Staudammprojekt in Äthiopien: Ägyptens Angst vor Wassermangel am Nil
In Äthiopien entsteht der größte Staudamm Afrikas – er soll die Wirtschaft des Landes ankurbeln. Ägypten hat Angst um seine Wasserversorgung.
Kräne, Massen von Beton und fast 10.000 Arbeiter: Am Blauen Nil im Westen Äthiopiens entsteht ein gigantischer Staudamm, der nach seiner Fertigstellung eine Hauptrolle bei der Modernisierung des ostafrikanischen Landes spielen soll, zugleich aber das 1500 Kilometer entfernte Ägypten das Schlimmste befürchten lässt.
Der Damm werde die Wasserversorgung der 100 Millionen Ägypter gefährden, sagt die Regierung in Kairo. Gespräche zwischen Ägypten, Äthiopien und dem Sudan über eine faire Nutzung des Nilwassers endeten gerade ohne Ergebnis. Der Streit wirft ein Schlaglicht auf den chronischen Wassermangel im Nahen Osten, der sich bald erheblich verschärfen könnte.
Der „Große Damm der Äthiopischen Wiedergeburt“ ist zu etwa zwei Dritteln fertiggestellt und soll in den nächsten Jahren den Blauen Nil zu einem See von fast 1900 Quadratkilometern aufstauen, um bis zu 6500 Megawatt Strom zu erzeugen. Das ohne internationale Geldgeber finanzierte Fünf-Milliarden-Dollar-Projekt wird der größte Damm in Afrika sein.
Äthiopien erhalte mit dem Damm die Gelegenheit zur wirtschaftlichen Entwicklung, sagt Wasser- und Energieminister Seleshi Bekele. Derzeit hat nur jeder vierte Äthiopier Zugang zu elektrischer Energie – der Damm soll das ändern. Eine Regulierung der Wassermenge, die über den 2011 begonnenen Damm weiterfließt, sei nicht geplant, sagt Bekele.
Der Nachbar Sudan begrüßt das Projekt
Der stromabwärts gelegene Nachbar Sudan begrüßt das Projekt, weil die Hochwasser durch den Damm gebändigt werden dürften. Zudem will der Sudan den Äthiopiern überschüssige Strommengen aus dem Wasserkraftwerk abkaufen.
Doch die Ägypter protestieren energisch. Für sie ist der Blaue Nil, der sich in Sudans Hauptstadt Khartum mit dem Weißen Nil vereinigt, der wichtigste Wasserlieferant: 60 Prozent des Nilwassers in Ägypten stammt aus dem Blauen Nil. Schon jetzt sagen die UN den Ägyptern für das nächste Jahrzehnt erhebliche Probleme bei der Trinkwasserversorgung voraus – mit dem äthiopischen Damm werde alles noch schlimmer, prognostiziert die Regierung in Kairo.
Streit gibt es vor allem um die Zeitspanne, die es dauern wird, bis sich der äthiopische Stausee gefüllt hat. Die Experten von der Geologischen Gesellschaft der USA schätzen, dass die in Ägypten ankommende Wassermenge des Nils während der Auffüll-Periode um 25 Prozent zurückgehen könnte.
Wenn Äthiopien den See innerhalb von drei Jahren füllt, um möglichst rasch mit der Stromgewinnung beginnen zu können, wird in Ägypten rund die Hälfte des Ackerlands verdorren, heißt es in einer Studie der Universität Kairo. Sollte es sechs Jahre dauern, beträgt der Verlust demnach immer noch 17 Prozent: Die Ägypter befürchten, dass der Damm ihnen buchstäblich den Hahn zudreht.
An den bisherigen Vereinbarungen zur Aufteilung der Wassermenge aus den Jahren 1929 und 1959 war Äthiopien nicht beteiligt. Nun soll wegen des Staudammbaus ein neues Vertragswerk ausgehandelt werden. Doch die erste Verhandlungsrunde seit zwei Jahren endete gerade in Khartum ohne erkennbare Fortschritte. Im Mai soll es einen neuen Anlauf geben, doch derzeit zeichnet sich keine Lösung ab, die sowohl Äthiopien als auch Ägypten zufrieden stellt.
Dass Kairo selbst mit dem 1971 fertiggestellten Assuan-Damm mit schlechtem Beispiel vorangegangen ist, macht die Sache nicht einfacher. Der Assuan-Damm hält wichtige Nährstoffe im Nilwasser zurück. Ein Trend, der sich durch den neuen Damm in Äthiopien verstärken könnte.
Vor fünf Jahren drohte Ägypten Äthiopien mit Krieg
Der Nil liefert fast das gesamte Trinkwasser in Ägypten. Verringert sich die Wassermenge, ist das für das Land eine potenzielle Katastrophe. Bei dem Treffen in Khartum nannte Ägyptens Bewässerungsminister Mohamed Abdel Aty die Zukunft des Nilwassers eine Frage der nationalen Sicherheit.
Selbst wenn die in Ägypten ankommende Menge nur um zwei Prozent sinken sollte, würde das dem Minister zufolge in seinem Land eine Million Arbeitsplätze in der Landwirtschaft kosten. Vor fünf Jahren hatte Kairo den Äthiopiern wegen des Dammprojekts mit Krieg gedroht.
Schnelles Bevölkerungswachstum, intensive Landwirtschaft und der Klimawandel beschwören in Ägypten und anderen Nahost-Ländern die Gefahr einer Wasserkrise herauf. Der Nahe Osten sei Heimat von sechs Prozent der Weltbevölkerung, besitze aber nur ein Prozent der Frischwasservorräte, sagt Paul Salem vom Middle East Institute in Washington.
Fraglich ist, ob Entsalzungsanlagen das Problem lösen
Außerdem fließe das meiste Oberflächenwasser von außerhalb der Region nach Nahost: Der Nil kommt aus Ostafrika, Euphrat und Tigris entspringen in der Türkei. Das Ergebnis sind Wassermangel und Abhängigkeiten. Ähnlich wie im Streit zwischen Ägypten und Äthiopien werfen die Nachbarn der Türkei den Behörden in Ankara hin und wieder vor, mit Hilfe eines Netzwerks aus Dämmen in Anatolien die Durchflussmengen von Euphrat und Tigris aus politischen Gründen zu reduzieren. Der iranische Vize-Außenminister Abbas Araghchi hält in Zukunft Kriege um Wasservorräte für wahrscheinlich.
Ob die Meerwasserentsalzung die Antwort auf die Probleme sein kann, ist ungewiss. Derzeit ist die Technologie für Länder wie Ägypten viel zu teuer, um eine Alternative zum Nilwasser bilden zu können. Nach Angaben der Hilfsorganisation Water Project befinden sich 70 Prozent aller Entsalzungsanlagen der Welt im Nahen Osten. Einige Experten verweisen darauf, dass beim Entsalzungsprozess wichtige Mineralien verloren gehen. Zudem erhöhe der hohe Energieeinsatz beim Entsalzen die Preise.
Eine engere Kooperation zwischen den Ländern und ein sparsamerer Umgang mit Wasser, etwa durch effizientere Bewässerungstechniken, biete auf lange Sicht bessere Chancen. Doch davon ist die Region noch weit entfernt.