Internationaler Strafgerichtshof: Von unnahbarer Freundlichkeit
„Ich arbeite für die Opfer in Afrika“, sagt die Chefanklägerin am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Fatou Bensouda stammt aus Gambia und hat ihr diplomatisches Geschick zwischen Putschisten und Despoten entwickelt.
Diese Frau ist nicht zu fassen. Sie spricht mit dunkler, warmer Stimme. Selbst wenn sie gar nichts sagt, gelingt es Fatou Bensouda, ihre Gesprächspartner einzuwickeln – denn sie hört zu. Vielleicht ist das sogar ihre Überlebensstrategie.
Seit Juni 2012 ist die 51-jährige Fatou Bensouda Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs IStGH in Den Haag. Acht Jahre lang war sie zuvor Stellvertreterin des argentinischen Chefanklägers Luis Moreno Ocampo gewesen. Gegen dessen Amtsführung hatte es aus Expertensicht so einiges auszusetzen gegeben. Doch Fatou Bensouda hat es irgendwie geschafft, in diese Kritik nicht einbezogen zu werden, selbst wenn sie öffentlich nie illoyal war. Weggefährten aus ihrer Schulzeit haben dafür eine einfache Erklärung: „Sie ist smart.“
Fatou Bensouda ist so smart, dass sie nie aus der Rolle fällt. Als sie vor ein paar Wochen in Berlin bei der Heinrich-Böll-Stiftung über die ersten zehn Jahre des Gerichtshofs spricht, will sie mit keiner ihrer Aussagen zitiert werden. Sollte sie also in einer Antwort zu viel gesagt haben, dann sollte es wenigstens nicht direkt ihr zuzuordnen sein. Im knallblauen Jacket steht sie am Rednerpult, sitzt später aufmerksam und aufrecht der Moderatorin des Abends gegenüber, bleibt freundlich und sachlich, doch stets unnahbar. Fatou Bensouda ist gern auf der sicheren Seite. Auf Diskussionen, deren Sinn sie nicht sieht, selbst wenn man noch so vortrefflich darüber streiten kann, lässt sie sich gar nicht erst ein.
Auf die Kernfrage internationaler Strafgerichtsbarkeit – gibt es Frieden ohne Gerechtigkeit oder bringt die Genugtuung für Opfer brutaler Gewalt politische Instabilität? – antwortete sie vor Jahren bei einer Konferenz in Berlin: „Wenn ein Frieden ohne Gerechtigkeit ausgehandelt wird, kann es keine wirkliche Versöhnung geben.“ Sie hat diesen Satz danach noch unzählige Male gesagt. Und auch den folgenden: „Die Straffreiheit wird beendet werden.“
Fatou Bensouda ist in der gambischen Hauptstadt Banjul aufgewachsen. Ihr Vater lebte polygam mit zwei Frauen und deren Kindern unter einem Dach. Bensouda beschreibt ihre Kindheit mit zwei Müttern als sehr harmonisch. Sie studierte in Nigeria Jura, weil es in Gambia damals noch keine Universität gab. Sie wurde die erste gambische Expertin für Seerecht. Danach arbeitete sie sich in der gambischen Justizverwaltung nach oben. Dort erlebte sie den Militärputsch 1994, den Bensouda als unblutig beschreibt. 1996 ließ sich Gambias Präsident Yahya Jammeh erstmals durch Wahlen im Amt bestätigen. Seither wurde der Rebell drei Mal wieder gewählt, zuletzt im November 2011.
Über diese Wahl sagten die afrikanischen Wahlbeobachter, sie sei weder frei noch fair gewesen. Und es sagt vielleicht viel über dieses besagte Talent aus, dass es Bensouda gelang, mehr als zehn Jahre im gambischen Staatsdienst zu arbeiten und schließlich von 1998 bis 2000 zur Generalstaatsanwältin und Justizministerin aufzusteigen, ohne dass die zweifelhafte demokratische Reputation ihres damaligen Chefs Yahya Jammeh an ihr hängen geblieben wäre. Im Jahr 2000 wurde Bensouda als Justizministerin entlassen. Über die Umstände, die zu dieser Entlassung führten, schweigt sie.
Die Chefanklägerin kennt nicht nur die mühsame Aufbauphase des ersten ständigen internationalen Gerichtshofs in Den Haag. Er soll Völkermord, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verfolgen, wenn staatliche Institutionen nicht existieren oder versagen. Durch ihre politische Karriere in Gambia verfügt die Mutter zweier erwachsener Söhne und einer Adoptivtochter auch über umfangreiche diplomatische Erfahrungen. So hat sie beispielsweise für ihr winziges Heimatland, das vollständig vom Senegal umgeben ist und lediglich 1,7 Millionen Einwohner hat, die Verhandlungen über die Bildung der westafrikanischen Wirtschafts- und Regionalorganisation Ecowas mitgeführt. Sie weiß besser als viele andere, wie Diplomatie in Afrika funktioniert.
Umso gespannter dürfte sie beobachten, was Anfang kommender Woche passiert. Denn am Montag, dem 4. März, wird in Kenia ein neuer Präsident gewählt. Zwei ihrer prominentesten Angeklagten vor dem Internationalen Strafgerichtshof, Uhuru Kenyatta und William Ruto, wollen sich zum Präsidenten und Vizepräsidenten wählen lassen. Noch beteuern sie, sie wollten sich der Chefanklägerin des Den Haager Gerichtshofes stellen. Doch für die beiden Angeklagten, derzeit mitten im kenianischen Wahlkampf, hat die politische Immunität eines Staatsoberhauptes natürlich einen ganz besonderen Reiz.
