Das Wichtigste zur Grundrente: Wer von der Reform profitiert – und wer nicht
Nach langem Streit hat sich die GroKo am Mittwoch auf den Renten-Zuschlag für Geringverdiener geeinigt. Er soll ab 2021 gelten. Die Reform im Überblick.
Nach monatelangem Streit hat die Bundesregierung an diesem Mittwoch die Grundrente beschlossen. Mehrmals wurde das Vorhaben vertagt, aus der Union gab es immer wieder Kritik an den Vorschlägen von Sozialminister Hubertus Heil. Für die SPD ist die Grundrente ein Vorzeigeprojekt, von dem Heil sich erhofft, dass es das Vertrauen in den Sozialstaat stärkt. Was Sie über das Projekt wissen müssen:
Wer profitiert von der Grundrente?
Die Grundrente wird für die Menschen eingeführt, die jahrzehntelang in die Rentenkasse eingezahlt haben, aber trotzdem im Alter nur eine niedrige Rente bekommen, weil sie beispielsweise ihr Leben lang zu geringen Löhnen gearbeitet haben. Rund 1,3 Millionen Menschen werden laut Bundessozialministerium ab dem Jahr 2021 von der neuen Leistung profitieren.
Überwiegend Frauen erhalten Grundrente, sie machen 70 Prozent der Empfänger aus. In Ostdeutschland ist der Anteil der Rentnerinnen und Rentner, die Anspruch darauf haben, höher als im Westen.
Das sind die Regeln im Einzelnen:
Um den Zuschlag zu erhalten, muss man sein Leben lang umgerechnet etwa 30 Prozent des Durchschnittsverdienstes gehabt haben und maximal 80 Prozent. Im vergangenen Jahr betrug diese Spanne etwa 972 bis 2593 Euro brutto.
Wer überwiegend Minijobs ausgeübt hat, bekommt deshalb in der Regel keine Grundrente. Wenn jemand sehr jung angefangen hat zu arbeiten, kann er auch trotz längerer Arbeitslosigkeit Anspruch auf Grundrente haben.
Maximal liegt die Grundrente bei monatlich knapp 400 Euro brutto. Für viele Rentnerinnen und Rentner dürfte der Aufschlag auf die Rente allerdings geringer ausfallen.
Bei den nötigen Beitragsjahren gibt es eine Staffelung:
- Voraussetzung für den vollen Erhalt der Grundrente ist, dass man auf 35 Beitragsjahre kommt – wobei Zeiten der Kindererziehung oder der Pflege von Angehörigen berücksichtigt werden.
- Zwischen 33 und 35 Beitragsjahren gibt es nur einen gestaffelten Zuschlag.
Was kann das bei einer Rente von rund 750 Euro monatlich bedeuten? Zwei Rechenbeispiele:
- Beispiel 1: Eine Sekretärin im Westen mit 38 Versicherungsjahren und zwei Kindern. Für die Grundrente werden nur 26 Jahre berücksichtigt, denn in den anderen Jahren kam sie nur auf Beiträge, die weniger als 30 Prozent des Durchschnittslohns betragen. In den 26 Jahren aber kam sie auf 70 Prozent. Die Rente beträgt 754 Euro - der Grundrentenzuschlag 75 Euro.
- Beispiel 2: Eine Verkäuferin in Dresden mit 39 Arbeitsjahren mit 60 Prozent des Durchschnittslohns ohne andere Einkünfte bekommt 746 Euro Rente - und 195 Euro Zuschlag.
Wie beeinflussen Rentenhöhe und andere Einkünfte die Höhe der Grundrente? Dafür soll es eine Einkommensprüfung geben:
- Für Alleinstehende ist ein Freibetrag von monatlich 1250 Euro vorgesehen, bei Paaren beträgt er 1950 Euro. Das bedeutet: Wenn das zu versteuernde Einkommen einschließlich der gesetzlichen Rente unter dieser Grenze liegt, erhält man den vollen Rentenzuschlag.
