UN-Nachhaltigkeitsgipfel: Vereint für eine bessere Welt
Beim Gipfel der Vereinten Nationen werden 17 Ziele beschlossen. Berlin gilt dort als vorbildlich. Kann Deutschland Nachhaltigkeit?
Obwohl der Papst den ersten Auftritt beim Nachhaltigkeitsgipfel der UN hatte, waren viele Augen auf die deutsche Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gerichtet, die am Freitagabend in New York ihre Rede zu den neuen globalen Zielen hielt. Der VW-Skandal macht weltweit Schlagzeilen, und viele fragen sich, ob der tadellose Ruf der Deutschen beim Umweltschutz denn tatsächlich zu Recht besteht. Und das ist nicht das einzige, was international mit großem Interesse verfolgt wird. Die Energiewende wird von Begeisterung, aber auch von glühender Ablehnung begleitet. Auch die Rolle Deutschlands in der Flüchtlingskrise wird leidenschaftlich diskutiert.
Welches Deutschlandbild hat die Bundeskanzlerin der Welt präsentiert?
Angela Merkel präsentierte Deutschland vor allem als zuverlässigen Partner, um die globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs, Sustainable Development Goals) zu erreichen. Sie versprach, den Entwicklungsetat in den kommenden Jahren stetig substanziell zu erhöhen. Das brachte ihr einen lauten Zwischenapplaus ein. „Deutschland steht zur Verpflichtung, 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungshilfe einzusetzen“, sagte sie in ihrer kurzen Rede vor den UN. Das mit dem VW-Skandal weltweit verlorene Vertrauen in die Umweltmarke Deutschland, kann dieses Versprechen zwar nicht wett machen. Aber nach Jahren, in denen sich Deutschland im Schneckentempo der 0,7-Marke näherte, könnte es nun tatsächlich schneller gehen. Im Haushalt 2016 ist deutlich mehr Geld eingeplant.
„Veränderung ist möglich“, versicherte Merkel und verwies auf die deutsche Wiedervereinigung. Genauso sei das Ziel „die absolute Armut bis 2030 zu überwinden, „keine Träumerei“. Die Hälfte des Weges sei mit den vorangegangenen Millenniumszielen schon erreicht. Sie stellte das aktuelle Flüchtlingsdrama in einen Zusammenhang mit den 17 Nachhaltigkeitszielen. „Wer das Leid derjenigen sieht, die ihre Heimat hinter sich lassen und sich anderswo Schutz und Zukunft erhoffen, wer auch die Herausforderung für die Länder kennt, die Flüchtlinge aufnehmen, der weiß, dass es letztlich nur eine Lösung gibt: Wir müssen den Ursachen von Flucht und Vertreibung entgegenwirken.“ Die globalen Nachhaltigkeitsziele sollen die Grundlage dafür werden.
Merkel kämpft um mehr Klimaschutz
Genauso wie der Papst stellt auch die Kanzlerin den Klimaschutz in den Mittelpunkt. Mit Blick auf den Klima-Gipfel im Dezember in Paris mahnte Merkel die anderen Industriestaaten, ihre Zusagen von Kopenhagen an die Entwicklungsländer zu erfüllen. Die Finanzierung des geplanten Klimafonds in Höhe von 100 Milliarden Dollar blieb aber auch nach den Worten der Kanzlerin unklar. Merkel sprach von einem Mix privater und staatlicher Finanzierung. Um die Weltwirtschaft vom Kohlendioxidausstoß zu befreien, benutzte Merkel den technischen Begriff „Dekarbonisierung“. Am Sonntag wird Merkel mit UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und weiteren 30 Staatschefs darüber sprechen, was das heißt.
Die Weichen für die Bekämpfung der Ursachen von Armut und Umweltzerstörung seien mit der Einigung auf die Agenda 2030 gestellt, sagte Merkel. „Jetzt gilt es, überall dafür zu arbeiten national, regional und global“, sagte die Kanzlerin. „Deutschland wird dies tun.“
Wie steht es um die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie?
