Naher Osten: Saudi-Arabien wirft Iran Kriegstreiberei vor
Nicht nur im Libanon: Warum der Konflikt zwischen den Erzrivalen Saudi-Arabien und Iran für die Region so gefährlich ist - eine Analyse.
Es herrscht große Unruhe in der Krisenregion Nahost. Von „militärischer Aggression“ ist die Rede, von „feindlichen Handlungen“ und „kriegerischen Akten“. An Warnungen mangelt es ebenso wenig wie an wortgewaltigen Drohkulissen.
Die Kontrahenten: der Iran und Saudi-Arabien, seit Jahren Erzrivalen um die Führungsrolle in der Region. Der Leidtragende: der ohnehin fragile Libanon. Doch der Groß-Konflikt – der nicht zuletzt einer zwischen Schiiten und Sunniten ist, den beiden islamischen Glaubensrichtungen – erschüttert die gesamte arabische Welt. Und alarmiert jene, die mit den Kontrahenten sowohl politisch als auch wirtschaftlich verbunden sind.
Ausgelöst wurde der jüngste Streit zwischen den Herrschenden in Teheran und Riad durch einen Politiker, der vor wenigen Tagen aus Land und Amt geflüchtet war. Saad Hariri, Libanons gerade mal seit einem Jahr amtierender Ministerpräsident, hat sich aus seiner Heimat Richtung Saudi-Arabien abgesetzt.
Ein Mordkomplott gegen ihn sei im Gange, er fürchte um sein Leben, so begründete der 47-Jährige seine spektakuläre Flucht. Die Angst kommt nicht von ungefähr. Vater Rafik starb 2005 durch einen Bombenanschlag, hinter dem neben Syrien auch die Hisbollah gestanden haben soll.
Die Hisbollah - ein Staat im Staat
Hariri macht für seinen Rücktritt ebenfalls die hochgerüstete Schiitenmiliz verantwortlich. Die „Partei Gottes“ habe im Libanon als verlängerter Arm des Iran einen „Staat im Staat“ gebildet, klagte der Politiker und Geschäftsmann. In jüngster Zeit seien von der Hisbollah „mit der Kraft ihrer Waffen Tatsachen geschaffen“ worden. Und hinter all dem stecke letztendlich Teheran. Die Islamische Republik setze alles daran, ihren Einfluss nicht nur im Libanon auszubauen.
Diese Einschätzung ist alles andere als abwegig. Der Iran – durch den Atomdeal von vielen Sanktionen befreit – mischt mittlerweile an vielen Fronten mit. In Syrien zum Beispiel kämpfen von Teheran finanzierte und ausgebildete Schiiten-Brigaden aufseiten von Baschar al Assad.
Eine besondere Rolle spielt dabei – neben den berüchtigten Revolutionsgarden – die Hisbollah. Viele militärische Erfolge verdankt der Machthaber in Damaskus den Kämpfern der Islamisten-Organisation.
Hinter dem militärischen Engagement im Nachbarland steckt eine weitreichende Agenda und Strategie: Den Mullahs geht es vorrangig darum, einen „schiitischen Halbmond“ zu etablieren. Also ein vom Iran dominiertes Einflussgebiet, das vom Persischen Golf bis zum Mittelmeer reichen soll.
Das ruft nicht nur Israel auf den Plan, das sich vom Iran wie von der Hisbollah bedroht fühlt und schon lange vor Teherans Expansion warnt. Auch Saudi-Arabien ist mehr als beunruhigt. Im dortigen Königshaus herrscht eine regelrechte Iranoia. Die sunnitischen Herrscher sehen sich geradezu umzingelt.
Nach ihrer Lesart setzen die Regierenden in Teheran alles daran, der Region ihren machtpolitischen Stempel aufzudrücken – zu Lasten Saudi-Arabiens. Kein Wunder, dass die Libanon-Krise zu harschen Reaktionen führt. Die Nerven scheinen regelrecht blank zu liegen. „Wir werden die Regierung in Beirut wegen der Hisbollah als eine Regierung betrachten, die Saudi-Arabien den Krieg erklärt“, polterte Thamer al Sabhan, Minister für die Golf-Region.
Innenpolitische Turbulenzen im Königshaus
Was diese „Kriegserklärung“ tatsächlich bedeutet, ist allerdings unklar. Beobachter gehen davon aus, dass damit zunächst einmal wirtschaftliche Strafmaßnahmen gemeint sein könnten.
All die gegen den Iran erhobenen Vorwürfe weist die Regierung in Teheran scharf zurück. Auch Hassan Nasrallah, Anführer der Hisbollah, betonte in einer seiner seltenen TV-Ansprachen, er habe mit dem Rücktritt und der Flucht Hariris nichts zu tun. Es gibt in der Tat auch Stimmen, die betonen, der Konflikt könnte von Saudi-Arabien mithilfe des sunnitischen Premiers gezielt geschürt worden sein.
Womöglich sogar als Ablenkungsmanöver. Vor wenigen Tagen hat Kronprinz Mohammed bin Salman viele Mitglieder des Königshauses und Minister als potenzielle Widersacher ausgeschaltet. Der Vorwurf: Korruption.
Dafür erhielt er sogar Lob von US-Präsident Donald Trump. Er habe großes Vertrauen in König Salman und dessen Thronfolger. „Sie wissen genau, was sie tun.“ Doch die Unterstützung aus Washington kann nicht darüber hinwegtäuschen: Innenpolitisch rumort es in Saudi-Arabien heftig.
Auch der Konflikt im Jemen eskaliert
Der Streit mit dem Iran gehört allerdings zu den Grundkonstanten in der Region. Auch im bitterarmen Jemen stehen sich Riad und Teheran feindselig gegenüber. Saudi-Arabien hat im März 2015 in den dortigen Bürgerkrieg zugunsten der sunnitischen Regierung eingegriffen. Der Iran wiederum steht den aufständischen, schiitisch geprägten Huthi-Milizen bei.
Dieser Stellvertreterkrieg ist jetzt ebenfalls eskaliert. Am Samstag fing die saudische Flugabwehr eine womöglich aus dem Jemen abgefeuerte Rakete ab, die Riad bedrohte. Kronprinz Salman machte dafür sogleich den Iran verantwortlich: „Das könnte einem Kriegsakt gegen das Königreich gleichkommen.“
Mit anderen Worten: Im Nahen Osten stehen die Zeichen wieder einmal auf Sturm. Die Folgen wird wohl vor allem der Libanon zu spüren bekommen. Und das könnte sich fatal auf die gesamte arabische Welt auswirken.