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Bodo Ramelow (links) verweigert Björn Höcke den Handschlag.
© Jens Schlüter/AFP

„Sie sind die Brandstifter“: Thüringens Ministerpräsident Ramelow attackiert die AfD

Mit links hat es nicht geklappt. Aber nun ist der Linken-Politiker Bodo Ramelow doch wieder Regierungschef von Thüringen, toleriert von der CDU.

Diesen Handschlag verweigert Bodo Ramelow demonstrativ. Als sich Thüringens AfD-Chef Björn Höcke in die Reihe der Gratulanten im Plenarsaal des Landtags einreiht, darf er dem Linken-Politiker nicht gratulieren, der es eben, im quasi sechsten Wahlgang, dann doch geschafft hat, wieder Ministerpräsident von Thüringen zu werden.

Man könne das als ungehobelte Mainieren betrachten, sagt der Linke in seiner Antrittsrede. Aber: „Sie sind die Brandstifter in diesem Saal“, ruft er in Richtung AfD – jene, die anderen Fraktionen „Fallen bauen“ und die „Demokratie mit Füßen treten“.

Höcke war im dritten Wahlgang nicht mehr angetreten

Mit links hat diese Wahl wahrlich nicht geklappt. Im dritten Wahlgang am Mittwoch, bei dem die einfache Mehrheit genügte, kam Ramelow auf 42 Stimmen. So viele, wie die Linke, SPD und Grüne zusammen Abgeordnete haben. Die CDU enthielt sich mehrheitlich, die Nein-Stimmen kamen vermutlich bis auf eine von der AfD. Höcke war im dritten Wahlgang nicht mehr angetreten.

Und die FDP, die am 5. Februar mit den Stimmen auch von AfD und CDU im dritten Wahlgang ihren Landes- und Fraktionschef Thomas Kemmerich als Regierungschef durchgesetzt hatte, nahm an den Wahlgängen diesmal gar nicht teil. Kemmerich war nach kurzer Zeit zurückgetreten und nur noch geschäftsführend im Amt – und kam mit Blumen, um seinen Amtsnachfolger zu beglückwünschen.

„Stabile Verhältnisse" will Ramelow nun nach der wochenlangen Hängepartie des Freistaats schaffen, verspricht er – und das mit einer Minderheitsregierung. Er setzt, in Anspielung etwa auf die Ratgeber im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin eine Spitze Richtung CDU, die es ihren Thüringer Parteifreunden wahrlich nicht einfach gemacht hatte. Eingemischt hätten sich in die Diskussionen auch viele, „die von Thüringen keine Ahnung haben“, sagt er. Leute, die nicht begriffen hätten, „dass die Bonner Republik nicht mehr existiert“.

Das Szenario war mit der CDU abgesprochen

Bodo Ramelow hatte seit ein paar Tagen geahnt, dass es doch drei weitere Wahlgänge brauchen würde, bis es klappt – und das Szenario dafür schon am Dienstag mit dem neuen CDU-Fraktionschef Mario Voigt besprochen. „Ein ruhiges und zielorientiertes Gespräch“ habe er mit Voigt geführt, sagt Ramelow am Mittwoch dem Tagesspiegel. Voigt war auch Verhandlungsführer der CDU bei den Gesprächen mit Rot-Rot-Grün über den „Stabilitätsmechanismus“ für die von Ramelow angeführte Minderheitsregierung.

Vorfreude: Bodo Ramelow am Mittwoch im thüringischen Landtag - noch vor seiner erneuten Wahl zum Ministerpräsidenten.
Vorfreude: Bodo Ramelow am Mittwoch im thüringischen Landtag - noch vor seiner erneuten Wahl zum Ministerpräsidenten.
© Hannibal Hanschke/Reuters

Ursprünglich hatten Ramelow und seine Linkspartei darauf gesetzt, dass CDU-Abgeordnete – mindestens vier wären für die absolute Mehrheit notwendig gewesen – ihn schon im ersten Wahlgang ins Amt bringen. Er habe seine Gesprächspartner in der CDU jedoch von „ihren Zusagen entbunden“, sagte Ramelow vor der Plenarsitzung. „Ich hatte eine ausreichende Anzahl, aber ich möchte diese Menschen nicht beschädigt wissen.“

Die am Montag von AfD-Partei- und Fraktionschef Höcke angekündigte Gegenkandidatur hatte die Lage verändert. Dazu kam, dass die FDP angekündigt hatte, mit ihren fünf Abgeordneten allen Wahlgängen fernzubleiben. Thomas Kemmerich, zu diesem Zeitpunkt noch geschäftsführender Ministerpräsident, posierte am Mittwochvormittag vor Beginn der Landtagssitzung mit seinen Parteifreunden im Plenarsaal. Dass die FDP an der Abstimmung nicht teilnahm, löste weithin Unverständnis aus.

