Aufruf eines breiten Bündnisses: #unteilbar-Demonstration gegen Hass und Ausgrenzung
Am Samstag ruft ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis unter dem Motto #unteilbar zu einer Großdemonstration in Berlin auf.
Wehret den Anfängen, so heißt es doch. Die Frage ist allerdings, in Bezug auf die wachsende Spaltung der Gesellschaft sowie das Erstarken von Rechtspopulismus, Rechtsextremismus und Nationalismus: Stehen wir noch am Anfang? „Rassismus und Menschenverachtung werden gesellschaftsfähig“, lautet die bittere und durchaus beängstigende Gegenwartsdiagnose im Aufruf zu einer Demonstration, die am Samstag in Berlin unter dem Schlagwort #unteilbar stattfinden und vom Alexanderplatz bis zur Siegessäule ziehen soll.
Es soll eine Veranstaltung von beeindruckender Dimension werden. Mehr als 4500 Organisationen und Einzelpersonen haben den Aufruf unterzeichnet, bis zu 40.000 Menschen aus ganz Deutschland werden erwartet. Zu den Unterstützern zählen der Paritätische Wohlfahrtsverband, Verbände wie Pro Asyl oder Amnesty International, Bands wie „Die Ärzte“, „Die Sterne“ oder „Feine Sahne Fischfilet“, Prominente wie der Satiriker Jan Böhmermann oder die Schriftstellerin Eva Menasse.
Sie alle fordern „Solidarität statt Ausgrenzung“, geschlossene Fronten gegen die europaweiten Angriffe auf „jegliche Form pluralen Lebens“, wie es die Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan formuliert. Auch viele der Theatermacherinnen und Theatermacher Berlins engagieren sich für #unteilbar – von Regisseur Milo Rau über den Schauspieler Mark Waschke bis zum Grips-Theater. Weil es der Ernst der Lage verlange, darin besteht Konsens.
Shermin Langhoff sieht die Gefahr in der Mitte der Gesellschaft
Shermin Langhoff, Intendantin des Gorki-Theaters und eine der Erstunterzeichnerinnen des Aufrufs, betont dabei, die Gefahr gehe weniger von den Rechten aus, als vielmehr von einer „Mitte der Gesellschaft, die aufgrund der umgreifenden Ängste dazu tendiert, weniger offen und progressiv zu sein“.
Mit Sorge blickt sie auf die Entwicklung in den Nachbarländern, die ein Vorbote künftiger Erosionen auch in Deutschland sein könnten: „In Polen oder auch Ungarn beispielsweise ist eine Zensur von künstlerischer Arbeit Realität geworden – durch ökonomischen, aber auch politischen und öffentlichen Druck.“
Auch Thomas Ostermeier, Künstlerischer Leiter der Schaubühne, verweist auf die Alarmsignale, die europaweit schrillen: Sei es, dass in Österreich über die Abschaffung des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks nachgedacht werde oder in Italien der Innenminister einen Bürgermeister festnehmen lasse, der sich um die Flüchtlingshilfe verdient gemacht hatte – wegen „Beihilfe zu illegaler Zuwanderung“.
Und in Frankreich, wo Ostermeier während der Chemnitzer Ausschreitungen inszenierte und viele schockierte Reaktionen von Künstlerfreunden beobachten konnte, stehe zu befürchten, dass Präsident Emmanuel Macron „mit seiner unsozialen und neoliberalen Politik tatsächlich nur die rechtsextreme Marine Le Pen vorbereitet“.
Annemie Vanackere nimmt seit langenm wieder an einer Demo teil
Dass die Situation aber auch in Berlin immer schwieriger wird, sagt auch Annemie Vanackere, die Leiterin des HAU Hebbel am Ufer an einem. Sie habe kürzlich eine Mail eines Besuchers erreicht, der darum bat, den Monatsspielplan nicht mehr zugeschickt zu bekommen. Mit der Begründung, er empfinde „die linksradikale Propaganda gegen das deutsche Volk (die ich auch noch von meinen Steuern finanzieren muss) in immer größerem Maße als unerträgliche Belästigung“.
So etwas sei neu,sagt Vanackere, die genau deshalb zum ersten Mal seit ihren Teenagerjahren wieder an einer Demonstration teilnehmen wird. Sie sagt, dass sie an ihrem Haus natürlich keine „Propaganda“ betreibt, sondern, wie viele andere Theater, „auf kritische Art Phänomene in der Gesellschaft reflektieren“ will.
Entsprechend sieht auch sie eine gesteigerte Dringlichkeit, die Autonomie der Kunst zu verteidigen. „Das gesellschaftliche Klima insgesamt ist vergiftet worden, es funktioniert nur noch über Abgrenzung“, befindet Klaus Dörr, Intendant der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Er hat sein Haus mit einem „Unteilbar“-Transparent beflaggt und engagiert sich für die Demonstration vor allem auch „um gegen das Sterben im Mittelmeer“ ein Zeichen zu setzen. Ein medial längst schon wieder vernachlässigtes Thema. Gesten der Mitmenschlichkeit und der Öffnung seien gekippt in diffuse Ängste, sagt Dörr. Und macht dafür nicht zuletzt „die AfD mit ihrer Propaganda“ verantwortlich.
Was hilft? Mit Rechten reden?
Was hilft? Mit Rechten reden? Das halten die meisten der Kulturschaffenden nicht für eine Lösung. „Mit einem Menschen, der ein geschlossen rechtsextremes Weltbild hat, kann man nicht diskutieren“, sagt Dörr. „Der unterliegt einem Verfolgungswahn. Das kann man nur politisch angehen, nicht psychiatrisch.“
Überhaupt müsse man einem verbreiteten Missverständnis entgegen wirken: „Rassismus ist keine Meinung. Sondern ein Straftatbestand“. Auch Langhoff setzt auf einen Dialog nicht mit Rechten, sondern mit jenen mindestens 80 Prozent der Bevölkerung, die eine andere Überzeugung vertreten. Zusammen gelte es, über neue Allianzen, neue Solidaritäten und Formen des Widerstands gegen die erstarkende Rechte nachzudenken. Was die Gorki-Chefin nicht zuletzt mit Blick auf eine linke Bewegung in Deutschland sagt, die sich in Gruppierungen wie „Aufstehen“ zersplittert, statt gegen die konkrete Bedrohung zusammenzustehen. Eine traurige Wiederkehr der Geschichte.
In der Kulturszene stellen sich viele die Frage, was Theater leisten können, um dem Rechtsruck entgegen zu wirken? Sie sollten jedenfalls „nicht aufräumen müssen, was die Politik liegen lässt“, findet Annemie Vanackere. Vielmehr gelte es, weiterhin die größtmögliche Diversität zu organisieren, auf der Bühne, im Publikum.
Thomas Ostermeier warnt vor überhöhten Erwartungen
Vor allzu hohen Erwartungen an die Weltveränderungskraft der Theater warnt auch Thomas Ostermeier. Selbst der klügste politische Theatermacher und Dramatiker, den dieses Land hervorgebracht habe, Bertolt Brecht, konnte schließlich nichts gegen die Faschisten ausrichten, sondern war zur Flucht gezwungen.
„Ab einem bestimmten Punkt hilft es nicht mehr, Aufklärungsarbeit zu leisten, Geschichten zu erzählen, sondern man muss wie jeder andere engagierte Bürger auf die Straße gehen “, sagt Ostermeier. Facebook und Co könnten dabei nur Vehikel sein, den Aufruf zu verbreiten. Nicht aber die reale Präsenz ersetzen: „Diesmal reicht kein Like-Button“.