Weltfrauentag 2019: Um die Einhörner kümmern wir uns später
Wenn Frauen sich jetzt nicht einbringen, verstreicht der Moment. Dann müssen sie mit einer Welt leben, die zumeist Männer gestaltet haben. Ein Kommentar.
Wenn Annegret Kramp-Karrenbauer darüber spricht, wie Frauen besser die Chancen der digitalen Revolution ergreifen können, erzählt sie gerne die Geschichte über den Unterricht einer Lehrerin zum Thema Pumpen. Wenn sie, die Lehrerin, über Ölförderung spreche, gewinne sie die Aufmerksamkeit der Jungen in der Klasse. Wenn sie Pumpen aber über das menschliche Herz erkläre, die Aufmerksamkeit der Mädchen. Durch diese besonders empathisch und emotionale Ansprache könnten mehr Mädchen und Frauen dazu gebracht werden, MINT-Fächer zu studieren sowie technische Berufe zu ergreifen - und so das digitale Zeitalter nach ihren Bedürfnissen und Ansprüchen mitzugestalten. Auch die Schlussfolgerung der CDU-Chefin lautet: Wenn man Mädchen und Frauen sagt "Verbessert die Welt!", kann man sie sogar zum Programmieren bringen.
Muss die Welt weiblicher werden?
In dieser Anekdote steckt eine Grundfrage, mit der die Gleichstellungspolitik seit jeher hadert: Muss die Welt „weiblicher“ werden, damit Frauen in ihr bestehen können? Oder müssen Frauen zu mehr „Männlichkeit“ erzogen werden, damit sie sich in der Welt, wie sie nun einmal ist, durchsetzen können? Und ist diese Frage nicht in sich schon sexistisch, weil sie unterstellt, Mädchen seien eher gefühlsgesteuert – während Jungen eher kopfgesteuert seien? Weil sie unterstellt, es gebe überhaupt eine männliche und eine weibliche Variante der Welt und einen tatsächlichen, substanziellen Unterschied zwischen Mann und Frau?
Am ersten Frauentag, der in Berlin ein Feiertag ist, ist das Thema der Gleichstellung mit einiger Wucht zurück auf dem politischen Parkett. Das Frauentagsgefühl – jawohl, Gefühl! - des Jahres 2019 ist das einer seltsamen Ambiguität, eines von Stagnation und Triumph gleichzeitig. Die Debatte darum, ob dieser Tag wirklich nötig und der richtige ist, reichte von „brauchen wir, wir haben noch einen langen Weg vor uns“ über „ja, schließlich gibt’s was zu feiern“ bis zum „überzogen und unnötig“ der „Genderwahn-Nörgler“.
Wären wir mit einer anderen Politik weiter?
Es ist ein Dazwischen-Gefühl, das auch viel mit Annegret Kramp-Karrenbauer zu tun hat: Auf die erste Kanzlerin der Bundesrepublik könnte die zweite Kanzlerin der Bundesrepublik folgen. Begleitet aber wird dieser Machtwechsel von einem Aufbegehren der Retro-Männer. Mit viel Pomp beging das Land soeben 100 Jahre Frauenwahlrecht, gleichzeitig ist die Zahl der Frauen im Bundestag wieder gesunken; es wird über Paritätsgesetze diskutiert. Auf eine Ostfrau könnte eine Westfrau an der Spitze der Republik folgen – und 30 Jahre nach dem Mauerfall blickt der Westen auch selbstkritisch auf die eigene Emanzipationsgeschichte im Vergleich zum Osten Deutschlands, wo bis heute die Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen geringer sind, ebenso wie der Anteil der Frauen, die in Teilzeit arbeiten.
