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Der Papst hat überlebt. Als Franziskus die Zentralafrikanische Republik besuchte, wurde er von UN-Blauhelmen bewacht. Sonst hat ihr Ruf stark gelitten. Das Foto zeigt UN-Soldaten aus Bangladesch, die den Papstbesuch gesichert haben.
© Daniel Dal Zennaro/dpa

Vergewaltigung als Waffe: Verantwortung für die eigenen Truppen

Jean-Pierre Bemba wurde als Befehlshaber einer Miliz für deren Untaten verurteilt. Für die UN-Blauhelme gelten diese Regeln nicht. Seit 13 Jahren verfolgen die UN erfolglos eine Null-Toleranz-Politik gegen sexuellen Missbrauch.

„Vergewaltigung als Kriegswaffe“ dürfe nicht straflos bleiben, sagt Fatou Bensouda. Die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) in Den Haag sagt zudem, sie sei „persönlich entschlossen, mit der vollen Wucht des Römischen Statuts gegen sexuelle und geschlechtsspezifische Verbrechen vorzugehen“. Sie sagte das mit Blick auf die Zentralafrikanische Republik (ZAR). Aber sie sprach nicht über die dort seit 2014 stationierten Friedenstruppen der Vereinten Nationen, denen sexueller Missbrauch von Kindern und Vergewaltigung vorgeworfen wird, sondern über 2002 bis 2003 am gleichen Ort verübte Verbrechen der kongolesischen Miliz MLC unter dem Kommando des früheren Vizepräsidenten der Demokratischen Republik Kongo, Jean-Pierre Bemba.

Der IStGH hat Bemba am 21. März wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen schuldig gesprochen. Konkret werden ihm Mord, Plünderung und vor allem Vergewaltigung durch die von ihm befehligten MLC-Milizionäre vorgeworfen. Bemba war zu der Zeit nicht einmal selbst im Nachbarland, hatte aber seine Truppe in die ZAR geschickt, um den bedrängten Präsidenten Ange-Félix Patassé gegen einen versuchten Staatsstreich des 2004 schließlich doch erfolgreich putschenden François Bozizé zu unterstützen. Das Gericht unter dem Vorsitz der brasilianischen Richterin Sylvia Steiner sah es als erwiesen an, dass Bemba auch vom Kongo aus in der Lage war, seine Milizen zu kontrollieren. Bemba sei „der militärische Befehlshaber mit effektiver Autorität und Kontrolle über die Truppen gewesen, die die Verbrechen begangen hätten“, begründete Steiner das Urteil.

Befehlshaber sind haftbar für die Verbrechen ihrer Truppen

Das Gericht bezieht sich mit diesen Urteil auf Artikel 28 des Römischen Statuts, des Gründungsdokuments des Gerichtshofs, das seine Kompetenzen und Rechtsnormen definiert. Im Artikel 28 geht es um die „Befehlsverantwortlichkeit“, also die Verantwortung eines Generals oder anderen militärischen Anführers für die Taten seiner Truppen. Fatou Bensouda betonte, dass es die „Haftbarkeit von Befehlshabern für die Taten ihrer Truppen“ bestätige. Steiner sagte in ihrer Urteilsbegründung, dass Bemba gewusst habe, was seine MLC-Milizionäre im Nachbarland taten. „Er hat seine Befehlsgewalt nicht genutzt, um die nötigen und vernünftigen Maßnahmen zu treffen, damit Verbrechen vermieden oder verfolgt wurden, und er hat auch nicht die zuständigen Behörden eingeschaltet“, sagte sie. Das Strafmaß wird erst später verkündet werden.

Vergewaltigung als Waffe im Machtkampf

Im Fall des Zentralafrika-Einsatzes der MLC überstieg die Zahl der Vergewaltigungen die Zahl der Morde, heißt es im Urteil. Mehr als 5000 Menschen sind vom Gericht als Opfer anerkannt worden. Die Fraueninitiative für Geschlechtergerechtigkeit (Women’s Initiatives for Gender Justice) in Den Haag schildert in ihrer Urteilsbewertung, wie sehr die Opfer bis heute unter den Taten litten. Viele seien mit dem HI-Virus infiziert worden und an Aids erkrankt. Frauen hätten Vergewaltigungskinder zur Welt gebracht. Und in den politischen Wirren seit dem Sturz von François Bozizé 2013 durch die muslimischen Seleka-Milizen und die christliche Gegenbewegung der Anti-Balaka-Kämpfer gehört Vergewaltigung wieder zu den Waffen im Kampf um die Macht.

