Bodo Ramelow über die Lehren aus Halle: „Bis zu einem Viertel der Wähler empfänglich für rechtes Gedankengut“
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow spricht im Interview über den Anschlag in Halle. Und den richtigen Umgang mit Rechten.
Bodo Ramelow ist der erste und bisher einzige Ministerpräsident von der Linkspartei. Seit 2014 führt er die rot-rot-grüne Landesregierung von Thüringen an. Am 27. Oktober sind dort Landtagswahlen.
Vor eineinhalb Wochen wurde auf die Synagoge in Halle ein Anschlag verübt. Was hat das in Ihnen ausgelöst?
Das hat mich zunächst einfach nur erschüttert. Am Feiertag Jom Kippur wird eine jüdische Gemeinde in Deutschland bedroht. Und parallel liefen die Meldungen aus Limburg, es war völlig unklar, ob da ein gestohlener Lkw zu einem Terroranschlag genutzt wurde. Man denkt unwillkürlich an Christchurch und macht sich Sorgen. Die Staatskanzlei, in der wir gerade sitzen, steht in Blickweite zur Erfurter Synagoge.
Macht es für Sie keinen Unterschied, wenn in Deutschland wieder Synagogen angegriffen werden und ein Massaker an Juden geplant wird?
Für ein Land, in dem der Holocaust geplant und ausgeführt wurde, macht es immer einen Unterschied. Und es schmerzt mich tief, wenn Menschen jüdischen Glaubens im heutigen Deutschland Angst haben. Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass der Angriff auf die Synagoge in Halle Ausdruck einer rechtsextremen Selbstermächtigung ist, die wir gerade erleben.
Die macht mobil gegen alles, was anders ist. Wir erleben, dass ein Heckenschütze im Auto Jagd auf Menschen mit dunkler Hautfarbe macht, dass ein Bürgermeister so lange beleidigt, belästigt und angegriffen wird, bis er aufgibt, dass Moscheen angegriffen werden – und das alles mit einer inzwischen beängstigenden Selbstverständlichkeit.
Es ist immer wieder davon die Rede, darauf müsse anders reagiert werden. Was sehen Sie als besonders dringlich an?
Wir haben leider immer wieder dieselben Muster: Politik und Behörden sind schockiert, wenn etwas passiert, bemühen die These vom Einzeltäter und sind irritiert, wenn man auf die strukturellen Gründe hinweist.
Nehmen Sie das Beispiel Thüringen: Karl-Heinz Hoffmann von der nazistischen Wehrsportgruppe Hoffmann stammte aus Kahla bei Jena, er kam nach dem Mauerfall hierher zurück, von da an gab es Sprengstoffattentate in der Umgebung, Ku-Klux-Klan-Gruppen wurden aktiv, es wurden Waffen in Erddepots gefunden.
Der Täter des Oktoberfestattentats von 1980 mit zwölf Toten war zeitweise Mitglied bei der Wehrsportgruppe Hoffmann, dennoch galt auch dieses Massaker als Tat eines Einzelnen. Der ermordete Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke war zehn Jahre lang, von 1989 bis 1999, Leiter der Jugendbildungsstätte in Ohrdruf hier in Thüringen. Dort gab es schon damals eine verfestigte Naziszene.
Schluss mit der Einzeltäterthese?
Ja. Einzeltäter wird man überall sehen, wenn man darauf verzichtet auf die Zusammenhänge zu schauen. Von den Verwicklungen des Verfassungsschutzes ganz abgesehen: Da wurden bekanntlich die Aktenschredder in Gang gesetzt, kaum dass der NSU sich enttarnt hatte. Und wir wissen, dass ein Rechtsterrorist wie Timo Brandt von dieser Institution mit 150.000 Mark ausgestattet wurde. Das Geld floss nach seiner Aussage vollständig in den Aufbau von Nazistrukturen.
