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Linksfraktionschefin Sahra Wagenknecht Anfang September vor der Bundespressekonferenz bei der Vorstellung ihrer Bewegung "Aufstehen".
© Bernd von Jutrczenka/dpa
Update

Neuer Streit um "Aufstehen": Wagenknecht hat Vorbehalte gegen die #unteilbar-Demo

Am Samstag soll in Berlin gegen Rassismus, Ausgrenzung und Rechtsruck demonstriert werden. Linke Kernanliegen, aber Sahra Wagenknecht macht trotzdem nicht mit.

Professor Franz Segbers, Sozialethiker an der Universität Marburg, ist verstimmt. Er will an diesem Samstag zur großen Demonstration #unteilbar nach Berlin kommen, bei der ein breites Bündnis gegen Rassismus, Ausgrenzung und Rechtsruck demonstrieren will. Und er gehört zu den Unterstützern der von Sahra Wagenknecht initiierten Sammlungsbewegung "Aufstehen", mit der die Linksfraktionschefin die Parteienlandschaft durcheinanderrütteln will. Beide Anliegen gehören für Segbers zusammen - und er versteht nicht, dass Wagenknecht das offenbar ganz anders sieht.

Seit Dienstagabend hatte der Streit in der Linkspartei um "Aufstehen" eine neue Facette bekommen - mit einer von der Linksfraktion des Bundestags finanzierten Diskussion mit Wagenknecht im Kino Cinemotion in Berlin-Hohenschönhausen. Moderatorin war die Lichtenberger Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch, ehemalige Chefin der Linkspartei. 2600 Euro flossen aus der Kasse der Fraktion für die Veranstaltung, bei der es vor allem darum ging, die Ziele und Anliegen von "Aufstehen" zu erörtern.

Es ging in der Diskussionsrunde im vollen Saal des Lichtspielhauses auch um, wie es Lötzsch formulierte, die "Offenheit und Kooperationsbereitschaft" der Linkspartei. Doch als das Gespräch auf die Demonstration #unteilbar kam, formulierte Wagenknecht vor allem Vorbehalte - und das, obwohl sowohl Linkspartei als auch Linksfraktion den Protest, der am Mittag auf dem Alexanderplatz beginnen soll, offiziell unterstützen.

"Wir sind nicht formal dabei", sagte Wagenknecht auf die Frage, ob "Aufstehen" den Aufruf zu #unteilbar unterstütze. Zwar sei es "absolut richtig, wenn viele Leute gegen Rassismus und Rechtsentwicklung auf die Straße gehen". Doch sehe sie im Aufruf zur Demonstration eine Tendenz, wo eine bestimmte Position, nämlich ,offene Grenzen für alle', schon wieder als "die bestimmende Position dargestellt wird". Weiter sagte die Linken-Politikerin: "Es ist ein bestimmtes Milieu, was dort demonstriert und es ist ein anderes, was man dort nicht finden wird."

Offene Grenzen? "Völlig weltfremd", sagt Wagenknecht

Wagenknecht blieb auch bei ihrer Kritik, als ein Genosse aus dem Bezirksverband-Tempelhof Schöneberg intervenierte und forderte, am 13. Oktober müssten Linke "möglichst massenweise auf die Straße gehen". Sie sagte: "Wenn wir über ,offene Grenzen für alle' reden, ist das eine Forderung, die die meisten Menschen als irreal und völlig weltfremd empfinden und damit ja auch recht haben." Die Welt jedenfalls würde mit dieser Forderung "nicht besser" gemacht.

Nun war die Forderung nach "offenen Grenzen" tatsächlich in einem ersten Entwurf zum Aufruf für die Demonstration enthalten, zu der 40.000 Teilnehmer erwartet werden. In der aktuellen Version heißt es: "Wir lassen nicht zu, dass Sozialstaat, Flucht und Migration gegeneinander ausgespielt werden." Und: "Solidarität kennt keine Grenzen." Sowie: "Für das Recht auf Schutz und Asyl - gegen die Abschottung Europas."