Die Verfehlungen der Blauhelme

Die Menschenrechtsorganisationen Human Rights Watch, Amnesty International und eine Delegation des UN-Menschenrechtsrates haben eine Vielzahl von Vergewaltigungsfällen dokumentiert. Sie haben auch mindestens 23 Fälle von sexueller Ausbeutung oder Vergewaltigung durch französische Friedenssoldaten der Sangaris-Mission von 2014 und der UN-Friedenstruppe Minusca aus demselben Jahr dokumentiert. Fatou Bensoudas Verdikt, dass „Befehlshaber für die Taten ihrer Truppen verantwortlich sind“, sollte für die Blauhelme erst recht gelten.

Tatsächlich haben die UN aber monatelang alles getan, um die Vorwürfe zu vertuschen. Ein schwedischer UN-Mitarbeiter, der die Vergewaltigungsvorwürfe an die französischen Behörden übergab und öffentlich machte, wurde gefeuert. Die vom UN-Menschenrechtsrat sonst geforderten Sicherheitsgarantien für Tippgeber über miese Praktiken, galten im eigenen Fall schon einmal nicht.

69 Missbrauchsfälle allein 2015

Neu ist das Problem für die UN nicht. Schon seit 2003 verfolgen die Vereinten Nationen eine „Null-Toleranz-Politik“ in Missbrauchsfällen. Doch 13 Jahre später musste UN-Generalsekretär Ban Ki Moon bekennen, dass diese Politik nicht zu einer Lösung geführt hat. 2015 sind 69 Missbrauchs- und Vergewaltigungsfälle durch Blauhelm-Soldaten oder Polizisten im UN-System gemeldet worden. Insgesamt wurde 99 UN-Mitarbeitern vorgeworfen, die Notlage von Frauen oder Kindern für sexuelle Dienstleistungen oder gar Vergewaltigungen ausgenutzt zu haben.

Die Juristin Rosa Freedmann von der Universität Birmingham analysiert, dass die rechtlichen Vereinbarungen über Friedenseinsätze „die Blauhelme vor dem Recht der Gastländer schützen sollen und nicht die Opfer“. Tatsächlich hat sich Ban Ki Moon selbst lange darauf zurückgezogen, dass die Entsendeländer die Aufgabe hätten, Ermittlungen zu übernehmen und Täter zu bestrafen. Bis vor wenigen Tagen haben die UN noch nicht einmal die Entsendeländer der mutmaßlichen Täter genannt, obwohl schon vor Jahren entschieden worden war, das zu tun, wenn sie die Verbrechen nicht verfolgen.

In Zukunft sollen alle gehen, wenn einer sich daneben benimmt

Vor wenigen Tagen hat Ban Ki Moon die UN-Blauhelme aus dem Kongo aus der ZAR abgezogen, weil es erneut Vergewaltigungsvorwürfe gegeben hat. Am 11. März hat der UN-Sicherheitsrat einer Resolution zugestimmt, die das zur Standardreaktion auf Missbrauchsvorwürfe machen soll. Obwohl sich der ägyptische UN-Botschafter beschwerte, Entsendeländer würden „mit üblen Verleumdungen verfolgt“, enthielt er sich der Stimme. Der Einwand des Botschafters hat das Problem auf den Punkt gebracht: Die UN sind für ihre Friedenseinsätze davon abhängig, dass genügend Staaten Blauhelme für diese riskanten Missionen zur Verfügung stellen. Die meisten wollen das ohne rechtliche Immunitätsgarantien nicht tun. Vielleicht sollte doch Fatou Bensouda die Ermittlungen übernehmen.

Dagmar Dehmer

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