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Ein Flugzeug der US-geführten Koalition 2014 über Kobane an der türkisch-syrischen Grenze. (Archiv)
© dpa/EPA/Tolga Bozoglu

Erdogans Kurs gegen USA und Europa: Warum die Türkei als Nato-Partner an Wert verliert

Der türkische Präsident Erdogan ist auf Konfrontationskurs mit den USA und Europa. Damit stellt er den Wert seines Landes für die Nato in Frage. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Gehört die Türkei noch in die Nato? Sie versteht sich als Verteidigungs- und Wertegemeinschaft. Präsident Recep Erdogan verhöhnt diese Werte. Er höhlt die Demokratie und die rechtsstaatliche Kontrolle der Regierung aus; er steckt Journalisten und Oppositionspolitiker ins Gefängnis; er droht den USA, Deutschland und anderen Verbündeten mit Vergeltung, wenn sie Anhängern der ihm verhassten Gülen-Bewegung Asyl gewähren. Oder wenn ihm deren Strategie in Syrien und im Irak nicht passt.

Strategische Lage an der Südostflanke

Der Kernwert der Nato bestand und besteht in ihrer militärischen Kapazität. Das erkennt inzwischen auch Donald Trump an. Werte sind eine wichtige Richtschnur, aber anders als in der EU oder im Europarat kein konstitutiver Grund für Aufnahme oder Rauswurf. Die strategische Lage an der Südostflanke der Nato machte die Türkei auch in Zeiten, in denen sie eine autoritäre oder eine Militärregierung hatte, zu einem wertvollen Partner. Zudem gab es die Hoffnung, dass sie zum Vorbild für andere muslimische Staaten wird und zeigt, dass der Islam mit westlichen Werten kompatibel ist.

Erdogans Konfrontationskurs relativiert den Wert der Türkei als Nato-Mitglied jedoch. Sind die Vorteile heute noch größer als die Nachteile? Vor Erdogans Besuch bei US-Präsident Donald Trump am 16. Mai und dem Nato-Gipfel am 25. Mai stellt sich die Frage mit neuer Dringlichkeit. In immer mehr Bereichen klaffen die Interessen so weit auseinander, dass die Türkei und ihre Nato-Partner eher Gegner als Verbündete sind. Im Irak beschießen sich türkisches Militär und Milizen, die die USA als Hilfstruppen betrachten.

Türkische Soldaten und US-Verbündete beschießen sich

In Syrien rüstet Trump kurdische Truppen am Boden auf, um dem zweifachen Gegner – Machthaber Assad, der von den Russen unterstützt wird, sowie den Terrormilizen des Islamischen Staats (IS) – mehr entgegenzusetzen. Nur so kann der Westen mehr Einfluss in den Verhandlungen über Syriens Zukunft gewinnen.

Trump will aber ebenso wenig wie sein Vorgänger Barack Obama eigene Soldaten in den Bodenkampf schicken. Deshalb möchte er die Kurdenmilizen der YPG mit Waffen beliefern, die zum Bündnis der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) gehören. Erdogan ist dagegen; er befürchtet, dass Kurden, die den USA helfen, dafür Unterstützung für einen Kurdenstaat fordern. Erdogan droht Trump mit Konsequenzen, falls er seine Entscheidung nicht ändere.

Deutsche Waffen und US-Hilfe für Kurden erzürnen Erdogan

Ähnliche Erpressungsversuche gab es, als Europa und die USA auf Kurdenmilizen im Irak setzten, um den IS dort zu bekämpfen. Deutschland bewaffnete sie, damit sie die Jesiden vor der Ausrottung durch den IS schützten, und bildet bis heute kurdische Truppen aus. Syrien und der Irak sind moralische Graubereiche, in denen man keine strategischen Fortschritte erreicht, ohne einen Preis zu bezahlen. Die USA und Deutschland werden am Ende einen Partner enttäuschen: die Türken oder die Kurden. Erdogan selbst handelt ohne Rücksicht auf Alliierte. Das muss man ihm nicht gleichtun. Aber Grenzen darf man ihm schon aufzeigen, wenn die Türkei ein Verbündeter bleiben will. Und es auch für ihre Partner bleiben soll.

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