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Auf dem Trockenen. Im Iran ist das Oberflächenwasser in den vergangenen Jahren drastisch zurückgegangen.
© Behrouz Mehri/AFP

Wasserknappheit: Warum die Wassernot im Nahen Osten zu Konflikten führt

Schon jetzt spielt Wasser in vielen Kriegen und Auseinandersetzungen im Nahen Osten eine wichtige Rolle. Es könnte noch schlimmer werden.

Sechs Prozent der Weltbevölkerung, aber nur ein Prozent der globalen Trinkwasservorräte: Der Nahe Osten und Nordafrika gehören zu den trockensten Gebieten auf dem Globus. Der Wassermangel heizt in der Region immer mehr innere und äußere Konflikte an.

Für die oft dramatische Wasserknappheit gibt es mehrere Gründe. Angefacht vom Klimawandel steigen die Temperaturen im Nahen Osten im Sommer auf mehr als 50 Grad – in Kuwait fielen im vergangenen Jahr die Vögel wegen der Hitze tot vom Himmel. Einige Wissenschaftler befürchten, dass manche Regionen am Persischen Golf in wenigen Jahrzehnten unbewohnbar sein werden.

Hinzu kommt eine bereits seit Jahren anhaltende Dürreperiode. In Israel sind einige Nebenflüsse des Jordan ausgetrocknet, weil es seit fünf Jahren noch weniger regnet als zuvor schon. Überhaupt gehen die Niederschlagsmengen deutlich und kontinuierlich zurück.

Ein weiterer Faktor ist das hohe Bevölkerungswachstum der Region von etwa zwei Prozent pro Jahr. Das macht sich vor allem in den Städten bemerkbar. Immer mehr Menschen ziehen in die Zentren. Deren millionenfacher Durst ist kaum noch zu stillen.

Schon jetzt spielt Wasser in den vielen Kriegen und Auseinandersetzungen im Nahen Osten eine wichtige Rolle. So waren Staudämme in Syrien und im Irak wichtige Ziele beim Eroberungsfeldzug des „Islamischen Staates“ (IS). Konfliktpotenzial ergibt sich auch daraus, dass die drei größten Ströme, die Wasser in den Nahen Osten bringen, in angrenzenden Ländern entspringen.

Das lässt Verteilungskämpfe entstehen. Der Nil kommt aus dem Inneren Afrikas nach Ägypten, Euphrat und Tigris nehmen in der Türkei ihren Anfang. In einer Studie zur Wasserknappheit im Nahen Osten kam die Weltbank zu dem Schluss, dass die Staaten der Region verstärkt zusammenarbeiten müssen, um ihre „Wassersicherheit“ zu erhöhen. Ob das gelingt?

Türkei/Irak/Syrien

Anders als ihre südlichen Nachbarn ist die Türkei ein vergleichsweise wasserreiches Land. Die Türken stauen die biblischen Ströme Euphrat und Tigris auf deren Weg nach Süden mit einem ganzen Netzwerk von Dämmen in Südostanatolien zwecks Energiegewinnung und Bewässerung des Umlands. Syrien und Irak werfen den Regierungen in Ankara bereits seit Jahrzehnten vor, mit den Staudämmen knallharte Politik zu betreiben: Die Türkei steht im Verdacht, ihren Nachbarn buchstäblich den Hahn abzudrehen.

In Ankara werden solche Vorwürfe stets zurückgewiesen, doch die Klagen der Nachbarn halten an. Derzeit verursacht vor allem der neue Ilisu-Staudamm am Tigris in der südosttürkischen Provinz Batman Streit. Die türkischen Behörden hatten Anfang Juni damit begonnen, das Becken hinter dem riesigen Damm zu füllen, unterbrachen den Prozess aber bereits nach einer Woche, weil es Proteste aus Bagdad wegen sinkender Wassermengen im Tigris hagelte.

Der Ilisu-Damm ist auch innerhalb der Türkei umstritten, weil der Stausee zur Zerstörung der uralten Stadt Hasankeyf führen und fast 200 Dörfer am Tigris verschlucken wird. Westliche Geldgeber hatten sich deshalb aus dem Milliardenprojekt zurückgezogen.

