Revolution im Libanon: Viele Verletzte nach Straßenkämpfen in Beirut
Bei schweren Zusammenstößen im Zentrum der Hauptstadt setzen Sicherheitskräfte Tränengas und Gummigeschosse gegen Demonstranten ein.
Nach einer Nacht der Gewalt ist am Sonntagnachmittag wieder Ruhe eingekehrt auf den Straßen und Plätzen der libanesischen Hauptstadt Beirut. Zuvor war es zu den wahrscheinlich schwersten Ausschreitungen seit Beginn der größtenteils friedlichen regierungskritischen Massenproteste am 17. Oktober gekommen. Am frühen Samstagabend versammelten sich hunderte Protestierende in Downtown Beirut, dem Regierungsviertel der Hauptstadt, um gemeinsam zum zentralen Nijmeh-Platz zu marschieren.
Zentraler Platz ist seit zwei Monaten abgesperrt
Der Platz grenzt unmittelbar an das libanesische Parlament und ist seit Beginn des Volksaufstandes im Zedernstaat vor knapp zwei Monaten durch Stacheldraht und Metallbarrieren für die Öffentlichkeit gesperrt.
Als die Demonstranten die Wiedereröffnung des Areals forderten und einige versuchten, die von Sicherheitskräften angelegte Barrikaden zu entfernen, reagierten Polizei und Militär mit Gewalt.
Die Sicherheitskräfte versuchten durch massiven Einsatz von Tränengas, Gummigeschoßen und Wasserwerfern die Demonstranten zu vertreiben. Diese wiederum antworteten mit Steinwürfen und Straßenblockaden.
Bis in die frühen Morgenstunden lieferten sich Protestierende und Polizei ein Katz -und Mausspiel. In Anlehnung an einen der bekanntesten Protestslogans des Arabischen Frühlings von 2011 riefen die Demonstranten unter anderem: „Nieder mit dem Regime. Alle Macht dem Volke.“ Nach Angaben des Libanesischen Roten Kreuzes wurden mindestens 46 Menschen verletzt und ins Krankenhaus transportiert. Polizei und Militär sprechen von mindestens 20 Verletzen auf ihren Seiten.
Ministerin kündigt Untersuchung an
Die Übergangs-Innenministerin Raya El Hassan, drückte in einem Sonntagmorgen veröffentlichten Statement ihre „Betrübnis“ über die nächtlichen Ausschreitungen aus. Sie forderte die Demonstranten auf, sich von gewalttätigen Infiltratoren der Protestbewegung zu distanzieren. Diesen ginge es einzig und allein um eine Eskalation der Situation. Gleichzeitig ordnete sie eine interne Untersuchung des Vorgehens der Sicherheitskräfte an.
Bereits am späten Samstagnachmittag war es zu Ausschreitungen im Zentrum Beiruts gekommen, als Anhänger der schiitischen Parteien Amal und Hisbollah zum wiederholten Male versuchten das Protestcamp auf dem zentralen Märtyrerplatz zu zerstören. Mehre hunderte vermummte, schwarz gekleidete Männer konnten nur mit Mühe von der Polizei zurückgedrängt werden. Auch hier kam es zum Einsatz von Tränengas, wenn auch in deutlich geringerem Ausmaß.
Zögerliches Vorgehen gegen Amal und Hisbollah
Vertreter der Protestbewegung beschuldigen Polizei und Armee bereits seit Wochen mit zweierlei Maß zu messen. So reagierten die Sicherheitskräfte mehrmals auffallend zögerlich gegenüber Schlägern der Amal und Hisbollah. Beide Parteien waren Teil der Regierung von Ex-Premier Hariri und haben - als größte Gruppe der Schiiten - erheblichen Einfluss im Libanon. Die Hisbollah verfügt über eine eigene bewaffnete Miliz, die vor allem im Süden des Landes aktiv ist und als einzige Gruppierung nach Ende des libanesischen Bürgerkriegs 1990 ihre Waffen nicht abgegeben hat.
Die seit mittlerweile knapp zwei Monate andauernden Massenproteste im Libanon richten sich gegen die verkrusteten Machtstrukturen der Politikelite sowie die weit verbreitete Korruption. Seit dem Rücktritt von Premierminister Saad Hariri am 29. Oktober steht der Mittelmeerstaat ohne Regierung da. Während sich viele Libanesen und Libanesinnen eine sogenannte „Technokraten“-Regierung - bestehend aus Experten und Expertinnen - wünschen, hat der mit der Regierungsbildung beauftragte Präsident Michel Aoun große Schwierigkeiten, die unterschiedlichen Parteienblöcke zusammenzubringen.
Parlamentssitzung wird seit Wochen verschoben
Seit mehreren Wochen wird die konstituierende Parlamentssitzung immer wieder in letzter Sekunde verschoben. Gleichzeitig hat der Libanon mit einer schweren Wirtschaftskrise zu kämpfen. Die Libanesische Lira verliert jeden Tag an Wert, Lebensmittel werden teurer, viele Angestellte erhalten nur noch die Hälfte ihres Gehalts. Finanzexperten warnen vor einem baldigen Staatsbankrott des hoch verschuldeten Staates.
Auch am Sonntag, dem 60. Tag des Aufstandes, hat die Protestbewegung zu neuen Demonstrationen im ganzen Land aufgerufen. Das Militär hat seine Präsenz angesichts möglicher neuer Ausschreitungen - vor allem in Beirut - erneut verstärkt.
Julius Geiler
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