Vereinte Nationen: Auf verlorenem Posten
Seit fast neun Jahren steht Ban Ki Moon an der Spitze der Vereinten Nationen. Wie sieht die Bilanz des Südkoreaners aus?
Es ist der größte Triumph in Ban Ki Moons Amtszeit. Am Wochenende haben die 193 UN-Mitgliedsstaaten, die globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs) beschlossen. Dass er damit irgendetwas zu tun hatte, ist der Welt allerdings wieder einmal entgangen. Denn der seit 2007 amtierende UN-Generalsekretär hat es auch bei dieser Gelegenheit geschafft, seine inhaltlich gute Rede zu vermasseln. Sein zurückhaltendes Temperament und seine bedächtige Präsentation machen das Zuhören schwer. Ban will keine Fehler machen. Deshalb fällt er meistens gar nicht auf. An diesem Montag beginnt seine zweitletzte UN-Generalversammlung. 2016 endet seine Amtszeit. Im kommenden Jahr werden alle Augen auf seine Nachfolgerin oder seinen Nachfolger gerichtet sein. Zeit, für eine Bilanz.
Kann sich Ban Ki Moon im Vergleich mit seinem Vorgänger Kofi Annan behaupten?
Ein Wochenende im vergangenen Juni: Zwei Männer besuchen Deutschland. Während der eine Säle füllt, arbeitet der andere hinter den Kulissen. Der eine inspiriert die Massen, der andere besticht durch Fachkenntnis. Zwei Männer, zwei Auftritte, eine Organisation: Kofi Annan und Ban Ki Moon, früherer und heutiger UN-Generalsekretär. Annan besuchte den evangelischen Kirchentag in Stuttgart, Ban war in Bonn und weihte das World Conference Center ein. Doch während Annan die Menschen regelrecht zuliefen, die große Martin-Schleyer-Halle konnte bei weitem nicht alle interessierten Besucher fassen, ein Novum in der Geschichte des Kirchentages,blieb Bans Besuch nahezu unbemerkt.
Zwei Männer, zwei Charaktere, zwei Amtsstile. Kofi Annan, der Charismatiker, der die Ziele von Völkerverständigung perfekt verinnerlicht zu haben scheint, auf drei Kontinenten gelebt hat und passenderweise auch noch mit einer Schwedin verheiratet ist. Der den Vereinten Nationen nach dem unrühmlichen Abgang von Boutros Boutros-Ghali wieder Gesicht und Stimme gegeben hat. Schon früh in seiner Amtszeit sprachen deshalb manche vom guten Menschen Annan, andere bezeichneten ihn als „weltlichen Papst“, eine Rolle, die seinen eigenen Anspruch und die Erwartungen des Publikums gleichermaßen erfüllte. Nicht frei von Eitelkeit, gab und gibt er Menschen der ganzen Welt, was sie mit den Vereinten Nationen verbinden: Die Hoffnung auf eine bessere Welt.
Ganz anders sein Nachfolger Ban Ki Moon. Dass ihn bei seiner Wahl 2006 niemand kannte, obwohl er davor fast drei Jahre lang Südkoreas Außenminister gewesen war, ist nicht weiter verwunderlich. Welche Außenminister machen sich schon international einen Namen? Dieses Schicksal teilt Ban im Übrigen mit nahezu allen seinen Vorgängern bei den UN. Aber dass man ihn auch nach fast neun Jahren als UN-Generalsekretär immer noch kaum oder nur als blass wahrnimmt, ist außergewöhnlich. Ohne demoskopische Akkuratesse lässt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit festhalten: Der großen Mehrheit der Weltbevölkerung dürfte sein Name absolut nichts sagen. Wer bei Google Ban eingibt, landet als erstes bei Ray-Ban, einer Brillenmarke.
Wie präsentiert sich Ban Ki Moon?
