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Ein Auflieger mit Wasserstofftanks steht im Energiepark Mainz an der Wasserstofftankstelle.
© picture alliance/Andreas Arnold/dpa

Zukunftstechnik oder Rohrkrepierer?: So will sich Deutschland ins Wasserstoff-Zeitalter katapultieren

Neun Milliarden Euro Fördergeld sollen den Wasserstoff zu einer klimafreundlichen Säule der Energieversorgung machen. Was man über das Projekt wissen muss.

Es wird schwieriger für die deutsche Energiewende. Bei einem Ökostromanteil von mittlerweile mehr als 50 Prozent stößt der Ausbau der erneuerbaren Energien allmählich an seine Grenzen. 

Das liegt vor allem daran, dass der Platz für neue Windräder und Stromleitungen knapp wird, denn immer mehr Bürgerinitiativen klagen gegen deren Aufstellung. Außerdem lassen sich manche Bereiche wie die Industrie oder der Schwerlastverkehr nicht vollständig elektrifizieren. 

Sie werden auch nach 2050 auf gasförmige oder flüssige Energieträger auf der Basis von Wasserstoff angewiesen bleiben. 

Deshalb hat die Bundesregierung am Mittwoch mit mehr als einem halben Jahr Verspätung ihre nationale Wasserstoffstrategie beschlossen – und schlägt damit eine neues Zukunftskapitel auf.

Wofür wird Wasserstoff benötigt?

Wasserstoff ist ein Multitalent, das sich beinahe in allen Bereichen verwenden lässt. Vorrangig soll er dazu verwendet werden, Kohle und Gas in der Stahlindustrie zu ersetzen, beispielsweise bei der Direktreduktion von Eisenerz zu Eisen. 

Wasserstoff ist aber auch die Basis für chemische Grundstoffe wie Ammoniak. In Brennstoffzellen eingesetzt könnte er Züge oder auch Autos antreiben oder in Einfamilienhäusern Strom und Wärme liefern. 

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) mit einem Wasserstoff-Auto
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) mit einem Wasserstoff-Auto
© John Macdougall/AFP-Pool/dpa

Allerdings sind Elektroautos mit Batterien effizienter und kostengünstiger, weil sie den Strom direkt verwenden – dafür haben sie aber eine geringere Reichweite als Autos mit Brennstoffzelle. Die Verbrennung in Gaskraftwerken mit Kraft-Wärme-Kopplung ist nur eine letzte, weil unwirtschaftlichste Option.

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Wie wird der Wasserstoff produziert?

Wasserstoff lässt sich zum einen durch die Elektrolyse von Wasser erzeugen. Wenn der dafür erforderliche Strom aus erneuerbaren Quellen stammt, spricht man von „CO2-freiem“ oder „grünem“ Wasserstoff. 

Die Alternative ist „blauer“ beziehungsweise „CO2-neutraler“ Wasserstoff aus Erdgas oder Kohle, wobei das bei der Herstellung anfallende CO2 aus Klimaschutzgründen aufgefangen und unterirdisch gespeichert wird. 

Die Verfahren dafür sind als Carbon-Capture-and-Storage-Technik (CCS-Technik) bekannt. Das Treibhausgas könnte auch nachträglich aus der Luft durch Aufforstungen von Wäldern oder technischen Lösungen gefiltert werden. Mit dem neuen Ziel der Klimaneutralität bis 2050 hat sich die Bundesregierung zu blauem Wasserstoff bekannt.

Woher soll der Wasserstoff kommen?

Aus Sicht der Bundesregierung ist nur grüner Wasserstoff auf Dauer nachhaltig. Deshalb konzentriert sie ihre finanzielle Förderung darauf. Blauer Wasserstoff soll in Deutschland nicht erzeugt werden, weil die CCS-Technik zur CO2-Abscheidung und -Speicherung hierzulande politisch verpönt ist. 