Halten sie ihr Versprechen, dann sind Kenyatta und Ruto vom 11. beziehungsweise 10. April 2013 an und bis zum Jahresende mit Ausnahme von fünf Wochen Gerichtsferien in Den Haag unabkömmlich. In einer Fernsehdebatte zur Präsidentenwahl sagte Kenyatta, er gedenke, von Den Haag aus per Internet und Skype zu regieren.
Die beiden sind angeklagt, weil Ruto vor vier Jahren nach dem Wahlbetrug bei der Präsidentenwahl Ende 2007 maßgeblich an den ethnischen Unruhen beteiligt gewesen sein soll. Die Exzesse gegen die Kikuyu im Rift-Valley soll er geplant und verantwortet haben. Deshalb muss er sich gemeinsam mit dem Journalisten Joshua Arap Sang, der über den Radiosender Kass FM Hassbotschaften verbreitete, für Beihilfe zu Mord, Vertreibung und politischer Verfolgung verantworten.
Uhuru Kenyatta stand damals auf der anderen Seite. Er soll die Rachefeldzüge einer Kikuyu-Sekte, der Mungiki, mitveranlasst und womöglich finanziert haben. 1300 Menschen starben bei den Unruhen, 300 000 wurden vertrieben. Frauen wurden vergewaltigt, Männer zwangsbeschnitten. Es wurde geplündert, Häuser wurden in Brand gesteckt. In einem Haus starb eine 19-köpfige Familie in den Flammen, in einer Kirche dutzende Besucher.
Bensoudas Vorgänger, Luis Moreno Ocampo, hatte neben Kenyatta und Ruto zwei weitere hochrangige Kenianer vor Gericht bringen wollen. Doch die zuständige Kammer hielt die Beweislage gegen Henry Kiprono Kosgey, Parteifunktionär damals auf Seiten Rutos, und den ehemaligen Polizeichef Mohammed Hussein Ali, für zu dürftig für eine Anklage. Im Fall der Kenianer ist es das erste Mal, dass der Gerichtshof selbst die Initiative zu Ermittlungen ergriffen hat. In den anderen Fällen haben Regierungen sich an den IStGH gewandt oder der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat die Fälle nach Den Haag überwiesen.
Für Ruto und Kenyatta wäre es vermutlich einfacher gewesen, sich mit Moreno Ocampo auseinanderzusetzen. Schließlich kennen sich die beiden Politiker mit großen Egos aus. Außerdem hätten sie argumentieren können, dass der Gerichtshof der koloniale Arm einer weißen Justiz sei, weil dort bislang ausschließlich afrikanische Fälle verhandelt werden, anders als vor Sondergerichten. Doch mit Bensouda wird dieses Argument hinfällig.
Trotz des Dauervorwurfs, der Den Haager Gerichtshof habe eine Schlagseite in Richtung Afrika, hat die Afrikanische Union Bensoudas Kandidatur als Chefanklägerin von Anfang an unterstützt. Die afrikanische Gruppe ist die größte der 122 Staaten, die das Römische Statut zur Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs ratifiziert haben. Bensouda selbst pflegt den Vorwurf mit dem Hinweis zu kontern, dass es ja überwiegend afrikanische Regierungen gewesen seien, die den IStGH mit den Ermittlungen beauftragt hätten.
Dabei verschweigt sie, dass es diesen afrikanischen Regierungen politisch eben auch gut gepasst hat, einige ihrer Rivalen nach Den Haag abzuschieben. Zumal der IStGH diejenigen, die ihn um Hilfe gebeten haben, bisher auch mit Nachforschungen zu deren möglicher eigener Schuld verschont hat.
Wird Fatou Bensouda gefragt, was sie in ihrer Amtszeit in Den Haag erreichen will, dann sagt sie: „Ich arbeite für die Opfer in Afrika, vor allem für die Frauen und Kinder. Sie sind es, aus denen ich meine Inspiration und meinen Stolz ziehe.“ Brigid Inder, die seit wenigen Monaten Bensoudas Beraterin für den Bereich geschlechtsspezifische Verbrechen ist, sagt über ihre Chefin: „Sie ist eine sehr prinzipienfeste Person.“ Sie sagt aber auch, Bensouda werde „ihren Weg zwischen politischem Druck auf den Gerichtshof und dem Recht finden müssen“. Dass nichts, was der Strafgerichtshof tut oder lässt, unpolitisch ist, damit wird sich Bensouda wohl abfinden müssen. Ändern können wird sie daran wohl selbst in ihrer neun Jahre dauernden Amtszeit nichts. Als sie im vergangenen Herbst bei ihrer ersten offiziellen Visite in Kenia ein Lager von im eigenen Land Vertriebenen in der Nähe von Nakuru besucht hat, beteuerte sie, dass der Prozessauftakt gegen Uhuru Kenyatta und William Ruto mit Politik nichts zu tun habe: „Das ist ein juristisches Verfahren.“ Geglaubt hat ihr das kaum jemand.
Dagmar Dehmer
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