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Die Nasa-Aufnahme von 2006 zeigt die östliche Hemispähre der Erdkugel.
© Nasa/Goddard Space Flight Center/picture alliance / dpa

Globale Nachhaltigkeitsziele: Wie soll die Welt gerettet werden?

Die UN wollen mehr Frieden, Gerechtigkeit und Ökologie. Am Ende von drei Jahren Verhandlungen steht ein anspruchsvoller Plan: 17 Nachhaltigkeitsziele zur Lösung fast aller Probleme. Heute beginnt der Entwicklungsgipfel in New York.

Die Welt ist aus den Fugen. In Syrien herrscht seit vier Jahren Krieg, Millionen Menschen sind auf der Flucht in die Nachbarländer und teilweise auch nach Europa. Im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen blockieren Russland und China seit Jahren jeden Versuch, eine Lösung zu finden. Wobei „Lösungen“, wie der Fall Libyen vor einigen Jahren zeigt, neue schwer zu lösende Probleme mit sich bringen können. Jedenfalls wird im einzigen Gremium mit globaler Autorität gestritten, aber nichts entschieden. Und Syrien ist nicht der einzige Krisenherd, der den UN humanitäre Hilfe, aber auch Vermittlung abverlangt. Nie gab es mehr UN-Blauhelmmissionen zur gleichen Zeit. Kooperation und Diplomatie zur Lösung von Konflikten stehen, so scheint es, nicht gerade hoch im Kurs.

„Ich finde es schon beachtlich, dass die UN genau jetzt einen anspruchsvollen Plan mit globalen Nachhaltigkeitszielen vorlegen“, sagt Imme Scholz, Vizepräsidentin des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE), die auch dem deutschen Nachhaltigkeitsrat angehört, den die Bundesregierung nach dem zweiten Weltgipfel in Johannesburg 2002 erstmals berufen hat. Die Meinungen über den Erfolg der Übung gehen allerdings stark auseinander. Vor allem in Großbritannien werden die 17 Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals, SDGs), die mit 169 Unterzielen konkretisiert werden, massiv kritisiert. Charles Kenny vom Center Global Development sieht die vielen Ziele eher als „utopische Vision und nicht als plausible Zielvorgabe für die Entwicklung bis 2030“. Die neuen SDGs sollen die Millenniums-Entwicklungsziele (Millennium Development Goals, MDGs) ablösen. Im Jahr 2000 hatte die UN-Generalversammlung diese acht Entwicklungsziele beschlossen, die vor allem auf soziale Verbesserungen in Entwicklungsländern zielten. Diese Ziele, von der Überwindung des Hungers bis zur Senkung der Kindersterblichkeit unter fünf Jahren, werden in den SDGs fortgeschrieben. Kenny trauert ihnen in seinem Essay nach: „Die MDGs haben ihre Motivationskraft deshalb entwickelt, weil sie so einfach und klar waren.“ Die Verantwortung für die Umsetzung lag bei den Entwicklungsländern. Die Verantwortung, Geld für ihre Umsetzung aufzubringen, lag bei den entwickelten Ländern.

Nachhaltigkeitsziele gelten für alle

Das wirklich Neue an den SDGs ist, dass genau diese alte Logik von Geber- und Nehmerländern der Realität seit dem Ende des Kalten Kriegs nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Ende des Ost-West-Konflikts angepasst wurde. Die SDGs sollen für alle 193 UN-Staaten gelten. Sie sind eine zugegeben komplexe Blaupause für eine bessere Welt. Die Entwicklungs- und die Umweltziele, die seit dem ersten Erdgipfel in Rio 1992 zusammen gedacht worden sind, sind mit den SDGs als globaler politischer Strategie tatsächlich zusammengebracht worden. Die Armut soll überwunden werden, aber in den planetaren Grenzen. Das bedeutet: Es geht nicht mit mehr Wirtschaftswachstum. Denn die globale Weltwirtschaft übernutzt den Planeten schon heute in einer nicht nachhaltigen Weise. Das Gobal Footprint Network berechnet seit einigen Jahren, an welchem Tag im Jahr die Jahresressourcen verbraucht sind, die für eine Entwicklung innerhalb planetarer Grenzen „erlaubt“ wären. In diesem Jahr war das der 13. August, 2014 war es noch der 19. August. „Wer lange über seine Verhältnisse lebt, der steuert auf den Bankrott zu“, sagte Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) kurz vor der Sommerpause bei einer SDG-Konferenz in Berlin.