Dem thüringischen Verfassungsschutz haben Sie ja eine Rundumreform verordnet, als Sie Ministerpräsident wurden. Chef wurde Stephan Kramer, der frühere Generalsekretär des Zentralrats der Juden. Ihre Partei will die Verfassungsschutzämter sowieso abschaffen, Sie selbst klagten gegen Ihre jahrelange Beobachtung. Hat die Reform Sie mit der Behörde versöhnt?
Wir haben im Koalitionsvertrag einen Kompromiss gemacht. Die innere Struktur des Landesamts für Verfassungsschutz wurde verändert, V-Leute-Einsatz gibt es nur noch, wenn Ministerpräsident und Innenminister zustimmen und wir haben mit Stephan Kramer einen neuen Leiter, der Unterstützung durch erfahrene Verwaltungsfachleute bekommt.
Stephan Kramer sagt mir jetzt, er brauche mehr Personal. Ich antworte: In Sachsen-Anhalt wurde der Anschlag trotz Personal nicht vorausgesehen und verhindert. Mehr Verfassungsschutz bedeutet nicht automatisch mehr Sicherheit. Wir müssen vielmehr genauer hingucken. Und wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass bis zu einem Viertel der Wähler empfänglich sind für rechtes Gedankengut.
Also: mit Rechten reden?
Das halte ich auch für ein nur bedingt taugliches Ritual. Nein, wir müssen genau hinsehen. Damit hat mein Vorvorgänger Bernhard Vogel …
… CDU-Politiker und von 1992 bis 2003 Ministerpräsident in Thüringen ...
… begonnen und dafür bin ich ihm bis heute dankbar. Nach dem Brandanschlag auf die Synagoge hier in Erfurt im April 2000 hat er die Universität Jena beauftragt, allgemeine Einstellungen aber auch mögliche rechtsextreme Denkstrukturen im Land zu untersuchen. Daraus ist der Thüringen-Monitor geworden, eine jährliche Studie, die wir auch jedes Jahr im Landtag diskutieren.
Thüringen hat sich ehrlich gemacht und darin waren wir lange Zeit die einzigen. Später hatte meine Amtsvorgängerin Christine Lieberknecht als Ministerpräsidentin in Pößneck Flagge gezeigt, als Nazis dort das Schützenhaus zum größten NS-Kultzentrum im Land machen wollten. Sie hat uns als Opposition eingeladen, gemeinsam mit der Regierung zu agieren. Ich habe diesem Wunsch gerne entsprochen. Aber auch hier haben sich die Zeiten leider geändert.
Heute sagt die Thüringer Werte-Union, der geschasste Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Herr Maaßen, habe Deutschland gerettet. Der revanchiert sich postwendend auf einer Thüringer Wahlkampfveranstaltung mit der abenteuerlichen Behauptung, dass es in der Linkspartei keine Demokraten gebe und der Thüringer Verfassungsschutz nur eine Attrappe sei. Von Herrn Mohring, dem Spitzenkandidaten der CDU, höre ich da leider keine klare Abgrenzung.
Vorsicht, vielleicht müssen Sie einmal mit ihm koalieren.
Das sehe ich nicht. Fragen Sie noch mal in ein paar Jahren bei mir nach, nicht jetzt. Davor muss allerdings Herr Mohring einmal gründlich klären, was er eigentlich will. Derzeit lässt er die alte Totalitarismus-Theorie wieder aufleben, indem er sagt, Thüringen werde von den Rändern beherrscht und selbst für das böse gemeinte Wort „Inschallah-Bodo“ mit Blick auf die thüringische Flüchtlingspolitik ist sich die Thüringer CDU nicht zu schade.
Vielleicht weiß man ja unter Christdemokraten nicht, dass auch für arabische Christen Gott Allah heißt. Mehr noch: Herr Mohring möchte Schutzsuchende Menschen vor dem Ertrinken im Mittelmeer zwar retten, verlangt aber, diese Menschen anschließend wieder u.a. nach Libyen zurückzubringen, ein Land, in dem Gewalt regiert und Flüchtlinge erwiesenermaßen um ihr Leben fürchten müssen.
