zurückzuweisen, müsse die CDU jetzt selbst verantworten, sagt der dortige Finanzminister Albert Füracker, nicht ohne nachzulegen: „Fünf Monate vor der Bundestagswahl einen Beschluss gegen die eigene Basis zu fassen, ist schon sehr bemerkenswert.“
Die CSU bereitet die Revanche schon vor
Söder selbst kartet bei seinem Auftritt vor der Presse eleganter nach, aber im Ergebnis genauso brutal. Teil eins ist die pflichtschuldige Unterstützung des Kandidaten. Die CSU und er selbst akzeptierten und respektierten die Entscheidung des CDU-Vorstands.
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Er hat zuvor mit Laschet telefoniert, versichert Laschet nun auch hier seine „volle Unterstützung“ für den Wahlkampf, „ohne Groll und mit voller Kraft“. Aber im Mittelteil seines Statements breitet der Bayer noch einmal in aller Ausführlichkeit aus, weshalb er sich als den Besseren sieht.
Er verpackt die Attacke in einen Dank an seine Unterstützer in der CDU. „Wir wären bereit gewesen, dem Land zu dienen“, sagt er. „Wir haben überall aus Deutschland Zuspruch erhalten.“ Dann sagt er: „Bei allen Ministerpräsidenten“ sei der Zuspruch unglaublich gewesen, in der CDU „gerade bei den Jungen, bei den Modernen“. Zu danken sei auch allen, die „entgegen normaler Parteisolidarität“ für ihn eingetreten seien. Er betont: „Wir wollen keine Spaltung.“
Neben ihm steht CSU-Generalsekretär Markus Blume, der wird deutlicher: „Markus Söder war erkennbar der Kandidat der Herzen.“ Das erinnert etwas an Schalke 04, die waren mal "Meister der Herzen" und steigen nun aus der Bundesliga ab. Söders Kandidatur sei „ein verdammt gutes Angebot“ gewesen, er habe gezeigt, was er für eine Zugkraft für die Union entfalten könne.
In den Worten ist schon die Schuldfrage geklärt, wenn Laschets Mission, erster Rheinländer seit Konrad Adenauer im Kanzleramt zu werden, schief geht. Und Laschet muss gleich in den ersten Interviews beantworte, ob er denn auch ein "Kandidat der Herzen" sei - was er für sich bejaht.
"Markus Söder war erkennbar der Kandidat der Herzen“
Laschet muss sich auf Revanche einstellen. Im Wahlkampf vielleicht noch nicht – auch die CSU will am Ende in Berlin mitregieren und bayerische Interessen einfordern, statt bei einer grünen Kanzlerin darum betteln müssen. Aber danach. Söder kann dann ungebremst wieder „Bayern first“ betreiben.
Es ist das vorläufige Ende eines neuntägigen Krimis. Alles kulminierte am Sonntag und Montag. Söder flog am Sonntag nach Berlin, im Reichstag kam es zu einem abendlichen Geheimtreffen mit Laschet, dabei auch die Generalsekretäre von CDU und CSU - und wie erst jetzt bekannt wurde, gab es hier auch ein Gespräch mit Wolfgang Schäuble.
Schäuble vermittelt nachts
Nach einem "Bild"-Bericht hatte Schäuble das Gespräch vorbereitet gab den Moderator, der CSU wurde von Laschet klar gemacht, dass Söder nicht als Kandidat von der CDU akzeptiert werde. Die CDU könne, dürfe und werde sich die Kanzlerkandidatur nicht aus den Händen nehmen lassen, soll Laschet laut „Bild“ gesagt und auf die schwierige Lage seiner Partei verwiesen haben.
Fakt ist: Gegen 1:30 h geht man weiter ohne klare Lösung auseinander, Söder fliegt Montagmorgen zurück nach Bayern und verkündet, wenn die CDU-Gremien sich klar für Laschet aussprechen, trage man das so mit. Laschet beruft für Montagabend, 18 Uhr eine digitale Sondersitzung des CDU-Bundesvorstands ein. Er fordert eingangs eine offene Debatte – und bekommt sie.
