Rentenexperte Gert Wagner zu den Koalitionsplänen: "Die Grundrente wird den heute Berufstätigen ein Sicherheitsgefühl verschaffen"
Belastet die Grundrente die Jungen? Im Vergleich zu den gesamten Rentenkosten gehe es um marginale Beträge, sagt der Rentenexperte Wagner. Ein Interview.
Nach langem Streit hat die große Koalition eine Grundrente mit Einkommensprüfung beschlossen. Ein fauler oder ein vernünftiger Kompromiss?
Als Wissenschaftler darf ich das nicht mit Noten versehen. Aber als Staatsbürger kann ich sagen: Ich halte das für eine vernünftige Lösung. Die Menschen wollen sowohl Leistungsgerechtigkeit wie Bedarfsgerechtigkeit. Das bedeutet: Wer lange gearbeitet hat, sollte im Alter mehr rausbekommen als jemand, der nie gearbeitet hat. Gleichzeitig erhält man die Grundrente nur, wenn man einen Bedarf hat, dafür sorgt die Einkommensanrechnung.
Die Union wollte ursprünglich eine Bedürftigkeitsprüfung, bei der die Betroffenen ihre kompletten Einkommens- und Vermögensverhältnisse offenlegen müssen.
Das hätte mit einer „Respekt-Rente“ nur wenig zu tun. Ich persönlich finde es richtig, dass die Menschen nicht zum Amt gehen, Anträge ausfüllen und sich komplett offenbaren müssen. Dass die Rentenversicherung von den Finanzämtern die Daten für den Einkommensabgleich erhält, ist eine elegante Lösung. Noch besser fände ich es allerdings, wenn die Grundrente erstmal komplett ausgezahlt wird und das Finanzamt dann die Einkommensanrechnung übernimmt. Dann müssten auch keinerlei Daten zwischen Finanzämtern und der Rentenversicherung ausgetauscht werden.
Gäbe es weitere Vorteile?
Innerhalb von Ehen hätte der weniger verdienende Partner dann mit der Grundrente ein ordentliches Einkommen auf dem Konto. Damit würde sichtbar, dass eine Lebensleistung honoriert wird. Das könnte auch in der einen oder anderen Ehe für mehr Gleichberechtigung sorgen.
Die Junge Union kritisiert, dass der Kompromiss vor allem die junge Generation belastet. Ist der Einwand berechtigt?
Natürlich zahlen die Jüngeren für die höheren Renten. Aber im Vergleich zu den gesamten Rentenkosten geht es um marginale Beträge. Das Gute an der Grundrente ist außerdem, dass sie auch den heute Berufstätigen ein Sicherheitsgefühl verschaffen wird.
Inwiefern?
Die Deregulierung des Arbeitsmarktes hat nicht nur Vorteile, nämlich mehr Arbeitsplätze, sondern auch ihren Preis. Viele Erwerbstätige wissen nicht, ob sie im Alter eine auskömmliche Rente haben werden oder an der Armutsgrenze landen. Diese Unsicherheit zu verkleinern, gehört zu einer vernünftigen Gesellschaftspolitik. Die nützt auch den Arbeitgebern, die von der Deregulierung profitiert haben.
Kann die Grundrente denn einen Beitrag gegen Altersarmut leisten?
Nur einen kleinen Beitrag. Die Grundrente ist aber auch nicht in erster Linie gedacht, Altersarmut zu vermeiden, sondern Respekt zu erweisen.
Wie groß ist denn das Problem der Altersarmut?
Altersarmut wird in den nächsten Jahren zunehmen. Das liegt daran, dass Erwerbsverläufe heterogener geworden sind. In Ostdeutschland gehen außerdem zunehmend Menschen in Rente, die nach der Wiedervereinigung Probleme am Arbeitsmarkt hatten. Auf der anderen Seite nimmt bei den Jüngeren die Frauenerwerbstätigkeit zu, auch wegen der besseren Kinderbetreuung. Das wiederum verringert auf Dauer das Armutsrisiko.
Was kann die Politik gegen Altersarmut tun?
Es gibt viele Stellschrauben, um Altersarmut zu verkleinern, vom Mindestlohn bis zum Ausbau der Kinderbetreuung. Die Koalition plant eine Vorsorgepflicht für Selbstständige. Die wird definitiv gegen Altersarmut helfen, denn im Moment landen zu viele ehemalige Selbstständige in der Grundsicherung, weil sie nicht ausreichend fürs Alter vorgesorgt haben. Aber natürlich müssen wir auch über das Rentenniveau reden. Die Beratungen dazu in der Rentenkommission sind naturgemäß nicht einfach.
Der Berliner Wirtschaftswissenschaftler Professor Gert G. Wagner ist Rentenexperte und Mitglied der Rentenkommission der Bundesregierung