- Übersteigt das Einkommen den Freibetrag, wird die Grundrente oberhalb dieser Summe um 60 Prozent gemindert. Bei 1300 Euro Einkommen eines Alleinstehenden würden also 50 Euro zu 60 Prozent angerechnet - die Grundrente fiele 30 Euro niedriger aus. Liegt das Einkommen bei mehr als 1600 Euro beziehungsweise 2300 Euro, soll es zu vollen 100 Prozent auf den Grundrentenzuschlag angerechnet werden. Hat ein Ehepaar also zum Beispiel 2400 Euro Einkommen, vermindert sich die Grundrente um 100 Euro.
Außerdem wird ein Deckel eingezogen, ab dem der Zuschlag entfällt:
- Bei Alleinstehenden liegt dieser bei 1600 Euro, bei Paaren bei 2300 Euro.
Damit soll verhindert werden, dass Rentner die Leistung bekommen, die es finanziell nicht nötig hätten. Vermögen wird hingegen nicht berücksichtigt.
Die Grundrente soll automatisch ausgezahlt werden, ohne dass die Betroffenen einen Antrag ausfüllen müssen. Dafür muss allerdings ein Datenaustausch zwischen Rentenversicherung und Finanzämtern installiert werden, den selbst Minister Heil als ambitioniert bezeichnet.
Wer die Grundrente bekommt, wird verpflichtet, Kapitalerträge zu melden, die eine bestimmte Höhe überschreiten:
- 801 Euro für Alleinstehende, 1602 Euro für Ehepaare, entsprechend des Sparer-Pauschbetrags.
Um das zu überprüfen, soll es stichprobenartige Abfragen beim Bundeszentralamt für Steuern oder den Kreditinstituten geben.
Welche Einwände gibt es?
Kritiker wenden ein, dass die Grundrente das Problem der Altersarmut nicht beseitigt. Von Armut sind oft diejenigen bedroht, die nicht lange in die Rentenkasse eingezahlt haben und deshalb gar nicht erst auf die Beitragsjahre kommen, die für den Bezug der Grundrente erforderlich sind. Allerdings verfolgt die Koalition mit der Grundrente auch nicht das primäre Ziel, Armut zu vermeiden oder zu reduzieren.
Im Gesetzentwurf heißt es, die Menschen sollten eine Rente erwarten können, die der „Lebensleistung“ entspricht. Die Idee: Wer ein Leben lang gearbeitet hat, soll im Alter mehr haben als jemand, der wenig oder nicht gearbeitet hat. Die sei „eine Frage der Gerechtigkeit“, heißt es dort.
[Ein Leben lang arbeiten und trotzdem im Alter nicht genug Geld zum Leben haben? Warum eine Reinigungskraft die Grundrente hilfreich findet, lesen Sie hier.]
Ein weiteres Gegenargument lautet, dass Teilzeitbeschäftigte begünstigt würden. Tatsächlich macht es bei der Grundrente keinen Unterschied, ob jemand Teilzeit oder Vollzeit gearbeitet hat.
Die Rentenversicherung weiß nicht, warum jemand niedrige Beiträge gezahlt hat, es wird nur gezählt, welche Anwartschaften in Form von sogenannten Entgeltpunkten jemand im Laufe seines Arbeitslebens angesammelt hat – und nicht, mit welcher Stundenzahl dies passiert ist.
Es profitieren also auch diejenigen, die freiwillig teilzeitbeschäftigt waren und nicht nur diejenigen, die unfreiwillig keinen besseren Job gefunden haben. Diese „Unschärfe“ findet der Rentenexperte Gert Wagner allerdings vertretbar.
Er weist außerdem darauf hin, dass viele ältere Erwerbsbiografien noch davon geprägt seien, dass es lange Zeit strukturelle Arbeitslosigkeit gab, Kinderbetreuungsmöglichkeiten fehlten, Pflegeverpflichtungen nicht berücksichtigt wurden und der gesetzliche Mindestlohn noch nicht eingeführt worden sei.
Ein dritter Einwand lautet, dass die Rentenaufstockung nicht in allen Fällen dazu führen wird, dass die Betroffenen auch tatsächlich eine Rente oberhalb der staatlichen Grundsicherung erhalten. Vor allem in Großstädten mit hohen Wohnkosten kann dies passieren.
