Klimawandel: Warum tun wir so wenig?
Die Menschheit weiß so viel wie nie über den Klimawandel - und handelt nicht. Ein Grund: unsere Ur-Ängste. Sie sind evolutionär und bestimmen unser Verhalten.
Lina ist 16 Jahre, geht in die 11. Klasse des Lichterfelder Goethe-Gymnasiums und steckt in einem Dilemma. An einem trüben Januartag sitzt sie in einem Zehlendorfer Café, um davon zu erzählen – und von ihrer Umweltgruppe in der Schule. Sie sagt: „Wir sind eine anerkannte Klimaschule, aber die Hälfte der Klassenreisen machen wir per Flugzeug.“ Bald fliegt ihr Chemie- und Informatik-Kurs nach Kroatien. Sie bleibt hier, weil sie findet, dass eine solche Reise großer Unsinn und falsches Klimaverhalten sei.
Ihre Konsequenz ist eine große Ausnahme. Den inneren Druck, die psychische Belastung, die sie automatisch empfindet, können wir vermutlich alle nachempfinden – obwohl die große Mehrheit anders entscheiden würde. Wir kennen das Gefühl, das Richtige tun zu wollen, aber das Bequeme vorzuziehen. Die Mehrheit der Menschen verhält sich scheinbar paradox. Wir wissen zwar so viel wie nie zuvor über den Klimawandel und dessen Folgen, aber wir tun trotzdem nichts. Der Verhaltenspsychologe Arno Deister, Präsident der deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, sagt: „Wir lernen nur sehr langsam und vermeiden Unannehmlichkeiten.“ Darauf sind wir quasi codiert.
Wenn Menschen den Klimawandel ernsthaft bekämpfen wollen, sagen Deister und andere Wissenschaftler, müssen wir unsere psychischen Dispositionen besser kennen und analysieren. Hinter unserer Ohnmacht und Erstarrung verbirgt sich, wie schon der Wissenschaftsjournalist Hoimar von Ditfurth im vergangenen Jahrhundert schrieb, „die charakteristische Unbelehrbarkeit einer genetischen Disposition“ – über tausende von Jahren, wie eine Art angeborene Handlungsanleitung entstanden.
Diese Ur-Angst dreht sich immer um das Existenzielle
Kernproblem dieses Verhaltens ist: Angst. Diese Ur-Angst dreht sich immer um das Existenzielle, um Tod oder Leben. Sie ist zunächst nichts anderes als ein evolutionäres Wächtersystem, hochfunktional und dafür verantwortlich, dass wir überleben. Der Steinzeitmensch ist geflüchtet, wenn das Mammut auf ihn zu rannte und er keine Waffe besaß, wir bleiben an der Ampel stehen, wenn vor uns Autos fahren. Unser Gehirn wie unsere Sinnesorgane sind von der Evolution ursprünglich eben nicht zum Erkennen der Welt, sondern zum Überleben entwickelt worden.
Werden allerdings die aktuellen Bedingungen zu komplex, also unvorstellbar, funktionieren wir quasi verkehrt herum: Wir ignorieren – aus einem Schutzimpuls heraus und aus Angst –, dass uns eine unaushaltbare Situation erwarten könnte. Wir können nur auf das reagieren, was wir gut kennen oder gelernt haben, und was uns unmittelbar betrifft und vor allem sinnlich erfahrbar ist. Alles andere wird zunächst verdrängt. Wie der Klimawandel. Zu abstrakt, zu komplex, zu weit weg, zu wenig nachfühlbar.
Arno Deister, der auch Chefarzt des Zentrums für psychosoziale Medizin am Klinikum Itzehoe ist, sagt: „Das Problem ist, dass das Lernen nur funktioniert, wenn es kurzfristig eine Rückmeldung zum ‚Erfolg’ gibt, wenn der Betroffene sofort merkt, was passiert. Ich kann also nicht erleben, dass das Handeln gegen den Klimawandel mein Überleben sichert.“
Diese angelernten Mechanismen oder Handlungsdispositionen, die uns steuern, sind nicht nur individuell, sondern kollektiv. Arno Deister sagt: „Erfahrungen, die Menschen machen, beispielsweise traumatische Erlebnisse in Kriegen, können sich als Ängste in unseren verhaltenssteuernden Genen wiederfinden und unser Verhalten stark prägen.“ Viele Wissenschaftler sind davon überzeugt, dass zum Beispiel die traumatischen Erlebnisse des Dreißigjährigen Kriegs kollektiv über Generationen hinweg übertragen wurden. Doch auch erbliche Grundlagen von Handlungen sind beeinflussbar. Wir sind uns selbst nicht ausgeliefert!