Ban erscheint stets ein bisschen steif, spricht hölzern, redet selten frei und selbst nach Jahren bei den UN etwas holprig Englisch. Allein dadurch wirkt er eher korrekt-bürokratisch als mitreißend-politisch. Dazu kommt: Ban ist ein harter Arbeiter, ein „Pflichtmensch“, wie die Deutsche Angela Kane ihn beschreibt, die jahrelang als Untergeneralsekretärin in seinem direkten Umfeld gearbeitet hat. Termine bereitet er penibel vor, Sprechzettel sind sichtbar gemarkert. Showgehabe und glamouröses Chichi lehnt er ab. Stattdessen setzt er auf „innere Stärke“, wie er gerne sagt, schätzt Tüchtigkeit, Ausdauer, Disziplin und unterwirft sich dabei selbst höchsten Maßstäben. „Er ist extrem kontrolliert und extrem fleißig“, bestätigt der frühere deutsche Botschafter in New York, Miguel Berger. Das verstärkt den Eindruck des Buchhalters. Das geht so weit, dass er aus lauter Loyalität für die UN auch noch die bittersten Niederlagen schön redet: Unvergessen sein Auftritt nach dem katastrophalen UN-Klimagipfel in Kopenhagen 2009, als er morgens um elf Uhr nach der zweiten durchwachten Nacht vor der Presse behauptete: „Wir haben geliefert.“ Stille. Ungläubiges Staunen. Kopfschütteln.
Bans Arbeitstag in New York beginnt zwischen fünf und sechs Uhr morgens und zieht sich hin bis in die Nacht. Dazwischen liegt eine endlose Reihe an schnell hintereinander folgenden Telefonaten, Besprechungen und Empfängen, die am Abend in das Studieren von Akten, Reden und Memos münden und erst gegen Mitternacht enden. So geht es Tag um Tag, auch am Wochenende, dann mit etwas weniger Terminen, dafür mehr Akten, Woche um Woche. Dazu permanente Reisetätigkeit um die ganze Welt. Urlaub macht Ban nach Aussagen Kanes sehr selten. Er rackert endlos weiter. „Arbeit, Arbeit, Familie, Arbeit“, überschrieb die „New York Times“ ein Interview mit ihm über seinen Alltag.
Dabei sind sein Arbeitsethos und seine Integrität der aktuellen Lage durchaus angemessen, wo doch ein Konflikt auf den nächsten folgt und überall alles aus den Fugen zu geraten scheint. Sympathisch bescheiden ist sein Habitus obendrein. Nicht alle mochten Annans „royales Gebaren“, wie es ein Kritiker aus den UN mal formulierte. Aber der Ghanaer hatte im Unterschied zu Ban das gewisse Etwas, das man als mehr oder weniger machtloser UN-Generalsekretär eben auch braucht. Und als idealistischer Weltenretter war er ziemlich glaubwürdig, schon weil Annan meist einen guten Instinkt dafür hatte, wann er kämpfen und wann er seinen „193 Herren“ einfach dienen musste. Den Irakkrieg der Vereinigten Staaten seinerzeit als „illegal“ zu bezeichnen, hat Annan zwar Ärger in Washington eingetragen, ihm rund um den Globus aber großen Respekt verschafft.
Für welche Themen setzt sich Ban ein?
Selbst wenn Ban Bahnbrechendes zu sagen hat, verhallt es. Denn wer das Rampenlicht scheut, wird auch nicht gesehen, wenn er etwas zu sagen hat. Das zeigte sich vor einem Jahr, als er mit 300 000 Menschen beim Klimamarsch durch New York lief und im Anschluss daran eine für seine Verhältnisse leidenschaftliche Rede für eine neues Klimaabkommen hielt, an die sich dennoch niemand erinnert. Ein klares Profil lässt sich so kaum bilden. „Es gibt nichts, wofür er sichtbar steht“, meint Jens Martens vom Thinktank Global Policy Forum. Angela Kane, die Ban als direkten Vorgesetzten sehr schätzt, sagt, dass er zwar die Prioritäten der UN im Auge habe, sich aber einfach zu zu vielen Themen äußere. Auch damit kann man sich verzetteln.
