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Jung und ehrgeizig. Bin Salman will Saudi-Arabien umkrempeln. Dabei geht er gegen Teile der Elite vor.
© Fayez Nureldine, AFP

Konfliktregion Naher Osten: "Saudi-Arabiens Kronprinz setzt auf Populismus"

Nahost-Experte Sebastian Sons über den Reformeifer des saudischen Thronfolgers Mohammed bin Salman und den Dauerkonflikt mit dem Iran.

Die Ölmonarchie Saudi-Arabien will mit einem ehrgeizigen Reformprogramm die Wirtschaft umbauen. Der 32-jährige Kronprinz Mohammed bin Salman greift durch.

Herr Sons, elf Prinzen werden festgenommen, weil sie sich beklagen, dass die Regierung Strom- und Wasserrechnungen von Angehörigen der Königsfamilie nicht mehr bezahlt. Hat es so etwas in der jüngeren Geschichte Saudi-Arabiens überhaupt schon mal gegeben?

Nein, in dieser Form nicht. Allerdings hat der einflussreiche Kronprinz Mohammed bin Salman schon vor einigen Monaten potenzielle Kritiker seiner Herrschaft festnehmen lassen. Darunter waren auch Mitglieder der Königsfamilie, sehr wohlhabende Geschäftsleute und amtierende Minister. Ihnen wurde Korruption vorgeworfen. Einige sind inzwischen wieder auf freiem Fuß, nachdem sie vermutlich Entschädigungen in Milliardenhöhe gezahlt haben.

Was verspricht sich Thronfolger bin Salman von einem derartigen harschen Vorgehen gegen Teile der Elite?

Das ist Teil eines saudischen Populismus, der von bin Salman forciert wird. Das Establishment soll marginalisiert werden. Bin Salman gehört zwar selbst zu dieser Herrscherclique, stilisiert sich aber gerne als Kämpfer gegen Korruption und eine weitverbreitete Selbstbedienungsmentalität. Das kommt vor allem bei den jungen Menschen gut an. Einige der Verhafteten sind in der Bevölkerung unbeliebt, weil sie als dekadent und korrupt gelten.

Bin Salman macht sich also Vorbehalte zunutze?

Richtig. Er will klarmachen, dass es ihm nicht nur darum geht, die Wirtschaft zu reformieren, sondern der Kronprinz stellt ganz offen die Strukturen infrage. Dieses populistische Bild eines Machers will der 32-Jährige vermitteln. Allerdings schwächt er dieses auch gleich wieder ab.

Inwiefern?

Es geht ihm zu Beispiel sehr wohl darum, das Geld der Beschuldigten einzukassieren. Und wenn sie dazu bereit sind, wird ihnen gestattet, wieder in den Schoß der Familie heimzukehren. Zuckerbrot und Peitsche – dies ist eine traditionelle Methode der Königsfamilie, um die Reihen zu schließen und mögliche Kritiker einzuhegen. Nach dem Motto: Wenn ihr etwas für uns tut, gibt es eine Gegenleistung. Das hat mit einem ernsthaften Kampf gegen Korruption wenig zu tun.

Dennoch begrüßt die Bevölkerung ein derartiges Vorgehen, oder?

Vor allem junge Saudis sehen in bin Salman jemanden, der wirklich etwas verändern will. Einer, der Politik für die Jugend macht. Immerhin 70 Prozent der Einwohner sind unter 30. Der Thronfolger bedient also eine sehr einflussreiche Klientel. Mit Erfolg. Für die Jugend ist er ein fortschrittlicher Reformer, der versucht, das verkrustete System aufzubrechen und die Herrschaft der Alten zu beenden. Dazu gehört, die Eliten anzugreifen. Diese Aufbruchsstimmung wird von bin Salman geschickt bedient.

Aber ist dieser Anti-Establishment-Kurs nicht riskant?

Doch, das ist schon ein Balanceakt. Der Kronprinz achtet daher darauf, es sich nicht allzu sehr mit den Eliten zu verscherzen. Denn die haben nach wie vor das Sagen. Ohne deren Unterstützung kann bin Salman keine Politik machen.

Gibt es denn von politischer und religiöser Seite nennenswerten Widerstand?

Den gibt es. Vor allem wenn es um die Beschneidung von wirtschaftlicher Macht geht. Die jüngsten Proteste sind da ein gutes Beispiel. Aber in Saudi-Arabien existiert auf politischer Ebene kein organisierter Widerstand. Der Kronprinz und sein Vater, König Salman, haben potenzielle oppositionelle Kräfte längst ausgeschaltet. Nur wenn die Familie zur Überzeugung kommt, bin Salmans provozierendes Agieren gefährde ihre Herrschaft, wäre so etwas wie ein Palastputsch vorstellbar. Allerdings ist das nicht in Sicht.

