100 Jahre Frauenwahlrecht: Frauenpolitik ist Machtpolitik
Die Vorkämpferinnen des Frauenwahlrechts haben uns vorgemacht, wie Widerstände überwunden werden können. Ein Beispiel – auch für heute. Ein Gastbeitrag.
Es waren mutige Frauen, die für Frauen das Wahlrecht erstritten haben. Vor einhundert Jahren – am 19. Januar 1919 – waren erstmalig auch Frauen an den ersten allgemeinen, gleichen, geheimen und direkten Wahlen zum Parlament der ersten deutschen Republik beteiligt. Daran erinnern wir, das feiern wir in dieser Woche.
Noch im Mai 1918 war das Wahlrecht für Frauen im preußischen Abgeordnetenhaus in Berlin mit großer Mehrheit abgelehnt worden. Das schweißte Frauenrechtlerinnen aus dem linken und dem bürgerlichen Lager zusammen. Mit Mut, Klugheit und großem Beharrungsvermögen erstritten in den Umbruchsmonaten am Ende des Ersten Weltkriegs Frauen gemeinsam die vollen staatsbürgerlichen Rechte für Frauen. Dabei wurden sie unterstützt von einigen vorausdenkenden Männern. Im Januar 1919 schließlich durften sie wählen, und sie durften gewählt werden. Erst damit waren auch sie Staatsbürgerinnen, Citoyennes, geworden, die gleichberechtigt an Staat und Gesellschaft mitwirken konnten. Erst damit wurde die Weimarer Republik zur ersten deutschen Republik, die „auf den wahrhaften Prinzipien der Demokratie“ gründete. Denn ohne Freiheit gibt es keine Demokratie, und echte Freiheit gibt es erst mit der Freiheit von Männern und Frauen.
Aber das ist historisch. 100 Jahre sind seitdem vergangen. Inzwischen sind wir Deutschen in der Zukunft angekommen. Unser Land hat in Ost- wie Westdeutschland große Politikerinnen erlebt – Annemarie Renger, Hildegard Hamm-Brücher, Rita Süssmuth, Christine Bergmann, Regine Hildebrandt – und wird in der vierten Legislaturperiode von einer weltweit einflussreichen, hochgeschätzten und respektierten Frau regiert. Das aktuelle Bundeskabinett ist selbstbewusst weiblich und den zwei ältesten Parteien unseres Landes steht jeweils eine Frau vor. Auch in der Kunst, in der Kultur, in Wirtschaft und Wissenschaft unseres Landes gibt es bewundernswerte und erfolgreiche Frauen. Auch ich konnte erfahren, wie viel für Frauen in Deutschland möglich ist. Nach der mittleren Reife während meiner Ausbildung zur Industriekauffrau erfuhr ich große Unterstützung von Mentorinnen und Mentoren in der Gewerkschaft. Inspiriert und ermutigt durch sie machte ich Abitur und entschloss mich dann, Jura zu studieren und später Verwaltungsrichterin zu werden – ein Werdegang, der heute längst kein Einzelfall mehr ist.
Mütter erleben noch immer einen Karriereknick oder sind mit Beruf und Familie doppelt belastet
Ja, für Frauen in Deutschland ist alles möglich. Und dennoch ist noch nicht alles erreicht. De iure stehen Frauen gleichauf mit Männern, de facto tun sie es oft nach wie vor nicht. Von besonderer Symbolkraft ist der Frauenanteil im aktuellen Bundestag: Nach einem stetigen Anstieg auf zuletzt rund 36,5 Prozent sank er 2017 wieder auf rund 31 Prozent. Führungspositionen in allen Bereichen sind wesentlich häufiger von Männern besetzt, Frauen werden auch bei gleichwertiger Arbeit und Qualifikation schlechter bezahlt und das nicht nur unwesentlich. Gerade als Mütter stehen Frauen häufig vor besonderen sozialen Klippen, erleben einen Karriereknick oder sind mit Beruf und Familie doppelt belastet.
