zum Hauptinhalt
CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer geht in Demmin zum Gegenangriff über.
© Fabrizio Bensch/REUTERS

Kramp-Karrenbauer: Entschuldigung? Kommt nicht in Frage!

Ein Toilettenwitz brachte der CDU-Chefin einen Shitstorm. Sie findet ihre Kritiker verkrampft und nutzt den politischen Aschermittwoch zum Gegenangriff.

Karneval ist, politstrategisch betrachtet, eine gefährliche Zeit. In Berlin ist nicht viel los, da füllt ein Büttenwitz leicht die Titelseiten. Über der Tennishalle von Demmin liegt infolgedessen eine ganz unübliche Spannung. Jahrelang hat die Kanzlerin ihrem Heimatverband den Fasching eher ruhig ausklingen lassen. Diesmal hat sie die Neue losgeschickt.

„Aschermittwoch ohne Merkel?“ plakatiert die Linkspartei draußen spöttisch: „Macht nichts, wir sind immer da.“ Drinnen verspricht die CDU Mecklenburg-Vorpommern „Zeit für deutliche Worte“. Und damit Annegret Kramp-Karrenbauer gleich weiß, was von ihr erwartet wird, reimt der Europaabgeordnete Werner Kuhn zur Begrüßung: „Im Saal ist man schon ganz perplex – in Pommern kenn' wir keinen Unisex!“

Kramp-Karrenbauer winkt von der Bühne den vielleicht 800 Gästen zu. Dieser Witz über die Toiletten fürs dritte Geschlecht hat ihr eine wilde Debatte eingetragen. Sie gipfelte in Vorwürfen, die oberste Christdemokratin biedere sich auf Kosten intersexueller Minderheiten bei den Reaktionären an, ja sie sei in tiefster Seele selber eine. Wenn jemand mit gewisser Wahrscheinlichkeit die nächste Bundeskanzlerin wird, hört der Spaß schon mal ganz schnell auf.

„Gewaltsame Kastration der CDU“

Dabei war der inkriminierte Auftritt vor dem Hohen Grobgünstigen Narrengericht zu Stockach für Kramp-Karrenbauer eigentlich ein voller Erfolg. Der närrische Strafprozess ist das süddeutsche Gegenstück zum Aachener Orden wider den tierischen Ernst, nur Jahrhunderte älter und sehr viel derber. Die Liste der Beklagten ist trotzdem prominent: Kiesinger, Strauß, Genscher, Merkel, Nahles; auch Joschka Fischer wurde ans Hanfseil gefesselt zur Bühne gezerrt.

Kramp-Karrenbauer haben sie vorige Woche wegen „gewaltsamer Kastration der CDU“ nach Stockach zitiert. Die Angeklagte hat der reinen Männerriege vor ihr sofort in gleicher Münze zurückgezahlt: Ach je, die bedrohte Vormacht, die Männerbündler! Wie in ihrer Partei. „Man weiß nicht, was schlimmer ist – dass sie’s versuchen oder dass sie jedes Mal an einer Frau scheitern.“

Die Art und Weise, wie unsere hoffentlich nicht zukünftige Kanzlerin mit Kritik umgeht, kann man stark finden. Mir gefällt ihre Wortwahl nicht, die jegliche Eleganz, Geschmeidigkeit und Diplomatie vermissen lässt. Vor allem aber eines: Einsicht und ein Friedensangebot.

schreibt NutzerIn Waedliman

Der Saal – speziell die weibliche Hälfte – lachte und staunte. Um die Ecke hat Wolfgang Schäuble seinen Wahlkreis. Auch sonst wünschten sich im Südwesten viele Friedrich Merz zurück. Und jetzt spottet diese Frau über den Unterlegenen und über den örtlichen CDU-Mann in einem Aufwasch gleich mit. Den hat bei der Landtagswahl ebenfalls eine Frau besiegt, eine Grüne: „Ja da kann er ja fast eine Selbsthilfegruppe mit Friedrich Merz aufmachen!“ Tusch.

Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer vor dem Stockacher Narrengericht.
Die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer vor dem Stockacher Narrengericht.
© Patrick Seeger/dpa

Sollten in der Jahnhalle ein paar Reaktionäre sitzen, wäre jetzt ein guter Moment, um beleidigt aufzustehen. Aber der örtliche CDU-Mann lacht und, soweit man das im Fernsehen hinter seiner Maske erkennt, offenbar von Herzen. Die Frauen biegen sich vor Vergnügen. Die traut sich ja was! Die Sache mit dieser Anbiederung ist also offenbar ein wenig komplizierter.

Drei Monate ist Kramp-Karrenbauer jetzt Vorsitzende der größten Partei im Land. Der Sieg beim Hamburger Parteitag war knapp. Niemand hätte es ihr verdenken können, wenn sie danach erst einmal vorsichtig vom verglasten Obergeschoss des Konrad-Adenauer-Hauses aus die Kräfteverhältnisse gepeilt hätte. Die CDU kennt das ja auch nicht mehr anders. Schon bei Helmut Kohl galt „Aussitzen“ als Markenzeichen. Angela Merkels Blitzwenden irritierten die Partei doppelt, weil sie dem Gewohnten widersprachen.

Frau ohne Gegner

Kramp-Karrenbauer zog in Berlin aber gar nicht erst ins Vorsitzendenzimmer, sondern blieb gleich eine Etage tiefer im Raum der Generalsekretärin. Nicht nur angesichts dieser resoluten Bescheidenheit lauten die Kommentare über die Neue inzwischen einhellig: Die traut sich was! Die Anerkennung geht quer durch alle Lager der CDU und reicht bis tief in die Schwesterpartei CSU. Selbst Schäuble hat sich damit abgefunden, dass seine Empfehlung für den Freund Merz nicht zog: „Annegret Kramp-Karrenbauer macht das sehr gut“, lobte der Parteiälteste, nahezu enthusiastisch für seine Verhältnisse.

Nun hat sich die CDU als geborene Machtpartei immer auf frisch gewählte Vorsitzende ausgerichtet wie die Eisenspäne nach dem stärksten Magneten. Der zweite Grund für Kramp-Karrenbauers glatten Start wird dagegen leicht übersehen: Die kleine Frau von der Saar hat so recht gar keine Gegner. Als sie ihren Ministerpräsidenten-Posten für das Amt der Generalsekretärin aufgab, feierte sie der Parteitag. Im Rennen um den CDU-Vorsitz lautete der härteste Vorwurf: „Mini-Merkel“. Die harte Spaltung der Partei entzündete sich an der Vorgängerin und konzentrierte sich auf ihren Rivalen. Man war glühend für Friedrich Merz oder, wie AKKs wildentschlossende Helferinnen, die Parteifrauen, genau so klar gegen ihn.

Charmeattacke der Saarländerin

Der Sauerländer hat es ihr danach leicht gemacht. Kein Parteiamt, selbst Anfragen zu Wahlkampfauftritten lehnte er ab. Seine glühenden Freunde sagten es nicht laut, doch viele waren enttäuscht: War das der Retter, auf den sie so hofften? Demnächst soll er Vizepräsident des Wirtschaftsrats werden. Der ist nämlich als Organisation offiziell nur „parteinah“. Na immerhin.

Für die Saarländerin war jedenfalls der Weg offen, zur Charmeattacke überzugehen. Die CSU wurde erstes Etappenziel, Kramp-Karrenbauers Gastspiel im verschneiten Kloster Seeon der erste volle Erfolg. Noch heute schwärmen Christsoziale von einer uneitlen Frau, die mit stellvertretenden Hierarchen genau so ungezwungen plauderte wie mit einfachen Abgeordneten.

Das Muster sollte sich an vielen Orten wiederholen. Kramp-Karrenbauer löste jede Besuchseinladung ein, die sie noch als Generalsekretärin zugesagt hatte. Die in Stockach war eine, Klausuren und Neujahrsempfänge kamen dazu. Sie war in der Nordheide und in Baden-Württemberg, bei der Mittelstandsvereinigung und beim Kreisverband Fulda. Viele davon waren bisher Merz-Hochburgen. Danach sprachen sie auch dort gut von der Vorsitzenden.