Sie reagieren mit symbolischen Verteidigungsreaktionen
In der noch jungen wissenschaftlichen Disziplin der Umweltpsychologie versucht man, sich dem Angst-Phänomen zu nähern. Das Ergebnis vieler Studien mit unterschiedlichen Probanden etwa aus Österreich oder Argentinien ist eindeutig, wie etwa die Umweltpsychologin Isabella Uhl-Hädicke von der Universität Salzburg bestätigt: „Je existenzieller die Bedrohung, desto geringer ist die Bereitschaft, das Verhalten zu ändern.“ Uhls und andere Studien zeigen, dass Menschen, die sich von den Fragen zum Klimawandel bedroht fühlen, sich besonders abschottend verhalten.
Sie haben Kontrollverlustängste, die größte Barriere für konstruktives Verhalten, und sie reagieren mit symbolischen Verteidigungsreaktionen: Aufwertung der eigenen Ethnie, Nationalismus, Abwertung fremder Gruppen, Schuldzuweisungen, Forderung nach massiver Bestrafung vermeintlich Schuldiger. Das kennen wir auch aus der Debatte über Geflüchtete. Der weltweite Spin zurück in die Nationalismen, die Auflösung von multinationalen Kooperationen sind auch ein Ausdruck unserer psychischen Instabilität. Das ist gefährlich genug.
Aus ihren Ergebnissen hat Isabella Uhl-Hädicke jedenfalls einen Schluss gezogen, der ihr sehr wichtig ist: „Von der Strategie des Wachrüttelns durch Bedrohungsszenarien ist dringend abzuraten.“ Denn wir verstehen unsere Gefühle nicht gut. Und vor allem wissen wir nicht, mit ihnen umzugehen. Gefühle sind nicht nur Ängste, sie stecken auch in Sehnsüchten, Bedürfnissen, etwa nach Schutz, Frieden, Harmonie.
Auch diese Bedürfnisse haben wir Menschen kollektiv konditioniert, sie bestimmen unser Verhalten. Der deutsche Umweltpsychologe Gerhard Reese, Leiter des Studiengangs „Mensch und Umwelt: Psychologie, Kommunikation, Ökonomie“ an der Universität Landau, sagt: „Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass viele Automatismen in unserem Verhalten geprägt sind durch unsere ökonomische Konditionierung. Wir unterschätzen, dass unser Bewusstsein stark geprägt ist durch die Ausrichtung auf Konsum, Wachstum, Leistung.“ Die Lösung wäre also ein nachhaltiges, konsequentes „Training“ für neue Werte. Das wäre eine neue Konditionierung.
Die Ursachen für die Ignoranz beim Klimawandel: "Unsere gemeinsame Psychologie"
Reese ist davon überzeugt, dass wir „dringend diesen Wertewandel brauchen“ und sieht hier vor allem „die Politik in der Pflicht“. Er verweist auf eigene Studien, in denen Menschen sich dann engagierten, wenn sie sich gut mit einer Gruppe identifizieren konnten. Auch das ist eine Erkenntnis, die Expertenkonsens ist: Gemeinsamkeit hilft immer! „Leider nimmt in unserer Gesellschaft das Bewusstsein für Kollektive ab, die Ausdifferenzierung von Interessensgruppen dagegen nimmt zu“, bedauert Reese. Das sei ein Kernproblem.