Ich muss mich beschimpfen lassen, wenn ich Flüchtlinge begrüße und ihren Verbleib begleite. Das ist der Unterschied: Ich möchte Integration zum Gelingen bringen, andere bedienen Stammtische. Ein weltoffenes, tolerantes Thüringen gibt es nur mit Rot-Rot-Grün. Dafür kämpfe ich.
Und wie?
Übers Alltagsgeschäft. Denen, die „Ausländer raus“ rufen, muss ich nicht sagen: Ihr seid alle Rassisten. Denen sage ich: Ruft das doch mal vor der Zentralklinik von Bad Berka. In Thüringen ist jede vierte Ärztin, jeder vierte Arzt aus dem Ausland. Da wären wir aber schnell lahmgelegt, wenn die uns verlassen.
Und wir sollten sorgfältig mit Begriffen umgehen. Wenn etwa Behörden bestimmte Gegenden in Erfurt wie den Anger zu „Kriminalitätsschwerpunkten“ erklären um dort anlasslose Kontrollen durchführen zu können, dann schüren wir unnötig Ängste und lenken Wasser auf die Mühlen der Rechten. Tatsächlich sinkt die Kriminalität – und die ist in Thüringen im Vergleich der Bundesländer ohnehin am geringsten. Ich bin für praktische Lösungen. Schicken wir doch im Bedarfsfall ein paar Streifen mehr über den Anger. Während die AfD nichts als Empörung bietet, muss ich es mir selber schon etwas schwerer machen.
Das haben Sie auch gerade wieder mit Ihrem Beharren getan, dass die DDR eine Diktatur, aber kein Unrechtsstaat war. Musste das wirklich sein?
Ja, das musste es. Die DDR war eine Diktatur, die vielen Menschen Schlimmes angetan hat. Kein Zweifel. Aber ich spreche vom Unrechtsstaat als einer juristischen Kategorie, die Fritz Bauer, der mutige Jurist hinter den Auschwitz-Prozessen, in den 1960er Jahren für den NS-Staat prägte. Das ist für mich nicht zu trennen.
Juristisch wird das aber nicht verstanden, sondern politisch: als Freisprechung der DDR.
Wenn ich dafür verurteilt werde, dass ich keine Bekenntnisrituale abliefere, dann soll es so sein. Die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen, ist für mich genauso ritualisiert wie umgekehrt ihre Selbstbezeichnung als antifaschistischer Staat.
Hinter dieser Fassade konnten sich – bis 2000 übrigens – Leute verstecken wie der Verantwortliche der Kindereuthanasie von Stadtroda, über den die Staatssicherheit sämtliche Unterlagen hatte. Das Personal des hiesigen „Entjudungsinstituts“ wurde in der antifaschistischen DDR nicht vor Gericht gestellt, sondern fand in Teilen eine Weiterbeschäftigung als Inoffizielle Mitarbeiter bei der Stasi. Noch Fragen?
Zurück zur Gegenwart: Sehen Sie sich eigentlich mehr als Landesvater oder als Linken-Politiker?
Landesvater nenne ich mich selber nicht, ich finde es aber ehrenvoll, wenn Menschen mich so sehen. Und ja, ich bin Linker, vielleicht ein etwas ungewöhnliches Format.
Und als gelernter Gewerkschafter eher Arbeitnehmervertreter oder wirtschaftsnah?
Ich komme aus einer Familie von Selbstständigen, über Generationen. Ich habe erst durch meine Ausbildung im Handel Zugang zur Gewerkschaft bekommen. Da habe ich mich auf Betriebe spezialisiert, die in die Schließung gingen. Ich musste mir überlegen, wie neue Arbeitsplätze entstehen könnten. Mit dem Gewerkschaftshandbuch West hätte ich da nichts anfangen können.