Für den Irak geht es aber um viel mehr als um Geld. Das Land bezieht fast drei Viertel seines Trinkwasserbedarfs aus Gewässern, die jenseits seiner Grenzen entspringen. Wie der Tigris gehört der Euphrat zu diesen Quellen – auch dort hält die Türkei nach irakischen Angaben viel Wasser zurück.

Auch im bitterarmen Jemen ist sauberes Trinkwasser Mangelware.
Auch im bitterarmen Jemen ist sauberes Trinkwasser Mangelware.
© Abduljabbar Zeyad/Reuters

In der Vergangenheit habe der Irak rund 30 Milliarden Kubikmeter Wasser aus dem Euphrat schöpfen können, sagte Wasserminister Hassan al Janabi im vergangenen Jahr der britischen Zeitung „Independent“ – heute sei er froh, wenn 16 Milliarden Kubikmeter in seinem Land ankämen.

In Syrien spielte die Wasserknappheit im Jahr 2011 beim Ausbruch der Proteste gegen Präsident Baschar al Assad eine Rolle, weil damals eine Serie von Missernten Zehntausende Menschen vom Land in die Städte getrieben hatte, wo sich bei hoher Arbeitslosigkeit viel Unmut zusammenbraute.

Im Bürgerkrieg wurde Wasser immer wieder gezielt als Waffe eingesetzt. Die Vereinten Nationen warfen Assads Regierung vor, Wasserquellen in einem von Rebellen kontrollierten Gebiet im Nordwesten von Damaskus bombardiert und damit die Trinkwasserversorgung für 5,5Millionen Menschen vorübergehend zerstört zu haben.

Aber auch die Aufständischen schreckten nicht davor zurück, den vom Regime beherrschten Gebieten den Hahn abzudrehen. Durch den Konflikt ist auch die Infrastruktur stark beschädigt. Kanäle und Pumpanlagen sind zerstört, seit Jahren werden Leitungen nicht mehr repariert.

Ägypten/Sudan/Äthiopien

Ein Mega-Projekt rund 1500 Kilometer südlich seines Staatsgebietes lässt Ägypten ums Überleben fürchten. Noch in diesem Jahr will Äthiopien den sogenannten Großen Damm der Äthiopischen Wiedergeburt fertigstellen, ein fünf Milliarden Dollar teures Projekt am Blauen Nil, welches die Energieproduktion des afrikanischen Landes verdoppeln soll.

Ägypten, das zu mehr als 90 Prozent auf das Wasser des Nils angewiesen ist, sieht im größten Staudamm Afrikas eine tödliche Gefahr für sich selbst. Mehr als die Hälfte des Nilwassers in Ägypten stammt aus dem Blauen Nil, der sich im Sudan mit dem Weißen Nil vereinigt.

Grund für den Streit ist vor allem die Zeitspanne, in der Äthiopien den Stausee füllen will. Die Regierenden in Addis Abeba wollen das Projekt sehr rasch umsetzen, damit so schnell wie möglich mit der Stromproduktion begonnen werden kann. Doch in Kairo drängen sie auf einen möglichst langen Prozess. Wenn der äthiopische Stausee auch nur zu einer zweiprozentigen Minderung der Wassermenge für Ägypten führe, könnten dort 80.000 Hektar Ackerland verdorren, wird befürchtet.

Der stromabwärts von Äthiopien gelegene Nachbar Sudan begrüßt dagegen das Projekt, weil die Nil-Hochwasser durch den Damm gebändigt werden dürften. Darüberhinaus will der Sudan den Äthiopiern überschüssige Strommengen aus dem Wasserkraftwerk abkaufen.