Auch Isabella Uhl-Hädicke hat in ihrer Forschung beobachtet, dass es aus „psychologischer Sicht enorm wichtig ist, in Gruppen zu handeln“. Viele Wissenschaftler sind davon überzeugt, dass Vertrauen sehr viel wichtiger sei als Information. Lina, die Schülerin aus Zehlendorf, hat großes Vertrauen in das, was etwa ihre Eltern ihr vorleben. So erzählt sie es. Arno Deister sagt: „Wir lernen am besten durch Vorbilder, die uns emotional prägen und denen wir vertrauen.“
Diese Erkenntnis lehrt auch der britische Pro-Klima-Veteran George Marshall. Ziel ist es, grundsätzlich anders an das heikle Thema heranzugehen. Ähnlich wie Uhl, Reese oder Deister hält er nichts davon, „Verderben und Finsternis“ zu predigen, sondern fordert „positive Kommunikation“, eine „neue Erzählung“. Auch er ist sich sicher, wie er etwa in seinem Buch „Don't even think about it“ schreibt, dass die Ursachen für die Ignoranz beim Klimawandel in dem liegen, was wir alle teilen: „Unsere gemeinsame Psychologie.“ Mehr Verständnis in der Politik über diese Psychologie wäre nach Marshalls Auffassung sehr hilfreich.
Er nennt die „Psychologie“ ohnehin lieber „kognitive Physik“, womit er beweist, dass er ein gutes Gespür für gute Begriffe hat, die uns seriös, glaubhaft und positiv erscheinen. Die Linguistik und die Kommunikationswissenschaft müssten neben der Psychologie Teil von interdisziplinären Gruppen sein, die den Wandel einleiten. Expertenübergreifend stellt Marshall sich auch die Lösung vor, um unser Verhalten zu verändern. In einem Interview mit den „RiffReportern“, eine journalistische Genossenschaft für freie Journalisten in Deutschland, hat er seine Ideen ausgeführt.
Er verweist darauf, dass bisher die meisten Experten, die mit dem Klimawandel zu tun haben, nun einmal Wissenschaftler für Daten, Größen, Modelle, Technik seien. Dementsprechend glaubten viele, dass nur auf diesem Feld Lösungen möglich seien, also Windräder, Solarenergie, Biomasse, Technik allgemein.
"Wir haben uns auf einen kleinen Bereich möglicher Lösungen beschränkt"
Marshall aber sagt: „Wir haben uns auf einen kleinen Bereich möglicher Lösungen beschränkt. Erst wenn man den Klimawandel als soziales oder ökonomisches Problem ansieht, rücken mit dem Blickwinkel auch andere Ideen in den Vordergrund.“ Ein vielschichtiges Problem könne man nicht nur aus einer Perspektive angehen, gerade weil wir Menschen neue Informationen immer auf der Basis kultureller Verknüpfungen einordnen würden. In den USA sei dieses Denken viel radikaler als in Europa. Deshalb versucht er dort, vor allem konservative Gruppen zu gewinnen.
Viele Konservative halten „Umweltschützer automatisch für linke Ideologen“. Marshalls These lautet: „Der Klimawandel kann als Problem nur gelöst werden, wenn in jeder sozialen Gruppe die jeweiligen Meinungsführer ihre Version von Klimaschutz verbreiten.“ Die anderen – die Klimawandelleugner oder Relativierer – seien „keine Idioten“. Sie haben aus den gleichen Informationen und mit den gleichen Codierungen ihrer Psyche nur die falschen Schlüsse gezogen. Marshall fordert die Pro-Klima-Aktivisten auf, auf ihre vermeintlichen Gegner zuzugehen und ihre Widerstände zunächst zu akzeptieren. Erst dann könne es gelingen, sich an gemeinsame Werte zu halten: die Menschlichkeit, die Sorge um unsere Kinder.
Wir könnten also lernen! Lernen, das in unserer Psyche und in den Genen unsere Verhaltensweisen tief verankert sind; dass wir sie aber durch neue Reize, neue Erzählungen, neue Kodierungen verändern können. Das ist vielleicht die beste Botschaft, die Marshall und andere Wissenschaftler für uns haben.
Derweil sitzt Lina, das Mädchen, das sich getraut hat, ihren inneren Konflikt auszuhalten, noch immer im Café. Demnächst treffen sich im Bezirk alle Umweltgruppen der Schulen zu einem Kongress. „Gemeinsam sind wir bestimmt einflussreicher“, sagt sie. Nachdem sie sich entschieden hatte, aus Protest nicht mit ihrem Chemie- und Informatikkurs nach Kroatien zu fliegen, fragte eine Schulfreundin sie fassungslos: „Willst Du keinen Spaß haben?!“ Klar, habe sie geantwortet, wolle sie das. Und dann geschwiegen. Es hätte nichts genutzt, darauf zu verweisen, dass es nicht immer Spaß machen kann, das Richtige zu tun.