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Hans Joachim Schellnhuber hat mit dem rund 700 Seiten starken Buch "Selbstverbrennung" sein "Vermächtnis" vorgelegt. So sagt er das. Er verbindet seine Biographie darin mit seiner Forschung und den Erkenntnissen, wie sich Gesellschaften verändern können. Auch zum Guten.
© Ralf Hirschberger/dpa

Klimaschutz: "Der Reichtum zerstört die Umwelt"

Der Potsdamer Klimaforscher Hans-Joachim Schellnhuber über sein Buch "Selbstverbrennung" und warum er der evangelischen Kirche im Lutherjahr eine Debatte über ihren Fortschrittsbegriff nahe legt.

Herr Schellnhuber, Sie bezeichnen ihr neues Buch „Selbstverbrennung“ als ihr „Vermächtnis“. Darin verbinden Sie ihre naturwissenschaftliche Forschung mit den gesellschaftlichen Realitäten. Das hat in diesem Jahr auch der Papst mit seiner Schrift „Laudato Si!“ getan. Hat es Sie überrascht, dass ausgerechnet die katholische Kirche sich damit auf die Seite der Klimaforschung geschlagen hat?

Es hat mich deshalb nicht überrascht, weil ich in den vergangenen Jahren mehrfach Gelegenheit hatte, über die Pontifikal-Akademie Informationen in die Debatte einzuspeisen. Die Kirche hat die Erkenntnisse der Klimawissenschaft klar zur Kenntnis genommen und akzeptiert. Der zweite Grund, warum mich das nicht überrascht hat, ist der Papst selbst. In dem Moment, in dem er den Namen Franziskus angenommen hat, war das natürlich auch Programm: Franz von Assisi ist der interessanteste Heilige der katholischen Kirche. Die Solidarität mit den Schwachen, den weniger Talentierten, den Armen sowie die Harmonie mit der Natur waren seine großen Themen vor 800 Jahren, und dieser Papst hat genau das aufgegriffen. Er ist ein Visionär – und ein tapferer Mann. Das muss man im Vatikan übrigens auch sein.

Die andere große Kirche, die evangelische, hat sich in Deutschland dem Umweltthema schon früh zugewandt. Andererseits hat der Protestantismus mit seinem Arbeitsethos aber auch einiges zur Zerstörung des Planeten beigetragen. Wie sehen Sie die Umweltdiskussion in der evangelischen Kirche?

Man kann nicht sagen, dass der Umweltdiskurs dort nicht stattfindet. Aber die wahre Leidenschaft ist bisher nicht entstanden. Das Klimathema gehört irgendwie zum thematischen Kanon eines Seelsorgers, der die spirituelle Betrachtung der Welt vollzieht. Aber ich glaube auch, dass die evangelische Kirche, ähnlich wie die deutschen Gewerkschaften, ein Problem mit ihrem Fortschrittsbegriff hat: der Glaube an die permanente materielle Wohlstandssteigerung. Das Luther-Jubiläum 2017 wäre ein guter Zeitpunkt, um zu fragen: Braucht nicht auch die evangelische Kirche einen neuen Fortschrittsbegriff, der eher die Bewahrung der Schöpfung in den Vordergrund rückt als die immerwährende Expansion der fleißigen, unermüdlich schaffenden  Menschen über die Erde,. Vielleicht finden sie Erfüllung in der Arbeit - aber kein Glück.

Die Frage, wie Armut überwunden werden kann, ohne den Klimawandel weiter anzufeuern, ist allerdings von beiden Kirchen nicht wirklich beantwortet. Wie sehen Sie das: Verhindert Klimaschutz die Überwindung von Armut? Oder verhindert der Klimawandel die Überwindung der Armut?