Die CDU hatte Enthaltung angekündigt

Junge-Union-Chef Tilman Kuban hatte den christdemokratischen Abgeordneten im Erfurter Landtag ein ähnliches Vorgehen empfohlen. Doch CDU-Fraktionschef Voigt entgegnete, dies sei „absolut keine Option“. Abgeordnete seien nicht dafür gewählt, sich „aus der Verantwortung zu stehlen“. Er empfahl seinen 21 Parlamentariern Enthaltung in allen drei Wahlgängen – was die Abgeordneten in einer geheimen Probeabstimmung auch erfolgreich übten. Ein, wie CDU-Generalsekretär Raymond Walk versicherte, mit der Bundespartei abgestimmtes Verfahren.

In den vergangenen Wochen fühlten sich die Thüringer Unionisten von führenden Vertretern der Bundes-CDU regelrecht verprügelt und auch unverstanden, nun versprechen sie ein „Ende der Selbstbeschäftigung“. Und setzen darauf, dass es keine Kritik mehr gibt aus dem Konrad-Adenauer-Haus dafür, dass sie mit ihrer Enthaltung am Mittwoch Ramelow ins Amt verholfen haben. Und dass sie die rot-rot-grüne Minderheitsregierung faktisch tolerieren. Ein Widerspruch zum Hamburger CDU-Bundesparteitagsbeschluss aus dem Jahre 2018, der Koalitionen und „ähnliche Formen der Zusammenarbeit“ mit AfD und Linkspartei ausschließt, wird in Erfurt bestritten.

Mit der CDU ist ein „Stabilitätsmechanismus“ vereinbart

Zum entspannten Verhältnis zwischen Rot-Rot-Grün und der CDU als „konstruktiver Opposition“ beitragen soll auch die Vereinbarung über einen „Stabilitätsmechanismus“, den führende Vertreter von CDU, Linkspartei, SPD und Grünen am Morgen vor der Landtagssitzung unterzeichneten - für die CDU Fraktionschef Voigt und Parlamentsgeschäftsführer Andreas Bühl. Die Unterzeichner des Drei-Seiten-Papiers versprechen sich, Kompromisse im Landtag „nur untereinander zu suchen“ - sprich: vor allem ohne die AfD.

Ein eigener Unterpunkt gilt dem SED-Unrecht: „Um der Verantwortung aus unserer Geschichte gerecht zu werden, werden die Arbeit der Gedenkstätten und Erinnerungsorte sowie der Grenzmuseen ebenso wie die Tätigkeit der Landeszentrale für politische Bildung stärker unterstützt werden“, heißt es. Und. „Der politischen Bildung soll im schulischen Unterricht mehr Raum gegeben werden.“ Der Passus war insbesondere der CDU wichtig - die Ramelow immer wieder dafür angreift, dass er den Begriff „Unrechtsstaat“ für die DDR nicht verwenden will.

Auf der Basis von Kompromissen zwischen Union und Rot-Rot-Grün soll auch im Dezember 2020 der Haushalt 2021 verabschiedet werden, die vorgezogene Neuwahl des Landtags dann im April 2021 stattfinden. Früheren Neuwahlen hatte sich die Thüringen-CDU entgegen dem Interesse der Bundespartei widersetzt: Sie muss nach Umfragen fürchten, bei einer baldigen Neuwahl schon in den kommenden Wochen halbiert zu werden.

Nach wie vor befindet sich die Thüringen-CDU in einer komplizierten Lage – zerrissen zwischen Pragmatikern, die sich eine Zusammenarbeit mit der Linken vorstellen können, und anderen, die auch mit AfD des ultrarechten Höcke wenig Berührungsängste haben.

Ob der als Nachfolger von Mike Mohring gewählte Fraktionschef Voigt die Fraktion zusammenhalten kann, gilt als fraglich. Christian Hirte schickt sich an, Nachfolger Mohrings als Parteichef zu werden. Er war von Kanzlerin Angela Merkel als Ost-Beauftragter entlassen worden, nachdem er am 5. Februar FDP-Regierungschef Kemmerich überschwänglich zur Wahl gratuliert hatte – und dürfte auch, falls er denn beim Landesparteitag am 18. April gewählt wird, als CDU-Landesvorsitzender polarisieren.