Seit 2002 hat Deutschland eine eigene Nachhaltigkeitsstrategie. Alle zwei Jahre legt das Statistische Bundesamt einen Indikatorenbericht vor, der den Erfolg oder Misserfolg der deutschen Ziele messen soll. Im jüngsten Indikatorenbericht von 2014 vermerkten die Statistiker beim Klimaschutz und dem Ausbau erneuerbarer Energien positive Entwicklungen. Da erreicht Deutschland seine Klimaziele mit einiger Mühe, im Fall der erneuerbaren Energien locker.
Auch das Ziel, einen schuldenfreien Staatshaushalt vorzulegen, haben Regierung, Parlament und Bundesrat sehr ernst genommen: Die Staatsfinanzen sind in einem guten Zustand. Die Sozialsysteme dagegen sind weiter auf ein stetiges Wachstum angewiesen. In der Nachhaltigkeitsstrategie gibt es dafür aber bisher keinen Messwert. Bei den Bildungszielen ist ebenfalls eine Aufwärtsbewegung erkennbar. Bei den Umweltzielen der Nachhaltigkeitsstrategie sieht es deutlich schlechter aus. Weder beim Flächenverbrauch noch beim Schutz der biologischen Vielfalt haben sich die Bewertungen seit 2002 verbessert. Auch beim Ressourcenverbrauch schneidet Deutschland schlecht ab. Dieser spielt allerdings in den globalen SDGs nur eine untergeordnete Rolle.
Wo steht Deutschland bei den globalen Nachhaltigkeitszielen?
Die Bertelsmann-Stiftung hat gerade einen ersten Versuch gemacht, mit einem eigenen Indikatorensatz zu messen, wie gut die Industriestaaten auf die SDGs vorbereitet sind. Deutschland hat mit Platz sechs nicht schlecht abgeschnitten. Nur Schweden, Finnland, Norwegen, Dänemark und die Schweiz sind besser. Ziele wie die Wirtschaftsentwicklung, die Senkung der Arbeitslosigkeit oder die Gesundheitsversorgung stehen auf der Haben-Seite der deutschen Bilanz. Die Klimabilanz hebt sich im Vergleich mit anderen Industriestaaten positiv ab. Aber die Bertelsmann-Stiftung hat – noch vor dem Bekanntwerden des VW-Skandals – bei der Feinstaubbelastung schlechte Noten vergeben. Die Daten dafür stammen vom Umweltbundesamt, das ein bundesweites Messnetz für Luftschadstoffe betreibt und damit jederzeit weiß, welche Schadstoffe in den Lungen der Kinder, der Alten, aller Bürger ankommen.
Wie will Deutschland die SDGs umsetzen?
Seit 2002 gibt es in Deutschland eine nationale Nachhaltigkeitsstrategie. Die Strategie ist das vermutlich am meisten ignorierte politische Konzept. Kaum jemand kennt es, in Parlament und Regierung spielt es bei der Entwicklung von Politik nahezu keine Rolle.
Dabei ist die Strategie hochrangig angebunden. Der Kanzleramtsminister hat die Verantwortung für die Umsetzung der Nachhaltigkeitsstrategie. Unterstützt wird er von einem Staatssekretärsausschuss aus allen Ministerien. Im Bundestag beschäftigt sich ein parlamentarischer Beirat mit der Umsetzung, und die Regierung hat einen Rat für nachhaltige Entwicklung berufen, in dem Fachleute und honorige ehemalige Politiker ihre Ratschläge geben. Erfolge sind dann erkennbar, wenn es politische Einigkeit und konkrete Umsetzungsstrategien gibt, wie beispielsweise bei der Energiewende.
Im Nachhaltigkeitsrat ist durchaus über die Umsetzung der neuen globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs) in Deutschland gestritten worden. In einer umfassenden Stellungnahme empfiehlt der Rat zu überprüfen, ob Nachhaltigkeit zum Staatsziel im Grundgesetz gemacht werden kann. Der Rats-Geschäftsführer, Günther Bachmann, ist überzeugt, dass eine Verankerung der Nachhaltigkeit im Grundgesetz die Strategie näher an die Umsetzung bringen kann. Zudem ist es ihm wichtig, die nationalen Ziele und die internationalen Ziele besser miteinander zu verknüpfen. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hat das beispielsweise mit seinem Textilbündnis praktisch versucht. Dabei sollen die Textilhändler in Deutschland ihre Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten und akzeptable Arbeitsbedingungen in Entwicklungsländern aktiv übernehmen. Als drittes Element nennt Bachmann eine bessere Vermittlung der Nachhaltigkeit, also eine verständlichere Werbung für das Konzept.
