Mohammed bin Salman: Was treibt den saudischen Thronfolger an?
Mohammed bin Salman erkennt Israels Existenzrecht an, bekämpft den Iran und will sein Land modernisieren. Wie mächtig ist der saudische Prinz? Eine Analyse.
Die Sätze kommen einer politischen Sensation gleich. Denn es sind völlig neue, weil versöhnliche Töne. Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman reicht Israel die Hand, erkennt sogar die Existenz des jüdischen Staats an. „Ich glaube, dass alle Menschen, überall, das Recht haben, friedlich in ihrem Staat zu leben“, sagte der 32-Jährige dem US-Magazin „The Atlantic“. Und: „Ich glaube, dass Palästinenser und Israelis das Recht auf ihr eigenes Land haben.“
Das ist kaum weniger als ein Bruch mit der jahrzehntealten anti-israelischen Tradition seines Landes und der arabischen Welt. Noch nie zuvor hat ein derart hoher Vertreter Saudi-Arabiens den Juden das Recht auf einen eigenen Staat zugesprochen.
Dabei gibt es nach wie vor keine diplomatischen Beziehungen zwischen Riad und Jerusalem. Seit Jahren beharren die Saudis darauf, Israel erst anzuerkennen, wenn es sich aus den im Sechstagekrieg 1967 besetzten Gebieten zurückziehe.
Doch dies scheint für Prinz Salman – dem eigentlichen, oft eigenwilligen Machthaber im sunnitischen Königreich – keine relevante Rolle mehr zu spielen. Der Kampf gegen die „Zionisten“ soll offenbar möglichst ein Ende haben, weil ein anderer aus Sicht der Golfmonarchie entscheidender ist: der gegen den verhassten Iran.
Warum geht Saudi-Arabien auf Israel zu?
Auch wenn es überraschend anmuten mag: Zwischen beiden Staaten stehen die Zeichen schon seit einigen Monaten auf Annäherung, ja, Entspannung. Nur ist es bis heute in der arabischen Welt ideologisch nicht opportun, mit Israel gemeinsame Sache zu machen.
Wesentlich offener gehen die Verantwortlichen in Jerusalem mit dem neuen Einvernehmen um. Hochrangige Regierungsmitglieder und Militärs haben wohldosiert publik gemacht, wie gut man sich inzwischen mit Saudi-Arabien vor allem in Sicherheitsfragen versteht. Auch von einem Austausch nachrichtendienstlicher Informationen war schon mehrfach die Rede. Im September 2017 soll bin Salman sogar Israel einen geheimen Besuch abgestattet haben.
Nun gibt der Thronfolger unumwunden zu, dass Israel und Saudi-Arabien gemeinsame Interessen haben. Er hätte auch sagen können: einen gemeinsamen Feind namens Iran. „Es geht darum, eine Front gegen Teheran zu bilden“, sagt Sebastian Sons von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. „Insofern ist Israel, neben den USA mit Präsident Donald Trump, ein willkommener Partner.“ Denn gerade diese drei Länder sehen im Iran und seinem Expansionsdrang in der Region eine ernsthafte Bedrohung.
Was könnte die Anerkennung Israels für den Nahostkonflikt bedeuten?
Seit vielen Jahren versucht Saudi-Arabien, eine Übereinkunft zwischen Israelis und Palästinensern zu vermitteln. Erfolgreich war das Königshaus dabei nicht. Doch an einer Zweistaatenlösung hält auch bin Salman fest. In dem Interview mit „The Atlantic“ pocht der Prinz weiter auf ein Friedensabkommen zwischen den Konfliktparteien – „um Stabilität für alle zu sichern und normale Beziehungen zu haben“. Israelis und Palästinenser sollten Seite an Seite leben. Allerdings müssten die muslimischen Stätten in Jerusalem geschützt werden.
Das wirkt auf den ersten Blick, als seien die Saudis der palästinensischen Sache noch verpflichtet. Offiziell mag das auch der Fall sein. Allerdings kursieren seit Monaten Gerüchte, wonach bin Salman hinter den Kulissen eine ganz andere Linie verfolgt. Die würde das Ende der viel beschworenen Solidarität mit den „arabischen Brüdern und Schwestern“ bedeuten.
Mehrfach haben demnach Gesandte des mächtigen saudischen Prinzen der Palästinenserführung unmissverständlich klargemacht, dass sie sich keine Illusionen über die Zukunft ihres Volkes machen sollten. Forderungen wie ein Rückkehrrecht der Flüchtlinge oder Ost-Jerusalem als Palästinas Hauptstadt müssten sie aufgeben. Mehr als eine selbstverwaltete Souveränität im Westjordanland sei nicht machbar.
Mit anderen Worten: Israel werden als potenziellem Verbündeten gegen den Iran Zugeständnisse gemacht, die Palästinenser gehen leer aus. Saudi-Arabien bereitet so womöglich das Terrain für die USA. Trump will bald seinen „ultimativen Deal“ zur Lösung des Nahostkonflikts präsentieren.