Diese Frage hat mich jahrelang gequält. Franziskus macht ja etwas sehr Geschicktes: Er referiert die Aussagen ganzer Gruppen von Bischöfen und Kardinälen. Er ist ein extrem guter Diplomat – anders  könnte er auch als tapferer Mann kirchenpolitisch nicht überleben. Aber die Widersprüchlichkeit ist zu spüren. Steht Umwelt, die Bewahrung der Natur wirklich gegen die Entwicklungschancen der Mehrheit der Menschen? Inzwischen bin ich zu einer klaren Antwort gekommen: Es ist kein Gegensatz, ganz im Gegenteil! Es ist nicht die Armut, die die Umwelt zerstört. Es ist der Reichtum. Es ist die oberste Wohlstandsmilliarde der Menschen, die den Klimawandel verursacht. Die unterste Milliarde wird vielleicht Feuerholz suchen, aber bei der Zerstörung der Erde fällt das nicht ins Gewicht. Natürlich gibt es einen Druck auf die regionalen Ökosysteme. Aber selbst der wird stärker von multinationalen Agrarkonzernen ausgeübt – wie etwa beim Sojaanbau oder beim Anlegen von Palmölplantagen – als von der lokalen Bevölkerung. Die zweite große Verfälschung der Wirklichkeit liegt in der Behauptung, dass man um der Armen willen die Entwicklung, also etwa den Bau von Kohlekraftwerken, vorantreiben müsse. In Indien beispielsweise entlarvt sich das als blanke Schutzbehauptung. Zu der Vorstellung, dass man die letzte Inderin oder den letzten Inder irgendwo in einem abgelegenen Ort mit einem zentralen Stromnetz erreichen könnte, kann ich nur sagen: Viel Glück, da könnt Ihr lange warten. Die zusätzliche Elektrifizierung durch Kohlekraftwerke dient vor allem der Ober- und Mittelschicht. Die Armen werden gewissermaßen als menschliches Schutzschild verwendet, um eine Industriepolitik voran zu treiben, die den Eliten nützt. Das, was das Klima schützt, nützt zumeist auch den Armen: Also erneuerbare, dezentrale Energien, Recycling und ein effektiverer Umgang mit Ressourcen. Es ist für mich eine wichtige Erkenntnis, dass das, was zusammengehört, auch faktisch zusammenpasst.

Die neue soziale Frage?

Es ist jedenfalls nicht mehr der Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit. Es geht inzwischen um den Ausgleich zwischen den heutigen und künftigen Generationen sowie zwischen Zentrum und Peripherie. Der Gegensatz besteht zwischen denen, die wirtschaftliche Macht besitzen, und die leben im Jetzt, und den „Unterliegern“ im Sinne eines Flusses, die keine Chance haben, an der Verteilung mitzuwirken. Eine Sozialdemokratie heute sollte die soziale Frage so stellen: Wie teile ich mit denen, die noch nicht geboren sind? Und: Wie teile ich mit denen, die an den Rändern der Weltwirtschaft vegetieren und bestenfalls als Zulieferer in den Sweat Shops in Kambodscha oder Bangladesch zählen. Das ist die himmelschreiende soziale Frage der Gegenwart, und erst, wenn die Sozialdemokratie diese Solidarität neu begreift, werde ich sie auch wieder Ernst nehmen.

Sie haben es in der Klimadebatte mit dem Wissenschaftlichen Beirat Globale Umweltveränderung (WBGU) aber auch durch ihre Beratertätigkeiten geschafft, das Zwei-Grad-Ziel als Orientierungspunkt zu etablieren. Die globale Temperatur sollte nicht über die Zwei-Grad-Marke im Vergleich zum Beginn der Industrialisierung steigen. Wie ist Ihnen das gelungen?