Mit dem Parteibuch der SPD auch nicht. Anders als für Westgewerkschafter üblich sind Sie nie in die Partei eingetreten.
Vor Ihnen sitzt ein sturer Bock, der nie das gemacht hat, was alle erwarten.
Nur Sturheit?
Nein, mein hessischer Hintergrund spielt eine wichtige Rolle. In Marburg wurde Herbert Bastian, ein engagierter Mann und Posthauptschaffner, den ich kannte, als DKP-Mitglied aus dem Öffentlichen Dienst entfernt. Der sogenannte Radikalenerlass war das Werk der SPD. Damit wollte ich mich nicht arrangieren und letztlich wollte ich parteilos bleiben. Die damalige Arroganz in der hessischen SPD tat ein Übriges. Das war nicht meine Welt.
Den Niedergang der SPD jetzt sehen Sie aber nicht mit Genugtuung?
Den Niedergang der ältesten demokratischen deutschen Partei? Ganz und gar nicht. Aber er überrascht mich auch nicht wirklich. Das hat nicht erst mit Gerhard Schröders Zeit im Kanzleramt angefangen. Und der Umgang mit Andrea Nahles war auch nicht sehr fein. Solidarisch geht jedenfalls anders.
Davor war es Martin Schulz, der in rasendem Tempo vom Heilsbringer zum Sündenbock gemacht wurde. Für mich wirkt da die Mechanik einer Partei, die kein Teamplay kennt. Ich habe großes Interesse an einer starken und wirkmächtigen Sozialdemokratie und ich wünsche ihr deshalb von Herzen viel Erfolg bei ihrer Erneuerung. Ich jedenfalls bin froh, dass ich bei der Linken in Thüringen eine Landesvorsitzende habe, mit der ich mich jeden Morgen absprechen kann.
Dass auch die Linke zerbröseln könnte, fürchten Sie nicht?
Im Gegenteil. Wir sind hier in Thüringen in den 90er Jahren mit den schlechtesten Wahlergebnissen in ganz Ostdeutschland gestartet. Aber offenkundig haben wir ein Rezept: ordentliches Personal und Lösungsvorschläge, die an den konkreten Problemen von Menschen ansetzen. Ich bin 1999 in die PDS eingetreten, aber mir war irgendwann klar, dass sie keine Zukunft hat, wenn sie lediglich Ostpartei bleibt.
Ich weiß, warum ich für den Zusammenschluss von PDS und WASG gearbeitet habe, aus dem dann die Linke hervorgegangen ist. Mir war immer klar: Erfolg werden wir nur haben, wenn die Menschen einen konkreten Gebrauchswert mit uns verbinden. Die Alternative Regieren oder Opponieren, womit sich die Strömungen in unserer Partei immer so gerne beschäftigt haben, ist einfach die falsche Frage. Wir können und wollen auch nicht die SPD ersetzen. Wir hätten schon viel erreicht, wenn wir bei Wahlen im Bund die zehn Prozent erreichen.
In Thüringen sind Sie ja seit langem ein bisschen drüber, mit aktuell 28 Prozent in den Umfragen.
Als ich in die PDS eingetreten bin, war das garantiert kein Karriereschritt. Damals gingen in der Partei einige daran, die PDS zur „ostdeutschen Volkspartei“ ummodeln zu wollen, die frühere Dresdner PDS-Bundestagsabgeordnete Christine Ostrowski oder Barbara Lässig zum Beispiel. Wenn ich mir ansehe, wo die, die das wollten, inzwischen umhergeistern …
... Lässig arbeitet inzwischen offenbar für die AfD und beide geistern durchs Pegida-Milieu ...
… dann denke ich zuweilen, der liebe Gott hat gewollt, dass ich das mache, was ich gemacht habe.