„Die Sustainable Development Goals“, die gerade in New York verabschiedet wurden und die internationale Entwicklungsagenda prägen werden, „tragen eindeutig seine Handschrift“, sagt Miguel Berger. „Er hat den Prozess hervorragend strukturiert, gut gemanaged und zu einem Erfolg geführt.“ Tatsächlich gelten die SDGs neben dem nächsten Klimavertrag, der im Dezember in Paris verabschiedet werden soll, als zwei Themen, bei denen er sich sichtbar ins Zeug gelegt hat, auch wenn bei beidem die eigentlichen Ideengeber andere im Sekretariat waren.
Was bleibt von diesem irren Pensum, wenn Ban Ende 2016 den East River verlässt?
„Die Reform der Weltorganisation hat er jedenfalls nicht großartig vorangetrieben“, sagt Hanns Schumacher, jahrelang UN-Botschafter in Genf und New York. Im Haus selbst ist Ban auch nicht sonderlich beliebt. Angetreten war er mit dem Versprechen, die Organisation „transparenter“ und „verantwortlicher“ zu gestalten. Das scheint ihm nur bedingt gelungen zu sein. Die Schwedin Inga-Britt Ahlenius, fünf Jahre lang Chef-Controllerin der Vereinten Nationen, verließ den Posten 2010 mit einem bitterbösen Schreiben an den Generalsekretär und dem Fazit: „Trotz Ihrer guten Vorsätze in diese Richtung muss ich die Frage (ob die Organisation heute transparenter arbeitet, red.) leider mit Nein beantworten.“
Wie geht Ban mit dem sexuellen Missbrauch bei den Blauhelmen um?
Ein schwedischer UN-Diplomat ist gerade gefeuert worden, weil er zur Aufklärung beitragen wollte. Er hatte einen Untersuchungsbericht über vermutete Fälle von sexuellem Missbrauch französischer Soldaten, die vor der Entsendung der UN-Friedenstruppe Minusca die Zivilbevölkerung in der Zentralafrikanischen Republik hätten schützen sollen, aus Frust über die Untätigkeit der UN an Frankreich weiter gegeben. Er habe „sensible, geheime UN-Unterlagen“ weitergegeben. Dabei hat Kofi Annan schon 2005 nach einem niederschmetternden Bericht über systematischen Kindesmissbrauch und sexuelle Gewalt in einem halben Dutzend UN-Blauhelmeinsätzen eine „Null-Toleranz-Politik“ vorgegeben und Regeln darüber erlassen, wie mit Verdachtsfällen umzugehen ist. 2012 setzte sein Nachfolger Ban ein Regelwerk für eine „integrierte Umsetzung und Disziplin“ in Kraft. Offenbar ohne großen Erfolg.
Zudem bestellte Ban bei einem hochrangigen Expertengremium einen Bericht über die Zukunft der UN-Friedenseinsätze. Seit Juni liegt er vor und enthält den von Ban bisher nicht aufgegriffenen Vorschlag, die Staaten, denen der Einsatz von Kindersoldaten oder sexualisierter Gewalt in Konflikten vorgeworfen wird, vom Einsatz in UN-Friedenskontingenten auszuschließen, bis sie nicht mehr auf dieser Liste stehen. Nachdem in der Zentralafrikanischen Republik 15 weitere Fälle von Vergewaltigung und Kindesmissbrauch bekannt geworden waren, feuerte Ban Mitte August den Chef der Minusca-Mission, den Senegalesen Babacar Gaye mit den Worten: „Genug ist genug.“ Allerdings hat er noch immer nicht öffentlich gemacht, aus welchen Ländern die mutmaßlichen Verdächtigen kommen. Er hat lediglich die Entsendestaaten aufgefordert, die Verbrechen strafrechtlich zu verfolgen. Bei dieser Aufforderung ist es bisher jedoch immer geblieben. Keiner der mutmaßlichen Täter wurde belangt.