17 Ziele oder Prioritäten?
Dagegen hat im Nachhaltigkeitsrat eigentlich niemand etwas. Aber Bachmanns Versuch, die Zahl der Indikatoren zur Messung der Erfolge etwas zu reduzieren und die ganze Strategie stärker auf einzelne Ziele zuzuspitzen, ist zumindest im Nachhaltigkeitsrat gescheitert. Auch Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hat bei einem SDG-Kongress in Berlin vor einigen Wochen klargestellt, dass Deutschland alle 17 SDGs und ihre 169 Unterziele im Blick behalten und auch umsetzen wolle. Der Nachhaltigkeitsrat hat empfohlen, die Überarbeitung der dann nicht mehr „nationalen“, sondern „deutschen“ Nachhaltigkeitsstrategie 2016 dafür zu nutzen, die „Umsetzung“ der SDGs „klar erkennbar“ zu machen. Sie müsse in Deutschland für die Welt und durch Förderung auch in der Welt umgesetzt werden.
Imme Scholz, Vizepräsidentin des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik und Ratsmitglied, wünscht sich vor allem eine stärkere Beteiligung des Bundestags an der Umsetzung der Strategie. Eine jährliche Bundestagsdebatte über den Indikatorenbericht wäre aus ihrer Sicht schon ein Fortschritt.
Wie erfolgreich ist die deutsche Entwicklungspolitik bei der Bekämpfung internationaler Fluchtursachen?
Offenkundig hält sich der Erfolg in Grenzen. Andererseits ist der Anspruch, mit Entwicklungsprojekten die Flucht oder die Migration zu verhindern, auch ziemlich hoch. Die SDGs enthalten mehrere Vorgaben, bei denen es darum geht, die globale Ungleichheit zu bekämpfen. Damit ist der gewaltige Unterschied zwischen den reichen Ländern in Europa und sehr armen Ländern in Afrika oder Asien gemeint – aber auch die Einkommensschere innerhalb einer Gesellschaft. In vielen armen Ländern lebt eine reiche Oberschicht ihren Reichtum ziemlich schamlos aus. Die dank der Millenniumsziele der Vereinten Nationen (MDGs) immer besser ausgebildeten jungen Leute sehen das – und für sich kaum eine Chance, jemals genauso leben zu können. Für viele ist das ein guter Grund, ihre Heimat zu verlassen, und anderswo ein besseres Leben zu suchen. Diese jungen Menschen alle mit Arbeitsplätzen zu versorgen, die sie in ihrer Heimat halten könnten, ist selbst für die erfolgreichste Entwicklungspolitik kaum zu erreichen.
In den SDGs findet sich aber auch die Forderung nach einer „geordneten Migrationspolitik“, bisher keine Stärke Deutschlands. Bei der Beendigung von Konflikten dagegen hat Deutschland mehrfach eine international anerkannte Rolle gespielt. So gehörte Deutschland zur Verhandlungsgruppe, die in zähem, jahrelange Streit schließlich ein Abkommen mit dem Iran über sein umstrittenes Atomprogramm zustande gebracht hat. Viele trauen Deutschland auch beim Versuch, den syrischen Bürgerkrieg zu beenden, eine Rolle zu. Der ehemalige Chef des UN- Umweltprogramms Klaus Töpfer, der Angela Merkels Vorgänger als Umweltminister war, sagte dem Tagesspiegel: „Ich wünsche Angela Merkel viel Erfolg bei ihren Bemühungen um Frieden in Syrien.“ Das wäre wichtig für Deutschland, denn viele Flüchtlinge kommen aus Syrien, es wäre aber auch „wichtig für die UN und den Frieden in der Welt“, sagt Töpfer.
Hat Deutschland zurecht einen guten Ruf in der Umweltpolitik?