Damit die Betroffenen nicht schlechter dastehen, sieht der Gesetzentwurf neue Freibeträge beim Wohngeld und für die Grundsicherung im Alter vor, die dazu führen sollen, dass die Grundrente bei diesen Leistungen nicht angerechnet wird.
Was kostet die Grundrente und wie wird sie finanziert?
Das Sozialministerium beziffert die Kosten für die Grundrente im Einführungsjahr auf etwa 1,3 Milliarden Euro, bis 2025 sollen sie auf gut 1,6 Milliarden Euro steigen. Zum Vergleich: Die Mütterrente kostet insgesamt rund zehn Milliarden Euro im Jahr, die abschlagsfreie Rente mit 63 Jahren aktuell auch mehr als zwei Milliarden Euro. Zur Finanzierung der Grundrente soll der Steuerzuschuss an die Rentenversicherung dauerhaft erhöht werden.
Doch woher die Steuergelder kommen, lässt der Gesetzentwurf offen. Union und SPD haben verabredet, dass das Geld aus den Einnahmen der Finanztransaktionssteuer kommen soll. Doch bisher ist nicht klar, ob und wann eine solche Steuer auf europäischer oder nationaler Ebene eingeführt wird. In der Vergangenheit hatten Union und SPD ihre Rentenversprechen öfter aus den Rücklagen der Rentenkassen finanziert.
Relativ aufwendig und damit auch teuer ist die Einkommensprüfung. Gleich zum Start muss die Rentenversicherung nicht nur für Neurentner, sondern auch für Bestandsrentner prüfen, ob diese einen Anspruch haben.
Ein Jahr lang sollen 640 Beschäftigte für diese Aufgabe eingesetzt werden, dafür veranschlagt der Bund Kosten in Höhe von knapp 75 Millionen Euro. Allerdings wäre eine Bedürftigkeitsprüfung, wie die Union sie ursprünglich wollte, auch nicht trivial gewesen, denn hier hätten auch Vermögen überprüft werden müssen.
Wie geht es in der Rentenpolitik weiter?
Nach der Grundrente hat Sozialminister Heil das nächste Rentenprojekt in Arbeit: die Vorsorgepflicht für Selbstständige. Zu viele Freiberufler sorgen nach Ansicht des SPD-Politikers nicht ausreichend fürs Alter vor.
Sie sollen künftig verpflichtet werden, entweder in die gesetzliche Rentenkasse einzuzahlen oder anderweitig etwas zurückzulegen, damit sie im Alter nicht auf die staatliche Grundsicherung angewiesen sind. Im vergangenen Sommer fanden dazu erste Fachgespräche mit den Verbänden im Ministerium statt, bald soll ein Gesetzentwurf folgen.
Doch während Union und SPD sich bei dieser Frage zumindest im Grundsatz einig sind, dürfte es an anderer Stelle deutlich schwieriger werden. Seit dem Sommer 2018 arbeitet eine Rentenkommission an Vorschlägen, wie die Rente ab 2025 „verlässlich“ finanziert werden kann.
Die Runde aus Politikern, Wissenschaftlern, sowie Vertretern der Arbeitgeber und der Gewerkschaften berät unter anderem über das Rentenniveau und die langfristige Höhe der Rentenbeiträge, aber auch über die Frage, wie künftig die jährliche Rentenanpassung berechnet werden oder die betriebliche Altersvorsorge verbindlicher werden kann.
Bisher hatte die Runde sich Stillschweigen verordnet, am 10. März sollten die Empfehlungen an Sozialminister Heil übergeben werden. Doch der Wissenschaftler Axel Börsch-Supan klagte vor Kurzem auf einer Tagung über „Denkverbote“, etwa bei der Frage des Renteneintrittsalters, und sorgte damit intern für Unmut.
Doch selbst wenn die Kommission sich zusammenraufen sollte, bleibt eine Frage offen: Kann die große Koalition in dieser Wahlperiode noch ausreichend Kraft aufbringen, ein großes Rentenpaket zu schnüren?