Sogar ein militärischer Konflikt zwischen Ägypten und Äthiopien wegen des Damm-Projektes erschien zwischenzeitlich möglich. Bei einem Gipfeltreffen im Juni legten der ägyptische Staatschef Abdel Fatah al Sissi und der äthiopische Premier Abiy Ahmed den Streit zwar offiziell bei, doch Spannungen um das Damm-Projekt halten an. Vor wenigen Wochen erst wurde der Chefingenieur des Staudamms, Simegnew Bekele, von Unbekannten mit einem Kopfschuss getötet.

Gaza/Israel

Wer bei Gaza-Stadt ins Wasser geht, riskiert seine Gesundheit und schlimmstenfalls sogar sein Leben. Denn dort ist das Mittelmeer verseucht. Gleiches gilt für den Strand, auf dem Eltern ihre Kinder besser nicht spielen lassen. Anderenfalls kann es zu folgenschweren Infektionen kommen. Überraschend ist das nicht. Schätzungsweise 100.000 Kubikmeter Abwasser fließen täglich kaum oder völlig ungeklärt ins Meer oder versickern im Boden – ein ökologisches Desaster für die Einwohner. Und nicht das einzige Risiko, das mit dem Luxusgut Wasser zu tun hat.

So reicht das zur Verfügung stehende Grundwasser quantitativ und qualitativ nicht aus, um den überbevölkerten, von Israel wie Ägypten zu weiten Teilen abgeriegelten Küstenstreifen mit seinen zwei Millionen Einwohnern zu versorgen. Experten zufolge sind 95 Prozent des Leitungswassers für den menschlichen Konsum ungeeignet.

Verseucht. Wer bei Gaza-Stadt ins Wasser geht, riskiert seine Gesundheit.
Verseucht. Wer bei Gaza-Stadt ins Wasser geht, riskiert seine Gesundheit.
© Amir Cohen/Reuters

Die Grenzwerte der Weltgesundheitsorganisation für Nitrat und Chlorid werden massiv überschritten. Das hat mehrere Gründe. Beispielsweise dringen ungeklärte Abwasser, Abfall, Dünger und Pestizide ins Grundwasser ein – aber es gibt keine Kläranlagen. Drei Kriege in den vergangenen zehn Jahren haben zudem der ohnehin nur rudimentär vorhandenen Infrastruktur einen schweren Schlag versetzt.

Die Wassernot ist also immens. Zwar liefert Israel einige Millionen Kubikmeter Wasser jährlich. Doch das reicht bei Weitem nicht aus. Entsalzung wäre sinnvoll und notwendig. Derartige Anlagen kosten jedoch eine Menge Geld, sind stromintensiv, und das Baumaterial dafür gelangt nur mühsam in den Küstenstreifen.

Die Regierung in Jerusalem fürchtet, die herrschende Hamas könnte die Lieferungen für ihre Zwecke missbrauchen, etwa zum Bau von Angriffstunneln. Hinzu kommt, dass immer geringer werdende Niederschläge in der ganzen Region die Neubildung von Grundwasser verhindern.

Zugleich werden vorhandene Reserven rücksichtslos ausgebeutet, Meerwasser sickert in die Speichervorrichtungen ein. Kein Wunder, dass die Vereinten Nationen und die Weltbank warnen, der Gazastreifen könnte schon in zwei Jahren unbewohnbar sein.

Bereits heute ist Israel von der Misere in Gaza betroffen. Denn die Abwässer aus dem Küstenstreifen breiten sich übers Mittelmeer in Richtung jüdischer Staat aus. Davor versucht man sich zum Beispiel durch Barrieren zu schützen. Schließlich besitzt die Versorgung der Bürger mit nutzbarem Wasser oberste Priorität, ist Teil der Sicherheitsdoktrin.

Israel hat allerdings einen großen Vorteil: Dank des technischen Knowhows gehört das Land seit Jahren zu den weltweit führenden Staaten, wenn es darum geht, Wasser effizient zu nutzen. Mithilfe von Meerwasserentsalzung kann ein Großteil des Bedarfs gedeckt werden, nicht zuletzt in der Landwirtschaft.