Sogar Götz von Berlichingen wurde CDU-Mitglied. Der Nachfahr des groben Ritters drückte der Chefin den Mitgliedsantrag Ende Januar persönlich in die Hand, als sie zur CDU-Landesklausur nach Baden-Württemberg ins Kloster Schöntal kam. Der Baron gleicht damit solche wie Martin Herrenknecht aus. Der schwäbische Unternehmer ist eine Instanz im Ländle. Seine Tunnelbohrmaschinen fräsen sich durch den Brenner hindurch und unterm Bosporus lang. Herrenknecht hat seine CDU-Mitgliedschaft ruhen lassen, wegen, zürnte er, notorischen Linksrucks.

Erzkatholische Reaktionärin oder bürgerliche Feministin?

Wahrscheinlich hat Kramp-Karrenbauer ihn zwischenzeitlich mal angerufen. Wer aus der CDU austritt oder vernehmlich damit droht, muss neuerdings mit der Chefin persönlich rechnen. Ältere erinnert das an Kohls innerparteiliche Telefondiplomatie. Aber der Ursprung liegt an der Saar. Kramp-Karrenbauers Heimatland hat knapp eine Million Einwohner, die CDU rund 18.000 Mitglieder. Ihr Mentor Peter Müller pflegte sich heimlich zum Ziel zu setzen, jedem Bürger einmal pro Wahlperiode bei einem der vielen Wein- und Volksfeste die Hand zu drücken und mit den meisten dabei einmal anzustoßen - staunenswerterweise hat er das Programm überlebt.

Kramp-Karrenbauer ist in Sachen Händedrücken seine beste Schülerin. Wer Parteifreunde nach einer kurzen Charakterisierung der Vorsitzenden fragt, hört oft: „nahbar“. „Sie wird erst wirklich gut im Bürgerkontakt“, sagt ein Wegbegleiter. Mit allen reden, zuhören, einfach mal nur dabeistehen. Trotzdem nicht anbiedern. Nicht an das Gegenüber und schon gar nicht an dessen mutmaßliche Weltsicht. Die Frau, sagt einer, der sie schon lange kennt, habe sehr klare Standpunkte. Und sie habe keine Angst. Auch nicht vor den eigenen Standpunkten.

Die Furchtlosigkeit braucht sie, denn die Standpunkte passen oft nicht in die üblichen Kästchen. Sie findet die „Ehe für alle“ immer noch falsch. Aber wo der Trauschein für gleichgeschlechtliche Paare nun mal beschlossene Sache ist, tritt sie fürs volle Adoptionsrecht ein. Ist das nun eine erzkatholische Reaktionärin? Oder eine bürgerliche Feministin – mehr Frauen in Parlamente und Narrengerichte? Oder eine knallharte Ex-Innenministerin, die Grenzschließungen als „Ultima Ratio“ nicht ausschließt - oder doch eine Liberale, die im Doppelinterview mit der Grünen Katrin Göring-Eckardt Koalitionssignale setzt?

Vielleicht sind die üblichen Kästchen ja schlicht zu eintönig lackiert. Wer Kramp-Karrenbauer länger kennt, hatte jedenfalls nie den Eindruck, dass sie bloß taktische Positionen bezieht, angelehnt an Umfragedaten und mutmaßliche Mehrheiten. Da wirkte jemand eigentlich im Einklang mit sich selbst. Es gebe keine CDU Ost oder West, Nord oder Süd, keine konservative oder liberale, ruft sie in der Tennishalle in Demmin. „Wir sind so bunt wie die Menschen in diesem Land!“

Toilette als Grenzfall

Das ist ein schöner Grundsatz lebenspraktischer Vernunft. Nur, das Kästchendenken ist verbreitet, gerade in Kramp-Karrenbauers neuem Wirkungsgebiet, vom womöglichen künftigen ganz zu schweigen. In Saarbrücken, Sankt Wendel, daheim in Püttlingen war sie „es Annegret“, die Frau von nebenan, drei Kinder, der Mann, ein stämmiger Bergingenieur, hat den Haushalt gemacht. Doch in dem, was alte Saarländer noch das „Reich“ nennen, sind nicht nur räumliche Distanzen größer. Auch mit der handfesten Perspektive der Provinz eckt man jenseits der Saargrenzen leicht an.