Die Nachhaltigkeitsziele sind in sich widersprüchlich

Dass die 17 SDGs zum Teil in sich widersprüchlich sind und die Übernutzung des Planeten selbst bei einer erfolgreichen Umsetzung nicht beenden würden, ist laut Michael Obersteiner vom Wiener IIASA-Institut nicht zu bestreiten. Obersteiner hat gemeinsam mit dem Potsdamer IASS-Institut eine Studie über einen Teilaspekt des Problems vorgelegt. Es ging um die Frage, ob der Bedarf an Biomasse für die Erreichung der SDGs mit dem Erhalt der Böden und der biologischen Vielfalt vereinbar wäre. Er ist es nicht. Der Gründungsdirektor des IASS, Klaus Töpfer, stellte bei der Global Soil Week vor einigen Wochen in Berlin deshalb fest: „Die 17 SDGs sind nicht stimmig. Die Nachfrage nach Biomasse und Land, die ihre Umsetzung voraussetzt, kann unmöglich befriedigt werden.“ Deshalb müssten Prioritäten gesetzt werden, „zum Beispiel, wenn es um die Ernährungssicherheit geht“.

Eine Frau mit ihrem Kind ist in der Türkei von der Polizei aufgehalten worden. Sie wollte, wie Tausende andere Flüchtlinge, über die Türkei weiter nach Europa laufen. Krieg, Armut und Umweltzerstörung schlagen Hunderttausende Menschen in die Flucht.
Eine Frau mit ihrem Kind ist in der Türkei von der Polizei aufgehalten worden. Sie wollte, wie Tausende andere Flüchtlinge, über die Türkei weiter nach Europa laufen. Krieg, Armut und Umweltzerstörung schlagen Hunderttausende Menschen in die Flucht.
© Ozan Kose/AFP

Imme Scholz kennt diese Einwände. Sie kommen einerseits aus der Entwicklungsszene, weil ihre alten Konzepte infrage gestellt werden, und weil sie befürchten, dass letztlich weniger Geld für das zur Verfügung steht, was sie bisher gemacht haben. Auf der anderen Seite gibt es Einwände von ökologischer Seite, weil die Ziele es kaum schaffen werden, die Umweltzerstörung dauerhaft zu beenden. Die afrikanischen Staaten verweisen auf ihre eigene Zukunftsstrategie „Agenda 2063“, die der Gipfel der Afrikanischen Union im Frühjahr beschlossen hat. Darin werden Ziele wie ein umfassender Aufbau von Straßennetzen, der Bau eines gigantischen Wasserkraftwerks am Kongo-Fluss (Inga 3) und der Bau von Stromleitungen weitaus höher bewertet als das Ziel, die Armut zu bekämpfen. Die AU argumentiert, dass diese Infrastrukturinvestitionen die Armut viel erfolgreicher bekämpfen würden als Sozialprogramme, die die Ärmsten vor dem Verhungern bewahren. Trotzdem sieht Scholz in den SDGs eine „anspruchsvolle Agenda“ für eine bessere Welt. Immerhin sind trotz größter Meinungsverschiedenheiten zwischen den Staaten „auch Ziele wie die Gleichberechtigung von Frauen“ im Zielkatalog erhalten geblieben, gibt sie zu bedenken.