Aber derartige Anlagen gelten auch als potenzielle Angriffsziele. Deshalb setzt der jüdische Staat ebenfalls auf natürliche Ressourcen. Der Jordan und der See Genezareth spielen dabei eine große Rolle. Allerdings fehlt dem See wegen ausbleibender Niederschläge das Wasser. Er trocknet aus, es haben sich bereits kleine Inseln gebildet.

Und um den Jordan gibt es immer wieder Verteilungskämpfe mit Jordanien. Das Königreich gehört zu den wasserärmsten Ländern der Erde und wirft Israel vor, sich am Jordan schamlos zu bedienen – auf Kosten Jordaniens.

Iran

Flüsse, die kein Wasser führen. Felder, die nicht bestellt werden, weil sie Geröllwüsten gleichen. Grundwasser, das mehr und mehr versalzt. Ausgetrocknete Landstriche, die unbewohnbar sind und über die Tornados hinwegfegen – Irans Wassernot ist fast im ganzen Land sicht- und spürbar. Und sie hat dramatische Folgen.

Die Gründe für die Krise sind vielfältig. Oft ist nicht die „Natur“ verantwortlich, sondern der Mensch, der Raubbau an der knappen Ressource treibt. Das Land, dessen Bevölkerung sich seit der Revolution von 1979 auf 80 Millionen verdoppelt hat, lebt weit über seinen ökologischen Verhältnissen.

Dabei ist die Ausgangslage klar. Seit Jahren leidet der Iran unter einer anhaltenden Dürre. Regen bleibt aus, die durchschnittliche Temperatur ist um bis zu zwei Grad gestiegen. So hat das Land gut 50 Prozent seines Oberflächenwassers verloren. Doch statt sparsam mit dem Vorhandenen umzugehen, wird geprasst.

Das war mal ein Fluss im Iran. Doch vom Zayandeh ist bei Isfahan ist nichts geblieben außer Geröll.
Das war mal ein Fluss im Iran. Doch vom Zayandeh ist bei Isfahan ist nichts geblieben außer Geröll.
© Atta Kenare/AFP

Das gilt vor allem für die Städte, die ständig größer werden. 70 Prozent der Iraner leben heute in urbanen Zentren. Deren Durst scheint unstillbar. Weil der Bedarf von den Behörden nicht gedeckt werden kann, zapfen Bürger illegal die Grundwasservorräte an, wodurch sich die Speicher leeren.

Geradezu verschwenderisch geht es in der Landwirtschaft zu. 90 Prozent des Wassers werden für Plantagen und Felder genutzt. Dennoch errichten Bauern ohne Genehmigung Pumpen und Brunnen. Woanders fehlt es dann. Agrarbetriebe müssen schließen, Zehntausende bangen um ihre Existenz.

Erst jüngst kam es wieder zu Unruhen. Die Menschen sind wütend, ärgern sich über Korruption und beklagen, mächtige Großgrundbesitzer zweigten Wasser für ihre Ländereien ab. Für normale Bürger bleibe daher nicht genug übrig. Misswirtschaft und eine Selbstbedienungsmentalität beschäftigen längst auch die Regierenden. Präsident Hassan Ruhani hat den Kampf gegen die Wassernot zur Chefsache erklärt. Mit dem Ziel, den Verbrauch deutlich zu senken.

Doch die Misere hat gleichfalls einen politischen Grund: die Sanktionen der USA. Der Iran setzt den Strafmaßnahmen das Ideal der Selbstversorgung entgegen. Nahrungsmittel wie Weizen sollen im Land selbst produziert werden. Dazu gehört, dass der Staat den Bauern ihr Getreide zu einem Preis abkauft, der weit über dem des Weltmarktes liegt. Was die Farmer animiert, allzu freigiebig mit dem Wasser umzugehen.

Das verschärft die Krise, Proteste häufen sich. Genau das ist erklärtes Ziel der US-Sanktionen. Washington will den Iran in die Knie zwingen, um die Mullahs an den Verhandlungstisch zu bringen.

Der aus der Wassernot resultierende Unmut kommt Donald Trump als Widersacher des Regimes gelegen – er schwächt seine Gegner.

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