Schellnhuber über Klima-Aktivisten: „Viele junge Menschen werden depressiv zurückbleiben“
Hans Joachim Schellnhuber hat Angst um jüngere Klimakämpfer. Der weltbekannte Klimaforscher beklagt eine „krasse Verantwortungsverweigerung“ vieler Politiker.
Hans Joachim Schellnhuber, weltbekannter Klimaforscher, sieht man seine 70 Jahre nicht an, seinen Stolz auf die junge Generation, die gegen die Klimakrise und für ein nachhaltiges, demokratisches Wirtschaften und Leben auf die Straßen geht, schon.
Er sagt: „Der Schulterschluss von Wissenschaft und Jugend beim Kampf für eine neue Gesellschaft, die nachhaltig wirtschaftet und lebt, ist wie ein Urknall. Wir brauchen diese Heldinnen und Helden, die noch nicht einmal volljährig sind.“
An einem Montag nach seinem Geburtstag im Juni, den der weltbekannte Physiker nur im kleinsten Kreis gefeiert hat, sitzt er in seinem Büro am Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung (PIK), das er gegründet und aufgebaut hat und das 94 Meter hoch auf dem Potsdamer Telegrafenberg angesiedelt ist.
Wie immer, wie sein gesamtes Arbeitsleben lang, ist er hin- und hergerissen zwischen Optimismus und Hoffnung sowie den bedrückenden Realitäten, die dazu führen können, dass sich die Menschheit vernichtet.
Schellnhuber hatte sich bereit erklärt, über die „radikalen Jungen“ zu reden, die die Klimabewegung tragen. Über zwei Aktivistinnen, die sich bei Extinction Rebellion und der Generationen Stiftung engagieren, erscheint in Kürze im Tagesspiegel eine größere Reportage, die Sie auch hier finden.
In seinem Büro saß im vergangenen Jahr auch Greta Thunberg, Klimakampfikone aus Schweden. Schellnhuber bewundert sie wie andere junge Klimakämpfer, gleichzeitig hat er Angst um sie und sagt einen Satz, der ihm selbst ungeheuerlich vorkommt.
„Die jungen Klimaaktivisten laden sich ungefragt die Zukunftsverantwortung der gesellschaftlich Arrivierten auf, die diese Verantwortung scheuen. Es tut mir weh, das zu sagen, aber in diesem Kampf werden viele junge Menschen frustriert, ausgebrannt und sogar depressiv zurückbleiben.“
Es sei eine große Tragik unserer Zeit, dass 16-Jährige Helden sein müssen. Auch deshalb müssten Erwachsene diese Kinder schützen und stützen.
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Schellnhuber kämpft bereits sein gesamtes Berufsleben und auch jetzt, wo er emeritiert ist, dafür, dass die Menschheit überhaupt begreift, was sie selbst angestellt hat. Sollte die Erderwärmung ungezügelt weitergehen und womöglich am Ende des Jahrhunderts um vier oder fünf Grad gestiegen sein, dann wäre das erdgeschichtlich quasi so, als würden wir vor 30 Millionen Jahren leben: mit brutalen Wetterextremen und steigenden Meeresspiegeln.
Er und das PIK haben zum besseren Verständnis vieles getan, etwa die sogenannten Kippelemente benannt oder Kipppunkte, die die Entwicklung beschleunigen können: das Abschmelzen der Eisschilde, das Versiegen des Golfstroms oder das Entgleisen des indischen Sommermonsuns.
Auch das auf der Pariser Klimakonferenz von fast allen Staaten der Welt beschlossene Ziel, die Erderwärmung unter zwei Grad zu halten, geht auf Schellnhuber zurück.
In seinem Büro gibt es zwei Dinge, die er dazu sagt: Zum einen habe er Wissenschaftler gekannt, die Selbstmord begehen wollten, weil man ihnen nicht glaubte und eine „Hexenjagd auf sie veranstaltet“ wurde. In seinem Buch „Selbstverbrennung“ führt er diese Geschichten aus.
Zum anderen sagt er selbstbewusst: „Alles, was ich jemals über die Bedrohung durch den Klimawandel gesagt habe, hat sich im Wesentlichen als wahr und real erwiesen.“
Bei den vielen Klimaaktivisten, die wegen der Coronapandemie lange nicht öffentlich demonstrieren konnten, machte sich in den vergangenen Monaten die Angst breit, dass die Klimarettung aufgrund der aktuellen massiven wirtschaftlichen Folgen vollkommen in Vergessenheit geraten könnte.
Schellnhuber versucht mindestens, optimistischer zu sein und findet, dass nun ein „Paradigmenwechsel stattgefunden“ habe: „In der Finanzkrise wurde die Klimarettung noch verteufelt und wir Wissenschaftler wurden beschimpft, weil man ‚die Wirtschaft‘ um jeden Preis retten und kein intellektuelles Störfeuer dulden wollte.
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Die Corona-Krise sei ein Testfall dafür, wie ernst die Politik die noch größere Klimakrise nehme. „Ich würde sagen, wenigstens den Kampf ums Klima-Bewusstsein haben wir bereits gewonnen, die Entscheider in Berlin und Brüssel haben keine Rückwärtsrollen gemacht. Jetzt muss entschlossen nach vorn gehandelt werden.“
"Hinter Euch steht ein tödliches Monster"
Trotzdem wird Schellnhuber nicht müde, mit radikalen Worten dieses Handeln als alternativlos einzufordern und zu warnen: „Es ist die Verantwortung der Wissenschaft zu sagen: Hinter Euch hat sich ein tödliches Monster erhoben - dreht Euch um, bekämpft es jetzt, sonst wird es Euch zerstören.“
Ebenso wie die Klimaaktivisten, die nicht nur mehr Nachhaltigkeit fordern, sondern einen „Systemwechsel“, findet auch der Physiker, dass wir anders wirtschaften müssen, denn:
„Unser Wachstum speist sich seit der Industriellen Revolution aus endlichen Ressourcen, von denen wir aber erwarten, dass sie uns unendliches Wachstum bescheren. Das ist falsches, ja dummes Denken. Die mit fossilen Energien betriebene Moderne ist eine Singularität der Menschheitsgeschichte – so wie der kalifornische Goldrausch von 1848.“
"Status Quo ist Untergang"
Nun dürfe sich die Politik nicht aus der Verantwortung stehlen und dürfe auch nicht versuchen, nur den Status Quo von vor Corona wiederherzustellen. „Unser Status Quo führt in den Untergang.“
Schellnhuber klagt: „Zu viele in dieser Gesellschaft, vor allem zu viele Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft, üben krasse Verantwortungsverweigerung, weil sie meinen, dass es keine Alternative zum selbst-gewählten materialistischen Wahn gibt. Die Klimakatastrophe ist nicht nur Folge, sondern auch Spiegel unserer Lebensweise.“
An dieser Stelle liegt auch der Grund für den Stolz Schellnhubers auf die junge Generation. Er meint, dass viele dieser neuen „Reformer“ anders als ihre Eltern und Großeltern begriffen haben, dass Wachstum und Wohlstand niemals Selbstzweck sein dürfen.
Schellnhuber: „Die ‚radikalen‘ Klimaretter sind letztlich Stimmen der Vernunft, denn sie berufen sich auf unumstößliche Fakten und Erkenntnisse. Wir Wissenschaftler sind stolz darauf, dass die Jungen uns als Kronzeugen zitieren.“