Diesmal haben alle mitdiskutiert

Die Entscheidung, die MDGs durch umfassendere Nachhaltigkeitsziele zu ersetzen, ist beim dritten Erdgipfel in Rio 2012 gefallen. Es hat ein gutes Jahr gedauert, bis die Verhandlungen über eine „Nach-2015-Agenda“, also eine Fortsetzung der MDGs mit neuen Zielvorgaben, und die Beratungen über die SDGs zu einem Verhandlungsstrang zusammengefasst worden sind. Die MDGs waren von Entwicklungsexperten der UN entwickelt worden und haben es – durchaus überraschend – geschafft, in der UN-Generalversammlung durchzukommen. Doch das Unbehagen daran, nicht mitreden zu können, war groß genug, um für die SDGs einen anderen Weg zu wählen.

Der Klimawandel trifft die Armen in verwundbaren Lebensumständen am härtesten. Das Foto ist im Sommer 2014 auf der Ghoramara Insel entstanden, die in der Bucht von Bengal rund 160 Kilometer von Kalkutta entfernt versinkt.
Der Klimawandel trifft die Armen in verwundbaren Lebensumständen am härtesten. Das Foto ist im Sommer 2014 auf der Ghoramara Insel entstanden, die in der Bucht von Bengal rund 160 Kilometer von Kalkutta entfernt versinkt.
© Piyal Adhikary/dpa

Nach dem Rio-Gipfel haben die UN die Bürger der Welt nach ihrer Meinung gefragt. Mehrere Monate lang konnte sich jeder, der Lust und Gelegenheit dazu hatte, auf einer Internetplattform mit dem einladenden Namen, „Die Welt, die wir wollen“ – das war auch die Überschrift des Rio-Abschlussdokuments – zu Wort melden. Hunderttausende haben das getan. Die wesentlichen Ergebnisse dieser Konsultation sind der hochrangigen Beratergruppe des UN-Generalsekretärs vorgelegt worden, die mit ihrem Bericht „Eine neue globale Partnerschaft“ den ersten konkreten Diskussionsentwurf vorlegte. Eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe des seit Rio neu geschaffenen hochrangigen Nachhaltigkeitsrates bei den UN hat dann die eigentliche Erarbeitung der SDGs begonnen. Unter der Führung des kenianischen UN-Botschafters Macharia Kamau und des irischen UN-Botschafters David Donoghue sind die 17 Ziele schließlich erarbeitet worden. Dass, wie Imme Scholz lobt, auch umstrittene Ziele nicht herausverhandelt worden sind, dürfte auch etwas mit dem Vorgehen der beiden Botschafter zu tun haben. Anstatt in den bei den UN üblichen Verhandlungsgruppen mit ihren festgefügten Meinungen zu diskutieren, haben sie jeweils drei Länder mit einer Stimme ausgestattet. Die deutschen Verhandler haben beispielsweise mit ihren Kollegen aus der Schweiz und Frankreich gemeinsam Positionen erarbeitet.

Streit über die Vielzahl der Ziele

Nachdem die 17 Ziele einmal in der Welt waren, haben zwar Großbritannien und andere noch versucht, eine „Konzentration auf wenige Ziele“ durchzusetzen. Aber die Furcht, dass gar nichts mehr dabei herauskommen würde, wenn das Paket aufgeschnürt werden würde, hat am Ende alle diszipliniert. In der kommenden Woche ist deshalb damit zu rechnen, dass die UN-Generalversammlung den Empfehlungen folgen und die 17 Ziele beschließen wird. Barbara Hendricks hat die SDGs in ihrer Rede in Berlin in fünf Stichworten zusammengefasst: Armutsbekämpfung, Einhaltung internationaler Sozialstandards, Arbeitsbedingungen, Menschenrechte und umweltverträgliches Wachstum. Ob das die SDGs leichter vermittelbar macht, wird sich zeigen. Der eigentliche Streit kommt jedenfalls nach der feierlichen Verabschiedung der SDGs kommende Woche: Dann wird darüber gestritten, mit welchen Indikatoren die Erfolge vermessen werden sollen. Da es über vieles selbst in entwickelten Staaten kaum Daten gibt, wird das eine schwierige Übung.

Dagmar Dehmer

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