Den Löwenanteil an unbezahlter Arbeit in familiärer Sorge und Pflege übernehmen Frauen. Sie entscheiden sich zudem vielfach für Teilzeit und häufig für soziale oder pädagogische Berufe, die geringer bezahlt und ungerechterweise auch weniger gesellschaftlich anerkannt sind. Und auch wenn viele das in der Schule, im Studium oder während der Berufsausbildung niemals für möglich gehalten hätten: Immer noch machen Frauen häufig die Erfahrung, dass der Beruf und das gesellschaftliche Leben, dass Karrierewege und Lebensgestaltung nach Spielregeln laufen, die Frauen nicht mitgestaltet haben. Und die, sicher auch deshalb, oft nicht mit ihren Lebensentwürfen, -vorstellungen und -träumen zu verbinden sind. Gleichberechtigung haben wir erreicht. Gleiche Teilhabe, echte Parität, noch lange nicht.
Gleichberechtigung haben wir erreicht. Gleiche Teilhabe, echte Parität, noch lange nicht
Das hat strukturelle Gründe, anders sind zum Beispiel die statistisch nachweisbaren Lohnunterschiede oder die geringere Teilhabe an Führungspositionen nicht zu erklären. Bekannt sind diese Phänomene schon lange, geändert hat sich wenig. Die Bundeskanzlerin hat recht, wenn auch sie inzwischen Parität zum entscheidenden politischen und gesellschaftlichen Ziel erklärt. Für mich heißt das: Der Gesetzgeber ist in der Verantwortung. Viele Frauen warten darauf und das schon viel zu lange.
Gleichzeitig möchte ich alle Frauen auffordern, sich weiterhin auch selbst für ihre Rechte einzusetzen. Ich möchte sie ermutigen, auch mal in den Ring zu steigen und einen Machtkampf auszufechten. Denn um nichts anderes geht es: Frauenpolitik ist Machtpolitik; und Macht gibt keiner gerne ab, auch Männer nicht. Die Vorkämpferinnen des Frauenwahlrechts haben uns vorgemacht, wie es geht: die eigenen Ansprüche zu formulieren und dafür einstehen, auch gegen Widerstände. Verantwortung zu übernehmen im öffentlichen Leben, offen sein für unterschiedliche Berufswege, gerade auch für solche, die vermeintlich besser für Männer geeignet scheinen. Ich wünsche uns Frauen noch mehr Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein, vor allem aber Solidarität. Wir müssen junge Frauen und Mädchen ermächtigen, ihren eigenen Weg zu gehen.
Und von Männern erwarte ich, dass sie uns Frauen dabei unterstützen. Es ist in ihrem eigenen Interesse. Die Frage der Parität ist längst eine Gesellschaftsfrage. Und nur eine Gesellschaft, in der Männer und Frauen nicht nur formell gleichberechtigt sind, sondern auch de facto und in gleicher Weise über die Spielregeln mitentscheiden, ist wirklich frei und zukunftsfähig.
Jede Generation steht vor neuen Herausforderungen. Zu unseren gehört, echte Parität zwischen Männern und Frauen zu verwirklichen und damit zu vollenden, was mutige Frauen und Männer vor mehr als hundert Jahren begonnen haben.
Elke Büdenbender ist Juristin. Sie ist mit dem amtierenden Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier verheiratet.
Elke Büdenbender
- bbbbbb
- Brandenburg neu entdecken
- Charlottenburg-Wilmersdorf
- Content Management Systeme
- Das wird ein ganz heißes Eisen
- Deutscher Filmpreis
- Die schönsten Radtouren in Berlin und Brandenburg
- Diversity
- Friedrichshain-Kreuzberg
- Lichtenberg
- Nachhaltigkeit
- Neukölln
- Pankow
- Reinickendorf
- Schweden
- Spandau
- Steglitz-Zehlendorf
- Tempelhof-Schöneberg
- VERERBEN & STIFTEN 2022
- Zukunft der Mobilität