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff sagt, praktisch der ganze Osten sei für Söder– und bekommt Widerspruch, der brandenburgische CDU-Fraktionschef Jan Redmann sagt, in seinem Landesverband „gibt es kein klares Votum für Söder“. Aber plötzlich stellt sich der langjährige Laschet-Weggefährte, Wirtschaftsminister Peter Altmaier gegen dessen Kandidatur. Außer in NRW gebe es doch in praktisch allen Landesverbänden eine Mehrheit für eine Kanzlerkandidatur Söders, die Stimmung an der Basis wird immer wieder angeführt. Saarlands Ministerpräsident Tobias Hans bringt die Sorge nach der Nominierung von Annalena Baerbock bei den Grünen so auf den Punkt: Ihm sei ein CSU-Kanzler allemal lieber als eine Grünen-Kanzlerin.
Draußen vor dem Konrad-Adenauer-Haus vertreiben sich die Fotografen mit einem naheliegenden Motiv die Zeit. Um fünf vor zwölf wird die große Uhr vor der Parteizentrale fotografiert, mit dem großen CDU-Schriftzug im Hintergrund.
Da fast alles nach draußen dringt – in den virtuellen Runden – ist nicht zu kontrollieren, wer was durchsticht, werden all die Zweifel öffentlich. Eine Wahlkampfvorlage für die anderen, zugleich wird offenkundig, wie ernsthaft die Partei mit sich ringt.
Aber Laschet setzt die Abstimmung durch, er will ein Votum in der Bundestagsfraktion verhindern, die sich für Söder aussprechen könnte. Auch eine Kreisvorsitzendenkonferenz wird abgelehnt. Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier warnt, er glaube nicht, dass die Basis die Entscheidung des Vorstands einfach so hinnehme. „Wir müssen uns darauf einstellen, dass das so nicht akzeptiert wird.“ Wieder ist es Schäuble, der Druck macht: Das müsse jetzt entschieden werden, morgen dann Presseauftritt der beiden Vorsitzenden. So soll es kommen
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Aber das Abstimmungsverfahren ruckelt, es gibt Geschäftsordnungsfragen, vielleicht doch erst mal schlafen? Nein. Dann kommen nicht alle E-Mails mit den Zugangsdaten zur Online-Abstimmung an. Wolfgang Schäuble ruft: „Es geht alles schief.“
Um 0.30 Uhr steht dann doch ein Ergebnis. 31 Stimmen für Laschet, neun für Söder, sechs Enthaltungen. „77,5Prozent“ vermeldet das Konrad-Adenauer-Haus. De facto sind es 67,4, wenn man die Enthaltungen rausrechnet. Erschöpft fährt Laschet aus der Tiefgarage.
Der Moment der Entscheidung
Zwei Stunden nach Söder spricht er am Dienstag um 14 Uhr als Sieger im Konrad-Adenauer-Haus - nach fast 16 Jahren Angela Merkel hat die Union einen neuen Kanzlerkandidaten. Bei der CDU haben sie sich entschlossen, die Münchner Provokationen zu ignorieren. Nur einmal kurz schießt auch Armin Laschet verdeckt zurück. „Ich bin Markus Söder dankbar, dass er gestern noch einmal die Bedeutung der repräsentativen Demokratie betont hat“, sagt der CDU-Chef. Dass Söder den CDU-Vorstand als „Hinterzimmer“ verunglimpft hatte, hat ihm letztlich geholfen. Eine CDU-Spitze hat keine Lust auf einen Kandidaten, der sie kaltstellen will.
Abgesehen davon dankt der Sieger der CSU für einen „guten, fairen Umgang“ und dem Unterlegenen für das persönliche Verhältnis, das „gut und vertrauensvoll“ sei. Dass Söder am Montag die Entscheidung in die Hand der CDU gelegt hatte, sei ein „großer Vertrauensbeweis“ gewesen: „Markus Söder hat diese Entscheidung der CDU möglich gemacht.“ Dass sein Weg zum Kandidaten mühsam verlief, leugnet Laschet nicht. Aber er versucht der langen Debatte im Bundesvorstand und den Diskussionen in der Fraktion Gutes abzugewinnen. „Ich bin ein Mensch, der ein offenes Wort schätzt“, sagt er. Dann müsse man damit leben, „dass es auch ausgesprochen wird“.
"Er ist stark, wenn es darauf ankommt"
Er wisse, dass sich manche eine andere Entscheidung gewünscht hätten. Aber nach der Debatte komme nun mal der Moment der Entscheidung. Neben ihm steht Generalsekretär Paul Ziemiak, der sieht fast noch erleichterter aus als sein Chef. Alles sei in der Nacht auf den Tisch gekommen, sagt Ziemiak, „jedem wurde Raum gegeben“, Spitzenleuten genauso wie Abgeordneten, „auch das Meinungsbild der Basis der verschiedenen Regionen“. Laschet habe jeden ermuntert, seine Meinung zu sagen. „Er ist stark, wenn es darauf ankommt.“ Und klar ist auch: einen Söder schaffen nicht viele. Das wird nachhallen.