Weil sie aber den blauen Wasserstoff für die Klimaneutralität benötigt, soll er aus dem Ausland importiert werden. Das Problem der CO2-Speicherung wird somit anderen Ländern überlassen. 

Der Coradia iLint, der weltweit erste Wasserstoff-Triebzug für den Regionalverkehr des französischen Zugherstellers Alstom steht im Bahnhof Basdorf, auf dem Dach sind die Gastanks zu sehen.
Der Coradia iLint, der weltweit erste Wasserstoff-Triebzug für den Regionalverkehr des französischen Zugherstellers Alstom steht im Bahnhof Basdorf, auf dem Dach sind die Gastanks zu sehen.
© Bernd Settnik/dpa-Zentralbild/dpa

Laut Strategie wird sogar der überwiegende Teil des Wasserstoffs, sprich etwa 80 Prozent, importiert werden müssen, der grüne Wasserstoff alleine reicht nicht. Andere Nationen setzen ohnehin voll auf CCS-Technik, vor allem Norwegen und Großbritannien. 

In den nächsten zehn Jahren soll sich ein globaler und europäischer Wasserstoffmarkt herausbilden, in den Deutschland stark eingebunden sein wird. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) hatte anfangs darauf gedrängt, dass auch der importierte Wasserstoff grün sein muss. Letztlich scheiterte sie damit aber am Koalitionspartner und auch an Widersachern in ihrer eigenen Fraktion.

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Welche Vor- und Nachteile hat Wasserstoff?

Der größte Vorteil von Wasserstoff ist, dass er in begrenztem Maße ins Erdgasnetz eingespeist werden kann und sich so im Gegensatz zu Strom über Wochen und Monate speichern lässt. 

Wird er mit kohlenstoffhaltigen Gasen zu synthetischen Brenn- und Kraftstoffen („E-Fuels“) verarbeitet, ließe sich die bestehende Infrastruktur problemlos weiternutzen, etwa die Verbrennungsmotoren. 

Dagegen spricht allerdings der hohe Effizienzverlust bei der Herstellung. Besser wäre es, den Strom direkt zu nutzen, sei es in batterieelektrischen Fahrzeugen oder Wärmepumpen. Die große Gefahr beim Wasserstoff ist, dass der Ausbau der Erneuerbaren vernachlässigt wird.

Wie fördern Bundesregierung und EU den Wasserstoff?

Bislang hat die Bundesregierung ausschließlich die Forschung zur Wasserstofftechnologie finanziell unterstützt. Es entstanden 35 Pilotprojekte, die nach Ende des Förderzeitraums aber nicht kommerziell betrieben werden konnten. Der Hauptgrund ist, dass der Strom für die Elektrolyse wegen der Abgaben und Umlagen viel zu teuer ist. Das soll sich ändern. 

Mit dem Konjunkturpaket vom vergangenen Mittwoch hat das Kabinett beschlossen, die Wasserstoff-Produktion von der EEG-Umlage zu befreien. Darüber hinaus ist ein Förderprogramm für den Bau von Elektrolyseanlagen mit fünf Gigawatt Gesamtleistung bis 2030 geplant. 

Spätestens bis 2040 sollen weitere fünf Gigawatt dazukommen. Den nötigen Strom könnten Windparks in der Nordsee liefern, in Kooperation mit anderen Nordsee-Anrainerstaaten. Für den Flugverkehr soll eine verpflichtende Beimischungsquote für synthetisches Kerosin geprüft werden. 

Im Konjunkturpaket sind für Wasserstoff neun Milliarden Euro eingeplant. Die EU-Kommission hat angekündigt, noch im Juni ihre Wasserstoffstrategie vorzustellen. Um den Markt anzukurbeln, plant Brüssel zeitlich befristete Fördermechanismen auf EU-Ebene. Die Förderung soll sich auf grünen Wasserstoff beschränken und auf die Industriesektoren Stahl, Chemie und Zement. Konkrete Gesetzesvorschläge sind erst Mitte 2021 zu erwarten.

Steven Hanke

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