Deutschland hat durchaus eine führende Rolle in der internationalen Umweltpolitik gespielt. Der Begriff „Kreislaufwirtschaft“ hat weltweit Abfallgesetze angeregt, die einige Probleme offener Müllkippen in den Griff bekommen haben. Allerdings steht Deutschland mit einem hohen Pro-Kopf-Müllaufkommen im internationalen Vergleich derzeit nicht gut da. Seit Jahren wird in Deutschland über die Einführung einer Wertstofftonne gestritten, und auch der Biomüll wird noch nicht flächendeckend eingesammelt. Erst vor kurzem hat die internationale Polizeibehörde Interpol einen Bericht veröffentlicht, aus dem hervorgeht, dass Europa und insbesondere Deutschland bei der Entsorgung von Elektroschrott versagen. Nur ein Drittel der elektronischen Altgeräte, die in Deutschland weggeworfen werden, landen tatsächlich im dafür vorgesehenen Verwertungs- und Entsorgungssystem. Der Rest taucht falsch deklariert als „Wertstoff“ auf Müllkippen in Westafrika, China oder Indien wieder auf.
Der VW-Skandal hat international bekannt gemacht, dass Deutschland schon seit Jahren die Vorgaben zur Luftreinhaltung nicht einhält. Die Stickoxid-Werte und die Feinstaubwerte sind fast flächendeckend immer wieder zu hoch. Das liegt vor allem daran, dass in Deutschland viele Diesel-Fahrzeuge herumfahren, die mehr Schadstoffe ausstoßen, als es die gültigen europäischen Abgasnormen Euro 5 und Euro 6 zulassen. Würden diese Diesel-Fahrzeuge durch Benzin-Autos ersetzt, sähe es um die deutsche Klimabilanz im Verkehr bedeutend schlechter aus. Zwar stoßen Dieselautos pro Liter Treibstoff mehr Kohlendioxid aus als Benzin-Motoren. Doch Diesel-Motoren sind effizienter. Es wird also weniger Treibstoff verbraucht, um die gleiche Fahrleistung zu erbringen, deshalb senken die Dieselautos insgesamt den CO2-Ausstoß.
Welche Rolle spielt Deutschland in den Vereinten Nationen?
Seit einigen Monaten wird Angela Merkel als mögliche Nachfolgerin des Ende 2016 scheidenden UN-Generalsekretärs Ban Ki Moon gehandelt. Die Idee, nach dem eher faden Südkoreaner ein politisches Schwergewicht auf den Posten zu heben, gefällt Anhängern des UN-Systems gut. Allerdings halten es UN-Insider für nahezu ausgeschlossen, dass Merkel es werden könnte. Noch nie hat ein Vertreter aus einem großen Land, das zudem einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat anstrebt, den UN-Generalsekretär gestellt. Dass der UN-Sicherheitsrat einen einflussreichen und gut vernetzten Politiker auf dem Posten dulden würde, ist unwahrscheinlich. Außerdem sind die Osteuropäer „dran“, von dort kam noch nie ein UN-Generalsekretär. Da wird die ostdeutsche Kindheit und Jugend von Angela Merkel, die etwa der britische „Telegraf“ zitierte, um ihre Eignung zu unterstreichen, wohl nicht ausreichen. Deutschland finanziert rund sieben Prozent des gesamten Etats der Vereinten Nationen. Damit gehört Berlin zu den fünf größten Zahlern. Beim Personal sieht die Quote anders aus: Zwar stellen die Deutschen inzwischen etwa ein Prozent der Sicherheitskräfte und politischen Berater in den 16 UN-Friedenskontingenten, berichtete Astrid Irrgang, Chefin des Zentrums für Friedenseinsätze, dem Bundestag vor der Sommerpause.
Angela Kane, die gerade aus dem UN-Dienst ausgeschieden ist und eine der höchsten deutschen Repräsentatinnen in New York war, kritisierte allerdings: „Deutschland ist auf Spitzenpositionen miserabel vertreten.“ Genau genommen gibt es einen herausragenden Kopf: Achim Steiner, Chef des UN-Umweltprogramms Unep, dessen Amtszeit im Juni 2016 enden wird. Schon Ende Oktober endet für Martin Kobler der Versuch, mit einem robusten Mandat zur Schaffung von Frieden in der Demokratischen Republik Kongo beizutragen. Dabei ist der Diplomat der Regierung in Kinschasa so oft auf die Füße getreten, dass eine Verlängerung als Leiter der Monusco-Mission wohl ausgeschlossen ist. Dafür ist Bonn inzwischen ein relativ bedeutender Standort für die UN.