zum Hauptinhalt
Sie kennen sich: Putin und Merkel in Sotchi im Mai 2018.
© Reuters/Sputnik/Mikhail Klimentyev

Putins lässt russische Truppen abziehen: Ein Sieg der Zivilität wie einst bei der Luftbrücke

Der Abbruch des Aufmarschs gegen die Ukraine ist ein Erfolg westlicher Entschlossenheit. Der nächste Test kommt spätestens, wenn Merkel abtritt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Der Westen hat diesen Test bestanden. Wie einst bei der Berlin-Blockade verfügt er über nicht-militärische Mittel, mit denen er Aggressoren von einem Eroberungskrieg in Europa abschrecken kann.

Seit Wochen ließ Wladimir Putin russische Truppen auf der annektierten Krim und an der Ostgrenze der Ukraine aufmarschieren, um das Land von zwei Seiten in die Zange zu nehmen. Europa musste fürchten, dass der eingefrorene Konflikt in der Ukraine erneut zu einem heißen Krieg eskaliert und Putin mehr Gelände besetzen möchte.

Nun ordnete Verteidigungsminister Sergej Schoigu den Rückzug an. Laut Medienberichten hat Moskau tatsächlich begonnen, Truppen wieder ins Hinterland zu verlegen. Ob er den Abzug vollendet, wird man freilich genau beobachten müssen.

Der Westen vermeidet den militärischen Showdown

Doch wenn es so kommt: Welche Strategie ermöglichte den Erfolg? Der Westen reagierte einig und entschlossen. Die Staats- und Regierungschefs in den USA und Europa warnten Putin eindringlich, er müsse mit ernsten ökonomischen und politischen Konsequenzen rechnen, wenn er die Ukraine erneut angreift.

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Niemand im Westen drohte ernsthaft, die Ukraine militärisch zu verteidigen. Sie gehört auch nicht zum Nato-Gebiet. Unter Bündnispartnern wäre das Eintreten füreinander, also die kollektive Verteidigung, zwingend. Aber auch die nicht-militärischen Mittel reichten offenbar, um Putin zum Einlenken zu bewegen.

Das erinnert an den Erfolg der Berliner Luftbrücke. Als die Sowjets die Versorgungskorridore in den Westteil der Stadt absperrten, ließen sich Amerikaner, Briten und Franzosen auch nicht auf einen militärischen Showdown ein. Sie zeigten, dass sie dem sowjetischen Erpressungsversuch mit Panzern eine nicht-kriegerische Antwort entgegensetzen können: die Versorgung der Stadt über die Luftbrücke. Entschlossenheit und wohlbedachte Nutzung des eigenen Potenzials verhinderten den Krieg – und brachten am Ende den Erfolg.

Zu Putins Optionen gegen die Ukraine zählt Nord Stream

Das Ringen mit Putin um die Ukraine und ihre Zukunft ist noch lange nicht gewonnen, nur weil Putin den Aufmarsch beendet und den Rückzug einleitet. Er hat noch immer viele Möglichkeiten, die Ukraine an ihrem Weg zu einem westlichen Gesellschaftsmodell zu hindern. Auch die Gaspipeline Nord Stream, mit der er Kiew die Einnahmen aus dem Gastransit nehmen möchte, gehört zu diesen Optionen.

[Jeden Donnerstag die wichtigsten Entwicklungen aus Amerika direkt ins Postfach – mit dem Newsletter „Washington Weekly“ unserer USA-Korrespondentin Juliane Schäuble. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung]

Parallel verhandelt Putin mit Aleksandr Lukaschenko, dem Staatschef von Belarus, der sich trotz Wahlfälschung an der Macht halten möchte. Putin möchte Belarus fest an Russland binden und bittet Lukaschenko Hilfe an, sofern der russische Truppen stationiert. Angeblich sollen sie Lukaschenko vor einem ebenso angeblich vom Westen organisierten Staatsstreich schützen.

Tatsächlich wäre ihre Funktion, bei der Niederschlagung der Oppositionsbewegung zu helfen. Und dauerhaft zu bleiben als Faustpfand, dass auch die Menschen in Belarus unter russischer Dominanz bleiben und ihren Freiheitswillen opfern müssen.

Eine Union mit Belarus führt zur militärischen Umzingelung der Ukraine

Ein zusätzlicher strategischer Nutzen: Dann wäre die Ukraine auf drei Seiten von russischen Truppen umzingelt, im Süden von der besetzten Krim, im Osten durch Russland, im Norden durch Putins Verbände in Belarus.

Gerade deshalb ist es so wichtig, dass sich Europa und die USA bei diesem Überrumpelungsversuch Putins auf eine zivile Art standhaft und entschlossen gezeigt haben. Er hält den Westen für dekadent und spekuliert, die einzelnen Staaten seien zu egoistisch, um gemeinsame Werte und Interessen auf Dauer gemeinsam zu vertreten. Schon nach der Annexion der Krim 2014 hatte er geglaubt, dass das Sanktionsbündnis gegen ihn bald aufweichen werde. Es überrascht ihn, dass es bereits sieben Jahre hält.

Moskau wird auch die neue Bundesregierung testen

Er wird den Westen immer wieder testen – jetzt nach dem Amtsantritt eines neuen US-Präsidenten. Und demnächst, wenn die Ära Merkel zu Ende geht und eine neue Bundesregierung die Macht übernimmt. Merkel ist mit all ihrer Erfahrung und Russland-Kenntnis wohl die westliche Gegenspielerin, die Putin am ernstesten nehmen muss. Gilt das auch für ihre Nachfolger?

Die Lehre des jüngsten Tests lautet: Gemeinsam haben die EU und die USA ein 15 Mal größeres Wirtschaftspotenzial als Russland. Sie müssen es nur konsequent einsetzen. Dann brauchen sie Putins Provokationen und Aggressionen nicht zu fürchten.

Zur Startseite