Wie kommt Ban in der UN-Zentrale an?
Ban scheint Banden Kontakt zu seiner Basis verloren – oder nie wirklich hergestellt – zu haben. So wie er nach außen unzureichend kommuniziert, hält er es auch im Inneren: „Er mauert sich mit ein paar Beratern im Sekretariat ein“, sagt Hanns Schumacher, „er ist für die meisten von uns nicht zu fassen und nicht wirklich präsent“, meint ein UN-Mitarbeiter, der anonym bleiben möchte.
Wo stehen die UN nach Ban?
Insgesamt haben die Vereinten Nationen unter Bans Führung an politischem Einfluss verloren. Darüber sind sich die meisten Beobachter einig. Die „Schutzverantwortung“, die grobe Menschenrechtsverletzungen unterbinden soll, kam bisher nur ein einziges Mal - sehr zum Missfallen Russlands – zur Anwendung: im Fall Libyens. Und bei zwei der gefährlichsten aktuellen Konflikte – Ukraine und Syrien – spielen die UN entweder keine große oder eine unrühmliche Rolle. In der Ukraine ist die internationale Gemeinschaft durch die OSZE vertreten und der Sicherheitsrat im Syrienkonflikt blockiert. Das Patt dort zwischen USA, Großbritannien, Frankreich auf der einen, Russland und China auf der anderen Seite kann ein UN-Chef nicht auflösen. Zumal er bei Syrien sogar mehrmals deutliche Worte, gegen das Assad-Regime, gefunden hat. Aber meistens interpretiert Ban seine Aufgabe als Generalsekretär eher eng, konzentriert sich auf die Funktion des obersten Verwalters der Organisation und weniger auf die des aktiven „Friedenshüters“, wie sie Artikel 99 der Charta vorsieht. Dort heißt es, der Generalsekretär soll den Sicherheitsrat alarmieren, wenn er die internationale Sicherheit bedroht sieht. „Diese Rolle füllt er nicht genügend aus“, sagt Hanns Schumacher, „wie er überhaupt insgesamt einfach zu wenig sichtbar ist.“
Genau deshalb fiel wohl ursprünglich auch die Wahl auf ihn: Die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats, wollten keinen zweiten Annan und keinen weiteren Boutros-Ghali, der eine beliebt, der andere streitbar. Nur so ist auch zu erklären, warum er 2011 ohne jeden Widerstand und früher als jeder UN-Chef vor ihm wiedergewählt wurde. „Seine Führungsqualitäten waren es jedenfalls nicht“, sagt Jens Martens. „Es wirkt hin und wieder so, als lasse sich Ban eher treiben, als dass er die Dinge vorantreibt“, meint Ekkehard Griep, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen. „Er ist nicht verkehrt“, urteilt ein Diplomat in New York, „aber menschliche Integrität und Fleiß reichen einfach nicht, um den Posten auszufüllen“. Zumal in einer Welt, die der multilateralen Idee sehr viel skeptischer begegnet als noch vor ein, zwei Jahrzehnten.
Wohl auch deshalb hat die Generalversammlung vor kurzem eine Resolution verabschiedet, die ihr künftig deutlich mehr Mitspracherechte bei der Auswahl der Generalsekretäre garantiert. Zum ersten Mal überhaupt darf sie Kandidaten interviewen. Bisher konnte sie nur absegnen, was vorher im Sicherheitsrat in kleiner Runde beschlossen worden war. Auch außerhalb der UN formiert sich Widerstand: unter anderem in einer internationalen Initiative mit dem klingenden Namen „1 for 7 billion“ (einer oder eine für sieben Milliarden). Auch sie fordert, den UN-Chef nicht länger in Hinterzimmern auszukungeln. Wir brauchen eine „hochqualifizierte und visionäre Führungspersönlichkeit, die mit den Krisen dieser Welt umgehen kann“, heißt es dort kämpferisch – ein Satz, der sich wohl nicht nur auf Bans Nachfolger bezieht.
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität