100 Jahre Frauenwahlrecht: Das Problem ist und bleibt politisch
Am heutigen Samstag jährt sich zum 100. Mal der Tag, an dem Frauen in Deutschland zum ersten Mal wählen und gewählt werden durften. Ein Kommentar.
Am Mittwoch hat Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble aus diesem Anlass eine seltsame Rede gehalten. Schäuble hat damit deutlich gemacht, dass es nach wie vor keinen Konsens gibt, was Emanzipation eigentlich ist und wie sie erreicht werden kann.
In seiner Bundestagsrede verwies Schäuble darauf, dass Frauen weiterhin einen größeren Anteil an Kindererziehung, Hausarbeit und Pflege haben als Männer. Dass das nicht gerecht sei, sei "eine weithin akzeptierte Erkenntnis, an deren Umsetzung wir Männer gelegentlich mit Nachdruck erinnert werden müssen", so der Bundestagspräsident. Doch die "Veränderung gesellschaftlicher Normvorstellungen" schreite nur langsam voran. Und: "Die lässt sich nicht verordnen".
Dass die häusliche Arbeit zwischen Männern und Frauen ungleich verteilt ist, ist richtig, das zeigen die Daten des sozio-ökonomischen Panels (SOEP). Gerade in der Mitte des Lebens, wenn sich Männer Macht, Einfluss und Geld sichern, hocken die Frauen oft in Teilzeit bei Kind, Herd und Omi, auch die Jüngeren übrigens, nach wie vor. Doch es ist wichtig, wie herum man das Problem denkt: Erlangen Frauen weniger Macht, Einfluss und Geld, weil Männer, wie Schäuble suggeriert, zu Hause nicht mehr helfen – ist das also ein Problem, dessen Lösung im Privaten liegt? Oder sind sie zu Hause verfügbarer, weil ihnen zu oft subjektiv oder objektiv die Möglichkeit fehlt, Macht, Einfluss und Geld zu erlangen – ist die Ungleichverteilung im Haushalt also nur Symptom eines Problem im öffentlich-politischen Raum?
Die Wahrheit liegt wahrscheinlich in der Mitte, mit seiner Rede aber verneint Schäuble die strukturellen und ideologischen Widerstände, denen Frauen in Unternehmen und Parteien begegnen. Schäubles Verweis auf Kind, Küche, Omi trivialisiert Schäuble das Problem. Er verlegt den Kampf um die Geschlechtergerechtigkeit in die häusliche Sphäre der Trutschigkeit, auf das Niveau eines 70er Jahre Ehezwistigkeitsschlagers wie Johanna von Koczians "Das bisschen Haushalt".
Doch es geht im Kampf um Gleichberechtigung auch 100 Jahre nach 1919 nicht nur um den Wandel der Mentalitäten oder darum, alles zu dürfen. Politik muss nach wie vor auch an den realen Chancen, dieses Recht zu verwirklichen, mitarbeiten. Gleichberechtigung ist kein privates Problem, es ist nicht genug, darauf zu warten, dass die "Normvorstellungen" halt Handeln werden. Über die Instrumente im Einzelnen (mehr Geld für Kitas, Quoten etc.) kann man streiten. Darüber, dass das Problem ein ein politisches ist, nicht.