Die Bundesrepublik muss sich fragen: Könnten wir nicht weiter sein, wenn wir eine andere Politik gemacht hätten? Und warum machen wir sie dann nicht jetzt? Sicher, es gibt neue, auch junge, Rollenvorbilder wie die Klima-Aktivistin Greta Thunberg. Trotzdem ist für Mädchen, also für die potenziellen Kanzlerinnen der Zukunft, die Welt in den vergangenen Jahren wieder ein bisschen pinker geworden. An der Supermarkt-Kasse suggeriert das pinke Überraschungsei: Du bist anders. Und Instagram fordert: Kleb dir Glitzer auf die Nägel und sammle Herzen statt Stimmen, das ist deine Bestimmung.
Ändern sich die Menschen - oder die Struktur?
In diesem Zustand zwischen Triumph und Restaurationsbewegungen, ist die Frage besonders heikel, ob Gleichstellungspolitik weiterhin auf dem Paradigma des Feminismus beharren sollte, wie es Simone de Beauvoir, Judith Butler und andere formuliert haben: Es gibt keinen substanziellen, biologischen Unterschied zwischen Männern und Frauen, ja überhaupt keine binäre Geschlechterverteilung. Alle Unterschiede, die wir beobachten können, sind sozial erzeugt.
Politisch lautet die Frage: Wählt man den pragmatischen Ansatz jenseits dieses paradigmatischen Anspruchs, einen Ansatz wie den, den Annegret Kramp-Karrenbauer befürwortet, sozusagen, whatever works: Wenn Mädchen halt lieber glitzernde Einhörner programmieren wollen, sollen sie doch glitzernde Einhörner programmieren. Oder besteht man darauf, dass alle Mädchen und Jungen gleich lernen? Für die Arbeits- und Politikerwelt ließe sich das gleiche fragen: Müssen wir dafür sorgen, dass die Menschen, also Frauen und Mädchen, sich an die Strukturen anpassen? Oder ändern wir die Struktur?
Die Gefahr des pragmatischen Ansatzes ist es, am Symptom zu operieren. Noch immer werden Mädchen und Jungen von einer teils wohlmeinenden, teils unreflektierten, teils aber auch unterdrückenden Koalition aus Verwandten, Erziehenden, der Konsumindustrie und Ideologen in sehr unterschiedliche Rollen gedränt. Noch immer werden Mädchen in „mädchenhaftem“ Verhalten bestärkt. Wer sich diese Rollenverteilung pädagogisch zu Nutze macht, mag kurzfristig Erfolg haben – bekräftigt aber auch die regressiven Kräfte in ihrer Behauptung eines Substanzunterschiedes zwischen den Geschlechtern und perpetuiert die Produktion der verschiedenen Rollen. Wer zukünftigen Politikerinnen im Kindesalter sagt: Verbessert die Welt, vermittelt auch: ihr seid halt anders; gefühliger, empathischer, pinker. P.S.: Geld ist euch nicht so wichtig, Macht auch nicht, also fragt nicht nach dem Gehalt.
Sehnsucht nach echtem Durchbruch
Dennoch spricht viel dafür, den pragmatischen Weg zu gehen. In der Ambiguität des Frauentages 2019 steckt auch die Sehnsucht nach einem neuen, echten Durchbruch und der Überdruss an der Tatsache, dass die Erfolgskurve immer flacher wird – oder sogar einmal wieder in die andere Richtung weist.
Und schließlich hat Annegret Kramp-Karrenbauer ja recht: 2019 ist nicht irgendein Moment. In der Digitalisierung werden Weichen gestellt ebenso wie in der Klima- und Außenpolitik. Wenn Frauen sich jetzt nicht einbringen, verstreicht der Moment und sie müssen mit einer Welt leben, die andere – zumeist Männer – gestaltet haben.
Für den Moment sollte das Rezept also tatsächlich heißen: Whatever works. Gleichstellungspolitik jenseits der Paradigmen. Um die Abschaffung der Einhörner kümmern wir uns, wenn wir die Hälfte der Macht haben.
Zwölf Newsletter, zwölf Bezirke: Unsere Leute-Newsletter aus allen Berliner Bezirken können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de