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Die neue Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Die Grünen) traf am Montag ihren ukrainischen Kollegen Dmytro Kuleba in Kiew.
© Ukrainian Foreign Ministry via REUTERS

Präventivsanktionen gegen Russland: Wer Frieden will, muss sich wehren können

Sanktionen nach einem Angriff auf die Ukraine genügen nicht. Der Westen muss Putin aktiv unter Druck setzen. Und Berlin neue Gasversorger finden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Kommt der Krieg, kommt er nicht? Eine unerträgliche Ungewissheit lastet auf Europa. Schon das ist ein Skandal. Und ebenso, dass ein Mitglied des UN-Sicherheitsrats, der doch den Frieden bewahren soll, einem Nachbarland mit Angriff droht.

Eine Woche der Gespräche auf verschiedenen Ebenen – Amerikaner und Russen in Genf, der Nato-Russland-Rat in Brüssel, die OSZE in Wien – hat gezeigt: Wladimir Putin lügt, wenn er behauptet, es gehe ihm um Sicherheitsgarantien.

Niemand stellt Grenzen und Unabhängigkeit Russlands in Frage, wohl aber Putin Grenzen und Unabhängigkeit der Ukraine und weiterer Nachbarstaaten.

Er will nicht, wie angeboten, über Sicherheit und Abrüstung verhandeln. Er verlangt ein Ende der vereinbarten Friedensordnung in Europa. Russlands Nachbarn sollen wieder Untertanen sein wie in Sowjetzeiten. Das ist unannehmbar.

Wer nachgibt, ermuntert Putin zur nächsten Forderung

Was können Deutschland, Europa, die USA tun, um den Frieden zu retten? Der Westen müsse ihm einen gesichtswahrenden Ausweg anbieten, sagen manche. Nur, was soll das sein? Ihm die Ukraine, Georgien, Moldawien als Kolonien überlassen? Das wäre ein Verrat an den Menschen dort.

Zudem verlangt er mehr: Polen, Balten, Tschechen, Ungarn – alle, die unter Sowjetherrschaft waren, sollen wieder raus aus der Nato und unter Moskaus Herrschaft. Wer da nachgibt, ermuntert Putin zur nächsten Forderung.

Wer den Frieden will, muss den Krieg vorbereiten. Der Rat Platos und Ciceros aus der Antike zur Abschreckung ist bis heute gültig. Das zwingt nicht gleich dazu, die Ukraine militärisch zu verteidigen. Der Westen kann seine vielfältigen Ressourcen nutzen, um Russlands Expansionspläne abzuwehren, ohne einen Schuss abzufeuern.

Putin verbündet sich mit Väterchen Frost

Das gelang einst in der Berliner Luftbrücke. Und vor neun Monaten, als Putin ebenfalls Truppen an der Grenze zur Ukraine aufmarschieren ließ, aber wieder abzog, nachdem der Westen harte Sanktionen androhte. Zudem gaben die USA den Ukrainern mehr Mittel zur Selbstverteidigung.

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Warum versucht Putin es jetzt erneut? Weil Winter herrscht, und viele Europäer mit russischem Gas heizen. Er verbündet sich mit Väterchen Frost und hofft, Sanktionen als Antwort auf einen Angriff abzuwenden, wenn er die Abhängigkeit vorführt.

An diesem Dienstag bespricht Baerbock die Lage mit Wladimir Putins Außenminister Sergej Lawrow. Der ist nicht für Höflichkeit bekannt.
An diesem Dienstag bespricht Baerbock die Lage mit Wladimir Putins Außenminister Sergej Lawrow. Der ist nicht für Höflichkeit bekannt.
© picture alliance/dpa/POOL TASS Host Photo Agency/AP

In Deutschland ist sie besonders groß. Den Konflikt vorbereiten, um den Frieden zu sichern, heißt: die Verletzbarkeit verringern, um Putin die Erpressung zu erschweren. Und: nicht erst auf Putins Drohungen reagieren, sondern proaktiv handeln, um ihn unter Druck zu setzen.

Berlin braucht einen Notfallplan für die Gasversorgung

Deutschland braucht einen Notfallplan, wie es die Gasversorgung sicherstellt, wenn Russland im Krieg nicht liefert. Die große Koalition hat das sträflich vernachlässigt.

Andere Länder bauten Terminals für den Import von Flüssiggas. 36 sind in Europa in Betrieb. Deutschland begann erst spät, vier zu planen.

Die Ampel-Koalition sollte zudem festlegen: Eine Betriebsgenehmigung für Nord Stream 2 wird überhaupt erst geprüft, wenn Putin seine Truppen abgezogen hat. Statt dessen druckst die SPD herum, ob das Aus für die Pipeline als Strafe folgt, falls Putin die Ukraine angreift.

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Auch für andere Sanktionen gilt: Drohungen, was der Westen gegebenenfalls täte, wenn Putin den Krieg ausweitet, genügen nicht. Er zeigt den Demokratien den Mittelfinger.

Vom Reagieren zum präventiven Handeln

Besser wäre es, die Sanktionen wegen des Truppenaufmarschs zu verschärfen und Putin anzubieten, sie zu reduzieren, sobald er die Truppen abzieht. Warum nicht Russland für ein paar Tage vom Dollar-Verrechnungssystem Swift ausschließen, um der Machtclique in Moskau die Folgen vor Augen zu führen? Gewiss, darunter leiden auch westliche Firmen. Doch solche Verluste sind leichter zu tragen als Krieg. Frieden gibt es nicht umsonst.

Niemand weiß verlässlich, ob Putin sich noch abhalten lässt oder den Angriff längst beschlossen hat und nur einen Vorwand sucht. Das Umschalten von Reaktionsdrohung auf präventives Handeln ist so oder so geboten: weil es entweder den Krieg verhindert. Oder Europa, wenn der Krieg kommt, weniger abhängig vom Aggressor macht.

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