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CSU-Chef Markus Söder legt die Maske ab
© Annegret Hilse / REUTERS

Söder-Laschet-Showdown: Die lang geplante Falle des Franken-Machiavelli

In der Union herrscht ein Chaos mit gewaltiger Sprengwirkung, in der CDU gar Entsetzen. Wegen Söder. Und Angela Merkel? Die studiert lieber in ihren Akten.

Das sei heute, sagt Ralph Brinkhaus, eigentlich ein ganz normaler Vorgang. Die Parteivorsitzenden von CDU und CSU seien doch sowieso „ständige Gäste“ in der Unionsfraktion.

So muss man das vielleicht sagen, wenn man Vorsitzender der Abgeordneten von CDU wie CSU ist und also berufsbedingt unparteiisch. Nur, normal ist an diesem Dienstagnachmittag im Reichstagsgebäude überhaupt nichts.

Markus Söder ist vorhin die Treppe zum Plenarsaal hochgekommen, in dem sich in Corona-Zeiten die Unionsfraktion trifft. Durch diesen Eingang geht normalerweise Angela Merkel zu ihrem Platz auf der Regierungsbank. Söder wirkt angespannt, Fragen bescheidet er kurz: „Gut. Alles geht gut. Alles wird gut.“

Acht Minuten später will Armin Laschet die gleiche Treppe hoch. Als er die Journalisten sieht, nimmt er die auf der anderen Seite. Durch die geht es zur Länderbank für Ministerpräsidenten.

Nein, normal ist nichts. Zufällig stehen auf der Etage ein paar Wahlkabinen mit dunklen Vorhängen. Es soll keine Abstimmung geben, haben vorher alle Maßgeblichen versichert, aber schnell noch mal in der Geschäftsordnung nachgeschaut, ob nicht vielleicht doch, möglicherweise, spontan ...? „Dass wir in so eine Situation geraten sind, zeigt, wie schlecht das vorbereitet war“, sagt die Bremer Abgeordnete Elisabeth Motschmann, als sie ihren Mantel an der Garderobe abgibt.

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Ernst ist sie, diese Situation. Zwei Parteichefs erheben Anspruch auf die Kanzlerkandidatur, zwei Parteispitzen stellen sich jeweils hinter ihren Chef, und dann sagt der eine, das sei egal. Durch Söders Agieren, sagt ein CDU-Abgeordneter, sei die Lage unvorhersehbar geworden. Aber dass die Spitzen der CDU sich für Laschet entschieden hätten, fügt er noch an, ohne vorher die Abgeordneten anzuhören, sei auch nicht klug gewesen. Jetzt also Showdown in der Fraktion? „Das ist halt Demokratie“, sagt der Mann.

Die Wahrheit ist, dass es vor allem ein Chaos ist mit gewaltiger Sprengwirkung. In der CDU herrscht bei manchen seit dem Montag blankes Entsetzen. Besonders ausgeprägt ist es unter Führungsleuten, die am Sonntag dabei waren, als Söder vor dem Fraktionsvorstand das hohe Lied der Geschlossenheit sang und verkündete, wenn die CDU ihn nicht als Kandidaten wolle, werde er das akzeptieren.

Heute wissen sie: Das war kein Teamplay, sondern eine Falle. Söder dachte nicht daran, diese historische Chance an sich vorbeiziehen zu lassen.

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In der CSU wundern sie sich weniger. So kennen sie ihn, den Markus. Ein Machtmensch, der keinen Trick scheut und jede Schwäche ausnutzt. Horst Seehofer könnte stundenlang davon berichten.

Seit Söder dem Alten den CSU-Vorsitz und die Staatskanzlei abgejagt hatte, erschien er plötzlich verwandelt. Aber hinter dem Landesvater, dem Grünenversteher, dem strengen Coronabekämpfer steckt immer noch der Franken-Machiavelli. Sein Coup, im Rückblick wird das deutlich, war lange vorbereitet.

Seit Monaten raunt der Bayer düster von einem „Wimpernschlagfinale“ bei der Bundestagswahl im Herbst. Am Montagabend im bayerischen Fernsehen setzt er noch einen drauf: „Die eigentliche Krise wäre, die Wahl haushoch zu verlieren.“

Dass er bei den Leuten gerade populär ist als Krisenmanager, reicht nämlich nicht aus, um einen Vorsitzenden der großen Schwester aus dem Weg zu räumen. Die Angst muss dazukommen. Die Angst, dass Laschet im Umfragetal bleibt, und die Angst der Abgeordneten um das eigene Mandat.

 Armin Laschet, CDU-Bundesvorsitzender und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen
Armin Laschet, CDU-Bundesvorsitzender und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen
© Michael Kappeler/dpa

Die Angst hat ein reales Fundament. Die Umfragen sind ja kein Fantasieprodukt, die verbreitete Söder-Stimmung an der Basis auch nicht. Als Landeschef lässt sich das leichter ignorieren als als normaler Abgeordneter. Man kann den Unterschied ganz gut an Bernd Althusmann zeigen, dem Chef der Niedersachsen-CDU, und seinem Stellvertreter Fritz Güntzler. Althusmann hat im Präsidium für Laschet gesprochen. Sein Vize, Abgeordneter aus Göttingen, ist für Söder. „Man muss mit der Mannschaft auf den Platz gehen, mit der man auch gewinnt“, sagt Güntzler. Laschet solle weiter mitspielen. „Aber Markus Söder brauchen wir als Spielführer.“

Güntzler, nur zur Erklärung, ist Kapitän des FC Bundestag. Nur ist die Lage nicht mehr spielerisch zu bereinigen. Vor allem für Laschet nicht.

Söders Manöver ist so angelegt, dass es nur für ihn selbst in jedem Fall gut ausgeht; notfalls bleibt er halt unumschränkter Bayern-Herrscher. Aber wie will Laschet in den Kampf ziehen mit einem CSU-Chef, der ihm eine haushohe Niederlage zutraut? Laschet sei schon jetzt beschädigt, sagt ein anderer Christdemokrat. Wie er da rauskommen will – schleierhaft.

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Doch wenn der Bayer gewinnt, droht der gesamten CDU-Spitze der Fall in die Bedeutungslosigkeit. Söder hat ihr einhelliges Votum für Laschet schließlich für eher irrelevant erklärt in einer „modernen Form der Demokratie“. In der zählen Umfragen, überquellene CSU-Mail-Eingänge mit Ermunterungen und andere Stimmungsbarometer mehr als irgendwelche Gremien.

Eins hat Söder jedenfalls erreicht: Seine Verehrer in der CDU marschieren auf. Einer ist Christian Freiherr von Stetten. Der Vorsitzende des Wirtschaftsflügels in der Fraktion war lange glühender Friedrich-Merz-Fan, jetzt trommelt er für Söder.

Auch von Stetten hängt der modernen Form der Demokratie an. „Heute Morgen haben wir ein völlig neues Stimmungsbild“, sagt der Baden-Württemberger am Dienstag im Deutschlandfunk. In den Landesgruppen, in denen sich die Abgeordneten vor der Fraktionssitzung treffen, habe es deutlich mehr Wortmeldungen für Söder gegeben als für Laschet.

Unter der Hand kursieren Strichlisten – neun Redner pro Söder, sieben pro Laschet in Niedersachsen/Bremen, zum Beispiel. Laschet selbst besucht seine Nordrhein-Westfalen, mit 42 Mitgliedern die größte der CDU-Landsmannschaften. Er plädiert für ein „gutes, faires Miteinander“. Söder für seine Blutgrätsche angehen will er nicht.