Im Bundestag steht zur gleichen Zeit Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus vor einem Bildschirm und lauscht den letzten Worten Laschets in dessen Pressekonferenz: „Am Ende zu einer Entscheidung zu kommen, das ist das, was Deutschland nach der Wahl im September braucht.“ Richtig so, meint Brinkhaus zu den Worten des Frischgekürten.
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Dann tritt er selbst auf der Fraktionsebene, hinter sich die Kuppel, vor die Kameras. Erleichtert, es wird an diesem Tag keine Kampfabstimmung in der Fraktion über die Kanzlerkandidatenfrage geben. Der Ostwestfale hat schon Chuzpe, den Findungsprozess nun als beispielhaften Akt zu huldigen. Die Kandidatenfindung sei „offener, transparenter und auch demokratischer“ gewesen als bei anderen Parteien. Die Grünen hätten ihre Entscheidung „im Hinterzimmer“ getroffen, kann er sich den Seitenhieb nicht verkneifen. Der Wahlkampf ist eröffnet.
Laschet schaltet sich zur Fraktionssitzung digital dazu, erst einmal ist der Putsch abgeblasen, es gibt kaum noch Debatten zur K-Frage. Söder verzichtet darauf, hier mit Laschet nochmal aufzutreten, um ein gemeinsames Signal zu senden. Bei der Sitzung in Präsenz vor einer Woche waren beide da, das Stimmungsbild für Söder brachte die Entwicklungen erst richtig ins Rollen.
Von Gräben, die fortbestünden, will Brinkhaus nichts wissen. Letztlich bringt er den Glauben, dass das Projekt Laschet bei allen Zweifeln funktioniere, so für die Union auf den Punkt: „Wir sind ja eine sehr, sehr pragmatische Parteienfamilie", sagt Brinkhaus. "Wir wissen, dass wir nur Erfolg haben können, wenn wir zusammenarbeiten. Und die Lust am Siegen ist bei uns viel, viel größer als das Augenmerk auf Gräben.“ Und im Übrigen gehe es ab jetzt nur noch um folgendes: „Pandemie, Pandemie, Pandemie.“
Hält der Burgfrieden?
Doch kann das klappen, dass sich jetzt alle über den Tag hinaus hinter dem früheren Chefredakteur der „Kirchenzeitung für das Bistum Aachen“ scharen? Er ist der Kandidat der Vernunft ist – aus Sicht der Mehrheit im Vorstand. Aus Sicht der Bremer Bundestagsabgeordneten Elisabeth Motschmann startet hier das Projekt „Kanzlerkandidat gegen die eigene Parteibasis“.
Sachsen-Anhalts Landeschef Sven Schulze wollte Söder. Nun sagt er, man akzeptiere die Entscheidung des Vorstandes. Und wünscht sich im Kampf gegen die AfD Friedrich Merz im Wahlkampf für die Landtagswahl am 6.Juni. Und Junge-Union-Chef Tilman Kuban teilt mit, dass Laschet nun dringend die Kurve bekommen sollte: „Das Bild des gestrigen Abends war kein Bild eines Wahlsiegers, und so können wir nicht in den Wahlkampf ziehen.“
Neben dem Erfolg im Großen kann Laschet auch einen im Kleinen verbuchen. Als er im Adenauer-Haus um seine Kandidatur rang, wollte Michael May am Eingang nach 19 Jahren Mitgliedschaft seinen Parteiausweis abgeben. Sein Vater, 86 Jahre alt, ist letzte Woche an Covid-19 gestorben – May hatte vergeblich versucht, einen Impftermin zu bekommen, er kreidet der CDU die Impfprobleme an.
Als Laschet davon hörte, nahm er sich vor der Vorstandssitzung 20 Minuten, um May zuzuhören. May schlief eine Nacht über das Austrittsgesuch, am Dienstag meldet er sich per Telefon, zwei Minuten bevor Söder in München sagt: „Die Würfel sind gefallen“. May bleibt in der CDU, wegen Laschet: „Ich werde Wahlkampf für ihn machen.“