Dass dieser zugunsten des jüdischen Staats ausfällt, ist zumindest vorstellbar. Und Prinz Salman wird sich dem wohl nicht entgegenstellen. Zumal ihn und Trumps Schwiegersohn Jared Kushner ein fast freundschaftliches Verhältnis verbindet. Der wiederum soll als Nahost-Berater des US-Präsidenten Palästinenser wie Israelis Amerikas Konzept für einen Frieden schmackhaft machen. Ob das von den anderen arabischen Herrschern goutiert wird, ist eine ganz andere Frage.
Welchen Kurs verfolgt bin Salman außenpolitisch?
Einen sehr rigiden, aus mehreren Gründen. Zum einen betrachtet sich Saudi-Arabien selbst als Führungsmacht der arabischen und muslimischen Welt. Und wehe, diese Rolle wird infrage gestellt. Wer das wagt, bekommt den Zorn des Königshauses zu spüren. Das kleine Katar zum Beispiel soll vom großen Nachbarn mit einer vor Monaten verhängten Blockade auf Kurs gebracht werden.
Die Herrschenden in Riad sehen mit großem Missfallen, dass das Emirat außenpolitisch eigene Wege geht. Vor allem dessen Nähe zum Iran erregt den Unmut der Saudis. Schließlich gelten die Mullahs in Teheran als erklärte Erzfeinde. Das ist das andere, entscheidende Motiv für das aggressive Agieren des Königsreichs in der Region.
Auch bin Salman folgt dieser Lesart. Im Gespräch mit „The Atlantic“ verglich er Irans obersten Religionsführer, Ajatollah Ali Chamenei, zum wiederholten Mal mit Hitler. „Ich glaube, dass der oberste iranische Führer Hitler gut aussehen lässt.“ Während dieser lediglich versucht habe, Europa zu erobern, wolle Chamenei sich die ganze Welt untertan machen.
Diese „Iranoia“ hat erhebliche Folgen. Im bitterarmen Jemen zum Beispiel führt Saudi-Arabien seit drei Jahren einen verheerenden, gleichwohl wenig erfolgreichen Krieg gegen die aufständischen Huthi-Rebellen – nicht zuletzt, weil sie als Verbündete des Iran gelten. Vor der eigenen Haustür will man einen wie auch immer gearteten schiitischen Einfluss keinesfalls dulden. „Mit einem konstruktiven Vorgehen hat das alles wenig zu tun“, sagt Saudi-Arabien-Experte Sons. „Bin Salman vertieft vielmehr die Gräben und verschärft so die Konflikte in der Region.“
Wie gefestigt ist die Macht des Thronfolgers im Innern?
Der harsche Anti-Iran-Kurs kommt in Saudi-Arabien gut an – und sichert bin Salman Rückhalt in der Bevölkerung. Den benötigt der junge Prinz auch, um die von ihm als überfällig erachtete Modernisierung und Öffnung der erzkonservativen Monarchie auf den Weg zu bringen.
Und derzeit wagt es niemand aus dem Establishment, sich ihm in den Weg zu stellen. Potenzielle Widersacher in den eigenen Reihen hat bin Salman inzwischen ausgeschaltet. Auch mächtige Geschäftsleute und Beamte wissen, dass sie sich besser nicht mit dem Kronprinzen anlegen. Anfang des Jahres ließ er einige Dutzend von ihnen kurzerhand in einem Luxushotel festsetzen. Sie wurden der Korruption beschuldigt und mussten sich mit hohen Millionenbeträgen freikaufen.
Der Prinz will sein Land reformieren. Was verspricht er sich davon?
Bin Salman versteht sich als Reformer, will sein Land umkrempeln. An erster Stelle steht dabei die Wirtschaft. Sie soll vom Öl als Einnahmequelle unabhängig gemacht werden. Dazu gehört die Liberalisierung der Gesellschaft. Frauen dürfen künftig Auto fahren, die Schleierpflicht soll fallen, Kinos werden eröffnet.
Doch ob es wirklich zu einer tiefgreifenden Veränderung kommt, die zum Beispiel von der Jugend eingeforderte Jobs bringt, ist völlig offen. Womöglich überfordert der Prinz sein Land, will zu schnell zu viel. Mit Demokratie oder Menschenrechten hat das alles ohnehin nichts zu tun. Auch der restriktive Wahhabismus als religiöses Staatsfundament wird nicht generell infrage gestellt.
Für Mohammed bin Salman geht es um Machterhalt und die Stabilität des Königshauses. Der Prinz mag sich als Erneuerer geben – ein arabischer Autokrat bleibt er dennoch. Aber eben einer, der über Jahrzehnte dem Nahen Osten seinen Stempel aufdrücken könnte.