Und was ist mit der religiösen Führung?

Der Klerus ist immer unwichtiger geworden. Er gilt als williger Erfüllungsgehilfe der Monarchie. Die Kleriker vermeiden es, anzuecken. Schließlich bekommen viele ihr Gehalt vom Staat. Geistliche, die sich in der Vergangenheit kritisch zu bin Salman geäußert haben, sind zumeist mundtot gemacht worden.

Die Macht des Kronprinzen ist gefestigt?

Danach sieht es zurzeit aus. Schließlich scheint er über viel Rückhalt in der jungen Bevölkerung zu verfügen. Also hält man lieber die Füße still. Auch wenn sicherlich einige froh wären, wenn der ambitionierte Thronfolger scheitern würde.

Warum legt der Kronprinz einen derartigen Reformeifer an den Tag?

Bin Salman ist sehr ehrgeizig. Er will es allen zeigen, sieht sich als Alleskönner. Und er will sich des Vertrauens seines Vaters würdig erweisen. Hinzu kommt: Es gibt eine zwingende wirtschaftliche Notwendigkeit für Reformen. Zum Beispiel gehen die Ölvorkommen als Einnahmequelle zur Neige. Doch bisher ist wenig geschehen, um Alternativen zu finden und dem Staat neue ökonomische Grundlagen zu verschaffen. Das will bin Salman ändern. Und als Macher wird er auch wahrgenommen. Er tritt insbesondere viel moderner auf als frühere Herrscher. Einer, der sogar eine gewisse gesellschaftliche Öffnung zulässt.

Sebastian Sons ist Experte für Saudi-Arabien und Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Von ihm erschien jüngst "Auf Sand gebaut. Saudi-Arabien - ein problematischer Partner".
Sebastian Sons ist Experte für Saudi-Arabien und Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Von ihm erschien jüngst "Auf Sand gebaut. Saudi-Arabien - ein problematischer Partner".
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Auch außenpolitisch fährt das Königshaus einen rigiden Kurs, vor allem gegenüber dem regionalen Erzrivalen Iran. Was bezweckt bin Salmen damit?

Das ist Teil seines Populismus. Um die Konflikte im Inneren unter Kontrolle zu halten und eine Wagenburgmentalität zu schaffen, braucht der Kronprinz einen äußeren Feind. Das ist der Iran. Seit der Revolution 1979 gilt die Islamische Republik in Saudi-Arabien als Staatsfeind Nummer eins. Diese Ressentiments nutzt bin Salman aus, um seine eigene Macht zu konsolidieren.

Ist der Iran tatsächlich eine so große Bedrohung für die Saudis?

In den vergangenen Jahren hat Teherans Einfluss im Nahen Osten enorm zugenommen. Und der Atomdeal hat es dem Iran ermöglicht, aufs internationale Parkett zurückzukehren. Die schiitische Theokratie gehört jetzt zu den mächtigsten Akteuren in der Region. Das gefällt Saudi-Arabien überhaupt nicht. Man fühlt sich von Staaten umzingelt, die vom Iran dominiert werden. Bin Salman will dem etwas entgegensetzen. Er ist überzeugt davon, dass der Iran gestoppt werden muss.

Gelingt ihm das?

Eher nicht. Bei allen regionalen Konflikten, die Saudi-Arabien befeuert – sei es im Jemen, im Libanon oder im Fall von Katar –, hat der Iran vom aggressiven Vorgehen der Saudis letztendlich profitiert. Bin Salmans trotzig wirkendes Um-sich- Schlagen hat nichts gebracht. Im Gegenteil. Es ist hochgefährlich.

Droht sich der Dauerkonflikt zwischen dem sunnitischen Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran hochzuschaukeln?

Das ist bereits passiert. Die saudische Führung hat zwar kein Interesse an einer direkten Konfrontation. Aber sie besitzt großes Selbstvertrauen – in der Annahme, die USA und Israel stünden dem Land im Ernstfall zur Seite. Das kann sich allerdings als Trugschluss erweisen. Gerade Präsident Donald Trump ist alles andere als ein verlässlicher Partner. Deshalb wäre es sicherlich für Saudi-Arabien angebrachter, auf eine Politik des Dialogs mit dem Iran zu setzen. Doch von Vernunft kann derzeit keine Rede sein.

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