Wenn man eine Einsicht gewonnen hat, muss man beharrlich zu ihr stehen. Aber man muss auch ein bisschen Glück haben. Man muss Ohren finden, die sich öffnen, wenn man redet, und es müssen wichtige Ohren sein. Das kann man nicht planen. Aber, die Kraft von Ideen ist größer, als allgemein angenommen wird. Sie gehen ihren Weg. Langsam, manchmal beschleunigt durch Naturereignisse. Das ist kein Trost, weil wir beim Klimawandel auf jede Stunde angewiesen sind, um zu handeln. Trotzdem ist Geduld notwendig. Doch man muss die Entscheidungsträger auch nerven. Man muss immer wieder nachfragen. Oft wird man abgewimmelt, oder es wird ausgewichen. Man muss dann halt weiter nerven. Das hat Bundeskanzlerin Angela Merkel beim 20-Jahres-Kongress des WBGU sehr schön formuliert. Sie hat gesagt: „Fallen Sie uns auch weiterhin auf den Wecker. Das ist Ihre Aufgabe.“

Allein in meiner Lebenszeit hat sich die Welt gewaltig verändert. Den Mauerfall hatte ich nicht erwartet, oder das mobile Geld in Kenia. Heißt das im Umkehrschluss nicht auch: Veränderungen können auch ganz schnell passieren?

Die nicht-linearen und abrupten Entwicklungen in der Gesellschaft sind vielleicht sogar noch interessanter als die in der Natur. Und das ist ein Grund zur Hoffnung. In Paris wird es wohl einen bescheidenen Verhandlungserfolg geben, aber keinen Anlass, uns entspannt zurückzulehnen. Aber das Tempo, in dem Innovationen stattfinden, hat sich seit dem Beginn der Industrialisierung gewaltig beschleunigt. Und das geschieht auch im Augenblick: Das neue System, das überlebensfähige, also die erneuerbaren Energien, zerstören das alte System. Das ist bereits tot, hat es aber noch nicht wahrgenommen.

Moralisch überholt.

Auch ökonomisch und technisch. Da kommt die Psychologie der Investoren ins Spiel. Wenn eine Idee ganz neu ist, und der Marktanteil klein, dann ist sie nicht attraktiv, weil man das Neue als Spinnerei und riskant abtut. Wenn der Anteil mal mehr als ein Drittel oder schon die Hälfte ist, ist die Idee nicht mehr interessant, weil es quasi alle machen. Aber im Moment kippt das System. Die Investitionen werden aus den fossilen Geschäften wie der Kohle abgezogen und in erneuerbare Energien gesteckt. Wenn ein Investor die Wahl hat, in ein neues Kohlekraftwerk zu investieren, oder in ein großes Solarkraftwerk, dann ist völlig klar, was der Investor tun wird. Alles kann sehr schnell gehen und das muss es auch. Denn mit den normalen Raten an Innovation, Effizienzsteigerung und so weiter, werden wir die Zwei-Grad-Linie nicht halten. Die Entwicklung muss also nicht-linear verlaufen. Das fossil-nukleare System dürfte implodieren wie die Sowjetunion implodiert ist. Es könnte allerdings auch anders herum kommen, dass wir nämlich zurück ins alte System schwingen. Und dann sehe ich schwarz für die Menschheit.

Ist Klimaschutz nur Politik und Wirtschaft?

Wir Verbraucher treffen täglich Konsumentscheidungen mit großen Auswirkungen auf das Klimasystem. Wenn wir alle nur noch einmal in der Woche Fleisch essen oder sogar ganz darauf verzichten würden, hätte das einen unmittelbaren Klimanutzen – und würde Landkonflikte mindern, weil weniger Anbaufläche für Viehfutter gebraucht würde. Eigentlich gibt es genug fruchtbare Böden auf der Welt, um alle zu ernähren. Ich will weg davon, dass man immer bequem mit dem Finger auf andere deutet: das System, das Kapital, die Firmen. Ja sicher. Aber selbst die größten Konzerne brechen zusammen, wenn die Kunden sie meiden. Sehr viele Kleininvestoren können scheinbar übermächtige Institutionen in die Knie zwingen. Deshalb plädiere ich ja auch für den Klimaschutz als Weltbürgerbewegung.

Die Konsumenten haben Macht, das ist wahr. Aber oft sind sie allein und nicht organisiert.

Klimaschutz muss zweifellos auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Natürlich braucht es die politische Ebene. Auch Führungsstärke ist nötig. Aber eben vor allem die Verantwortung des Einzelnen.

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