Thüringen und eine überforderte CDU: Nun kann nur noch Angela Merkel helfen
Die CDU gibt die Äquidistanz zu Linkspartei und AfD auf. In Thüringen. Endlich. Nun muss es noch die Parteispitze begreifen. Ein Kommentar.
Es ist nichts weniger als eine kleine Revolution. Die von der CDU auf der einen und Rot-Rot-Grün auf der anderen Seite getroffene Vereinbarung in Thüringen ist eine krasse Wende in der christdemokratischen Parteiengeschichte.
Denn, anders als die Beteiligten Glauben machen möchten, geht es bei der Übereinkunft nicht bloß um "einen Stabilitätsmechanismus", bei dem die CDU angeblich nur "konstruktive Opposition" ist.
Nein, der Beschluss, dass der Linken-Politiker Bodo Ramelow am 4. März auch mit Stimmen von CDU-Landtagsabgeordneten im ersten Wahlgang gewählt werden soll und eine von einem Linken geführte rot-rot-grüne Minderheitsregierung von der CDU geduldet und toleriert werden soll, ist kein normaler Vorgang.
Gut so, Thüringen-CDU! Und überfällig
Faktisch wird damit der Beschluss des Hamburger CDU-Bundesparteitages, laut dem es weder mit AfD noch mit der Linkspartei Koalitionen oder "ähnliche Formen der Zusammenarbeit" geben darf, für Thüringen außer Kraft gesetzt. Das ruft massive Kritik in der CDU hervor. Und die Linke jubelt. Katja Kipping, die Linken-Vorsitzende, spricht von einer "historischen Dimension", was die Kritiker in der CDU noch weiter anstacheln dürfte.
Aber der Schritt der Thüringer CDU ist gut so und überfällig. Bei weiteren Wahlen im Osten, etwa 2021 in Sachsen-Anhalt, drohen ähnliche Konstellationen wie in Thüringen. Und wieder wird es darum gehen zu verhindern, dass die CDU nach rechts blinkt und den Anti-Demokraten der AfD die Regie überlässt.
Im Erfurter Landtag haben AfD und Linke gemeinsam mehr als die Hälfte der Mandate. Letztlich geht es gar nicht anders, als dass sich die Partei entscheiden muss, ob sie Zugeständnisse nach rechts macht oder nach links.
Peter Hintzes Rote-Socken-Kampagne
Als 1994 im Bundestagswahlkampf der damalige CDU-Generalsekretär Peter Hintze die Rote-Socken-Kampagne startete, ging es auch um die Tolerierung einer Minderheitsregierung. Die PDS duldete damals, dass eine vom SPD-Politiker Reinhard Höppner geführte rot-grüne Koalition ans Ruder kam.
Die Bundes-SPD war damals - ebenso wie die CDU bis heute - noch nicht so weit. Höhepunkt der Konfrontation war die 1994 vom damaligen SPD-Vorsitzenden Rudolf Scharping durchgesetzte "Dresdner Erklärung", die sich ähnlich liest wie der Hamburger CDU-Parteitagsbeschluss 2018 - nur die AfD oder andere rechtsradikale Parteien wurden nicht erwähnt.
Auch für die SPD war es kein leichter Weg
Die SPD hat sich entwickelt. Das "Magdeburger Modell" war nur der Anfang für Lockerungsübungen. Es war kein leichter Weg. Oskar Lafontaine, damals noch SPD-Chef, traf 1998 seinen späteren Parteifreund Gregor Gysi heimlich in der saarländischen Landesvertretung in Bonn.
Kurz darauf gab es in Mecklenburg-Vorpommern die erste formelle rot-rote-Koalition, Regierungsbeteiligungen der Linken in Berlin, Brandenburg und Thüringen sollten folgen. 2013 öffnete sich die Bundes-SPD auf dem Leipziger Parteitag dann entschieden und grundsätzlich Richtung Linkspartei und erlaubte eine Koalition auch Bund, selbst wenn die bisher nicht zu Stande kam.
Die CDU hat die Entwicklung über all diese Jahre verschlafen. Ohne Frage: Linke und Christdemokraten trennen Welten, inhaltlich. Aber eine Partei, in der geschätzt nur noch zwischen zehn und 20 Prozent der jetzigen Mitglieder vor der Wende in der SED waren, quasi ohne jede Relativierung für das DDR-Unrecht zu verhaften, ist auch aberwitzig.
Sie negiert, nebenbei gesagt, dass die CDU nach der Wende auch Tausende von Mitgliedern der DDR-Blockparteien CDU und Bauernpartei ohne langes Zögern integriert hat. Josef Duchac, von 1990 bis 1992 erster CDU-Ministerpräsident in Thüringen nach der Wiedervereinigung, trat vor der Wende als "Clown Ferdinand" vor der Stasi auf.
Ramelow ist ein in der Wolle gefärbter Sozialdemokrat
Erst vor ein paar Tagen hat die Bundes-CDU in einem Elf-Seiten-Papier ihre Haltung zu AfD und Linkspartei zusammengefasst. Zur Linken heißt es, sie knüpfe an "sozialistische und kommunistische Geschichtstraditionen" an, vertrete "ideologische Heilslehren" und habe ein "totalitäres Politikverständnis".
CDU-Stimmen für einen Ministerpräsidenten Ramelow? "Ausgeschlossen", so die Weisung der Parteizentrale. Obwohl Ramelow nun wirklich kein Kommunist ist, sondern ein in der Wolle gefärbter Sozialdemokrat.
AKK sitzen ihre Nachfolge-Kandidaten im Nacken
Die Bundes-CDU könnte in Thüringen jetzt eingreifen. "Im äußersten Falle" sogar, wie es im Statut heißt, "einen Beauftragten einsetzen". Die Thüringer CDU zurückpfeifen.
Klüger wäre, die Dinge jetzt einfach mal laufen zu lassen - und das demokratische Erfurter Experiment zu tolerieren.
Die Weichen dafür haben Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer und ihr Generalsekretär Paul Ziemiak in den vergangenen Monaten seit der Landtagswahl am 27. Oktober jedoch nicht gestellt. Stattdessen beharrten sie auf der Äquidistanz zu AfD und Linkspartei und zeigten sich überfordert, die Diskussionen in der eigenen Partei überzeugend zu moderieren - und einen Kurswechsel einzuleiten.
Dazu kommt: AKK sitzen die Kandidaten für ihre Nachfolge im Nacken, und bei denen ist auch nur die West-Sicht auf die Vorgänge im Beitrittsgebiet zu finden.
Kann Angela Merkel die CDU aus der verfahrenen Situation retten? Die Kanzlerin hatte nach dem Dammbruch am 5. Februar gefordert, die Wahl eines FDP-Ministerpräsidenten von Gnaden der AfD rückgängig zu machen, und hatte damit Erfolg. Man muss sich mal vorstellen, sie hätte ein Mandat im Thüringer Landtag. Eine Stimme aus den Reihen der CDU dürfte Ramelow schon mal sicher sein.
Matthias Meisner