Breites Bündnis. "Unteilbar" hat tausende Unterstützer. Zu ihnen gehört auch der Schauspieler Benno Fürmann, hier im Bildhintergrund.
Breites Bündnis. "Unteilbar" hat tausende Unterstützer. Zu ihnen gehört auch der Schauspieler Benno Fürmann, hier im Bildhintergrund.
© Paul Zinken/dpa

"Es stimmt überhaupt nicht, was Frau Wagenknecht gesagt hat", erklärt der Wissenschaftler Segbers dem Tagesspiegel. "Von offenen Grenzen ist im Aufruf gar keine Rede. Es wird ein Vorwurf erhoben, er überhaupt nicht mit der Sachlage übereinstimmt." Es müsse darum gehen, die Schnittmengen zwischen beiden Bewegungen zu betonen und nicht darum, "künstlich Spaltungen herbeizureden". Segbergs findet gut, dass #unteilbar so breite Unterstützung erfährt - von Sozialverbänden, über die Kirchen, den Zentralrat der Muslime bis zum DGB und vielen Kulturschaffenden. Neben der Linkspartei begrüßen führende Politiker von SPD und Grünen den #unteilbar-Protest. Bei der Abschlusskundgebung an der Siegessäule soll der Musiker Herbert Grönemeyer auftreten.

"Abweichende Meinung einer Einzelnen", heißt es aus der Fraktion

Auch in der Linkspartei sorgt die "sehr eigene" und "unzulässige" Deutung Wagenknechts zur angeblichen Forderung nach "offenen Grenzen" (#unteilbar-Sprecherin Anna Spangenberg) für mächtig Verdruss. Fraktionsvize Caren Lay, eine Vertraute von Parteichefin Katja Kipping, erklärte: "Dass #aufstehen die #unteilbar-Demo nicht unterstützt, spricht Bände." Es handele sich um "die abweichende Meinung einer Einzelnen gegenüber offiziellen Beschlüssen von Partei und Fraktion". Dem Tagesspiegel sagte Lay: "Es ist völlig unglaubwürdig, wenn ,Aufstehen' vorgibt, den Rechtsruck zu bekämpfen, sich aber an der großen antirassistischem Demo nicht beteiligen will. Die Linke und die Linksfraktion unterstützen #unteilbar mit aller Kraft."

Der nordhrein-westfälische Linken-Bundestagsabgeordnete Niema Movassat thematisierte erneut die schwierige Doppelrolle von Wagenknecht als Chefin der Linksfraktion und Anführerin von "Aufstehen". Er sagte der "taz": "Ich erwarte, dass die Fraktionsvorsitzende auf einer von der Fraktion bezahlten Veranstaltung auch für die Fraktion spricht." Und der stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Fabio de Masi, twitterte am Donnerstag ein Video, in dem er zur Teilnahme an der #unteilbar-Demonstration aufruft. Er gehört von der ersten Stunde an zu den Unterstützern von "Aufstehen".

Liebich: Wagenknecht muss Haltung in Migrationspolitik ändern

Der Linken-Außenpolitiker Stefan Liebich hatte sich schon am Mittwoch auf Twitter zu Wort gemeldet: Er habe im Auswärtigen Ausschuss gerade für die Linksfraktion die Einrichtung einer zivilen, staatlichen Seenotrettung für das Mittelmeer beantragt. "Wir wollen das Sterben tausender Schutzsuchender beenden. Auch dafür werde ich bei #unteilbar demonstrieren. Dass @SWagenknecht und #aufstehen sich nicht an der Demonstration beteiligen wollen, halte ich für einen großen Fehler."

Am Donnerstag spitzte Liebich seine Kritik an Wagenknecht weiter zu. "Ich finde ihre Positionierung nicht richtig und wir werden das auf Dauer nicht akzeptieren", sagte er der "taz". ​Mit ihrer Aussage zu #unteilbar habe die Linksfraktion-Chefin "eine Grenze überschritten". Schließlich wisse sie, dass sowohl die Bundestagsfraktion als auch der Vorstand der Linkspartei zu der Demonstration aufgerufen haben. Liebich forderte Wagenknecht auf, ihre Haltung in der Migrationspolitik zu ändern. "Auf Dauer wird die Fraktion nicht akzeptieren, dass die Fraktionsvorsitzende eine andere Politik in einem wichtigen Punkt vertritt."

Fraktionschef Dietmar Bartsch, stets um Deeskalation bemüht, verzichtete auf Kritik an seiner Ko-Vorsitzenden. Er wirbt in einem Video auf der Fraktionsseite für #unteilbar. Der "taz" teilte er mit, er werde aus tiefer Überzeugung zu der Demonstration gehen. Dass Sahra Wagenknecht nicht komme, sei für ihn "kein Problem".

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