Markus Söder (CSU, l), Ministerpräsident von Bayern und CSU-Vorsitzender, und Armin Laschet, CDU-Bundesvorsitzender und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen
Markus Söder (CSU, l), Ministerpräsident von Bayern und CSU-Vorsitzender, und Armin Laschet, CDU-Bundesvorsitzender und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen
© Michael Kappeler/dpa

Das übernimmt Landesgruppenchef Günter Krings. Söder habe deutlich gemacht, dass er nur Kandidat werden wolle, wenn die CDU ihn rufe. Diese Regel zu ändern und auch noch der CDU-Spitze die Legitimation abzusprechen, für die eigenen Mitglieder zu sprechen, das sei „hochproblematisch“.

Krings ist Jurist und hat den Punkt genau erkannt. Wenn Gremien nichts mehr gelten, kann man sie gleich abschaffen und durch Demoskopen ersetzen.

Noch ein anderer Nordrhein-Westfale meldet sich zu Wort, per Brief im Wahlkreis. Friedrich Merz wirft Söder vor, „innerhalb von wenigen Wochen den nächsten Parteivorsitzenden der CDU zu demontieren.“ Ob die CDU denn mal so eben den dritten Chef wählen solle? Ob die CSU das wirklich wolle?

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Ob die CSU das will, weiß man nicht. Ist aber auch nicht ihr Problem, also leugnet sie es einfach. Der Stil der Debatte sei einwandfrei, behauptet der CSU-Vormann Alexander Dobrindt, niemand werde beschädigt. Am Ende werde es ein „Team“ geben mit dem „besten Torjäger“ vornedran, und zwar gemessen an der Akzeptanz in der Partei, in der Fraktion und beim Wähler.

Die Bundeskanzlerin kommt nicht vor in der Aufzählung, obwohl sein Parteichef erst vor kurzem Angela Merkel eine Mitsprache in der K-Frage geben wollte. Merkel stellt am Mittag das neue Infektionsschutzgesetz vor und wird gefragt. „Ich wollte, will und werde mich da heraushalten“, sagt die Kanzlerin. Das tut sie später in der Fraktion mustergültig. Merkel studiert praktisch die ganzen gut vier Stunden lang Akten.

Die Kandidaten kommen zwei Mal zu Wort, zum Anfang und zum Schluss. Söder pocht auf seine guten Umfragewerte. Die seien jetzt so lange stabil, das werde bei der Wahl nicht anders sein. Die Union brauche die beste Aufstellung, nicht die angenehmste. „Es sind die Personen, die Wahlen entscheiden.“

Angst und Medienlieblinge

Laschet hält dagegen: „Wir brauchen keine One-Man-Show.“ Umfragen seien kurzlebig, Haltung dauerhaft – etwas, das man Söder nicht durchgängig nachsagen kann. Das würden die Medien schnell wieder alles ausgegraben, stichelt der CDU-Mann. Und was sein eigenes öffentliches Bild angehe: „Die großen Kanzler waren nicht immer die Lieblinge der Medien.“

Von oben durch die Glaskuppel kann man sie beide sehen auf der Ministerpräsidentenbank, drei Stühle dazwischen. Gut 60 Abgeordnete melden sich zu Wort. Ein Baden-Württemberger trägt Zuschriften seiner Basis vor, alle für den Bayern. In der Südwest-CDU ist die Angst besonders groß. Söder schürt sie: „Ist man Juniorpartner, bleibt man Juniorpartner.“

In seinem Schlusswort zeigt er sich „beeindruckt“ von der Debatte. Man müsse die jetzt „auf sich wirken lassen“.

Er dürfte dabei vor allem an Laschet denken. Der zeigt sich unbeeindruckt. Man habe nun ein Meinungsbild der Fraktion und ein Meinungsbild der Parteispitze, immerhin ja auch so ungefähr 60 Frauen und Männer. Ende der Woche werde entschieden.

Dass die meisten Redner für den Konkurrenten gesprochen hätten, wie eine Fragestellerin erfahren haben will, „das hab’ ich so nicht wahrgenommen.“

Söder dürfte die genaue Zahl genauso egal sein. Ihm reicht die grobe Botschaft des Tages: Von einer CDU, die geschlossen hinter ihrem Vorsitzenden steht, kann jedenfalls keine Rede sein.

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