Ramelow: AfD will parlamentarische Demokratie zerstören

Die AfD hatte versucht, mit der Aufstellung von Höcke einen Keil zwischen die demokratischen Parteien zu treiben. Sie hätten das nur getan, „um die CDU zu schädigen“, sagte Ramelow kurz vor Sitzungsbeginn. „Damit wird deutlich, dass es nicht um Landespolitik geht, sondern um die Zerstörung von parlamentarischer Demokratie.“ CDU-Generalsekretär Walk spricht in einer Sitzungspause mit Blick auf die AfD von „Antidemokraten, die das System pervertieren wollen“.

Die demokratischen Parteien von Linke bis CDU haben am Mittwoch in Erfurt gezeigt, dass sie bei diesem Spiel nicht mitmachen wollen. Das wurde schon deutlich, als Landtagspräsident Birgit Keller die Sitzung mit dem Gedenken an die rechtsextreme Mordserie in Hanau eröffnete.

Der Anschlag in der hessischen Stadt habe „uns alle bis ins Mark erschüttert“ – und das nach der Mordserie des NSU, der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und den Anschlag in Halle. „Wir müssen dieses Problem benennen“, sagte sie. „Rechtsextremismus und Fremdenhass haben in unserer Gesellschaft keinen Platz.“ An dieser Stelle spendeten die Abgeordneten aus allen Fraktionen demonstrativ Beifall – nur nicht die der AfD.

Linkes Störfeuer aus Berlin und Kassel

In den Wochen nach dem 5. Februar hatte die Bundes-Linke ihrem populären Ex-Ministerpräsidenten alles andere als Rückenwind gegeben. Erst wählte die Bundestagsfraktion Andrej Hunko zu ihrem stellvertretenden Vorsitzenden – einen Putin-Versteher, mit Sympathien für Querfront und Verschwörungstheoretiker.

Vergangene Woche stellten acht Linken-Bundestagsabgeordnete Strafanzeige gegen Kanzlerin Angela Merkel und andere Mitglieder der Bundesregierung. Der Vorwurf: „Beihilfe durch Unterlassen zum Mord“ wegen der Tötung des iranischen Generals Qassem Suleimani. Das zentrale Argument: Der „völkerrechtswidrige Drohnenangriff“ sei über den US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz gesteuert worden.

Juristisch und politisch galt das Vorgehen der acht Abgeordneten in den Reihen der Linken als „Wahnsinn“. Die Parlamentarier mussten sich am Dienstag in einer Sitzung der Bundestagsfraktion dafür entschuldigen, dass sie die Fraktionsspitze nicht vorab über ihre Pläne informiert hatte.

Debatten um Linken-Chef Riexinger

Die Wahl von Hunko hatte Ramelow noch ebenso kommentarlos hingenommen wie die Sache mit der Anzeige gegen Merkel. Am Dienstag aber platzte Ramelow der Kragen. Publik geworden war ein Video von der Strategiekonferenz der Linkspartei am Wochenende in Kassel. Eine junge Genossin aus Berlin schwadroniert über das Erschießen von Reichen. Parteichef Bernd Riexinger, zu diesem Zeitpunkt auf dem Podium kommentiert. „Wir erschießen sie nicht, wir setzen sie schon für nützliche Arbeit ein.“

Eine „sarkastische Äußerung“, die Genossin habe sich „saublöde ausgedrückt“, versucht ein Bundestagsabgeordneter, der im Kassel im Raum saß, seine Parteifreundin in Schutz zu nehmen. Doch von „Bild“ bis CSU hagelte es Angriffe auf die Linke. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak twitterte: „Erschießen oder Arbeitslager? Unfassbar! Deshalb keine Zusammenarbeit mit @dieLinke!“

Riexinger hat bisher offen gehalten, ob er auf dem Bundesparteitag im Juni in Erfurt erneut für das Amt des Parteichefs kandidiert. Er gibt zu, sich in seiner Reaktion auf die Wortmeldung in Kassel „zu flapsig“ ausgedrückt zu haben. Andere Parteifreunde formulieren schärfer: „Politisch eine Vollkatastrophe“, kommentiert etwa der linke Berliner Kultur-Senator Klaus Lederer. Die Reaktion seines Parteichefs hält er für „supoptimal“. Ramelow bleibt auch nach einem Telefonat mit Riexinger bei seiner scharfen Kritik: „Auch unwidersprochene Ironie mit der Aussage, man wolle ,das eine Prozent‘ erschießen, ist für mich nicht akzeptabel!“

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