Die Sache mit der Toilette ist so ein Grenzfall. Dass Kramp-Karrenbauer die Intersexuellen beleidigen wollte, kann man allerdings ausschließen. Der Schwulen- und Lesbenverband hat im CDU-Landesvorstand Saar einen festen Sitz, anders als bisher im Bundesvorstand. Dass sein Bundeschef trotzdem höflich um Entschuldigung und Klarstellung bat, kann man gut verstehen. Intersexuelle haben Grund, Scherzen lieber erst mal zu misstrauen.

Nur muss man wissen: An der Saar, in Stockach, in Demmin meinen sie mit dem Stichwort gar nicht diese Menschen. Die dritte Toilette ist da draußen im Land eine Chiffre. Sie steht für das Gefühl, dass die Verhältnismäßigkeit nicht stimmt, wenn sich manche mit Eifer und Zeigefinger um immer kleinere Minderheiten kümmern, während hier draußen die Schulklos verrotten und die Krankenhäuser schließen.

Man kann das kleinlich finden, besonders leicht, wenn man fußläufig zur Charite wohnt. Es hat nur eben viel mit diesem Gefühl zu tun, dass in Stockach die AfD zuletzt 13 Prozent einfuhr und im Land um Demmin 19 Prozent. Wer nicht will, dass das so bleibt, muss mit ihm umgehen. Kramp-Karrenbauer kennt das Gefühl, und sie kennt ihre Partei. Die Rückmeldungen sind eindeutig. Der reimende Abgeordnete Kuhn fasst zusammen: „Kein Mensch beschwert sich über spitze – Heterosexuellenwitze. Kritik an AKK läuft da ins Leere – hier schäumen nur die Funktionäre!“

„Die Leit’ vergesst’s nit!“

Entschuldigung? Kommt nicht in Frage. Totschweigen? Nichts da. „Ich will hier gar nicht um den heißen Brei herumreden“ verkündet sie und geht sofort zum Gegenangriff über. Ob sich die Aufgeregten denn den ganzen Auftritt in Stockach im Fernsehen angesehen hätten? Dann hätten sie erlebt, um was es ging: „Um Emanzen, um Machos, um das Verhältnis von Mann und Frau“. Nicht um oder gegen andere.

„Künstlich“ nennt sie die Aufregung und ihre Kritiker „verkrampft“: Die gleichen Leute, die sich am Silvesterfeuerwerk nicht freuen, sondern an Feinstaub denken. Die gleichen, die – die „Bild“-Zeitung hat den Fall groß aufgemacht – im Kindergarten Indianerkostüme verbieten, weil das nicht „kultursensibel“ sei. „Wahnsinn!“ ruft Kramp-Karrenbauer. „Ich wünsche mir ein Deutschland, in dem Kinder einfach Kinder sein dürfen, in dem sie draußen Cowboy und Indianer spielen können!“

Als sie wieder zurückfährt nach Berlin, nach „Pommernlied“ und „Mecklenburglied“, nach einer Plauderrunde neben der Bühne und einem Händedruck für den Mann hinten am Tresen, hat sie ungefähr 800 Fans mehr. Wie hatte sie am Ende ihrer allerersten Büttenrede gesagt, vor all der Aufregung, als „Putzfrau Gretel“ verkleidet daheim an der Saar? „Die Leit’ vergesst’s nit!“ Die normalen Menschen nicht vergessen mit ihren normalen Sorgen und Freuden - es gibt schlechtere Vorsätze für jemanden, der mit gewisser Wahrscheinlichkeit nächste Bundeskanzlerin wird.

Aber es gibt natürlich, andererseits, auch erheblich bessere Witze.

Zur Startseite