Ölpreis, Jemenkrieg und der Iran-Konflikt: So sehr bringt Corona den Prinzen in Bedrängnis
Mohammed bin Salman will seine Macht festigen. Doch ein niedriger Ölpreis, Corona und der Jemenkrieg machen dem saudischen Thronfolger zu schaffen.
Ein weltoffenes Land, das als globales Zentrum der Hochtechnologie seine Abhängigkeit vom Öl überwunden hat: Als der heutige saudische Kronprinz Mohammed bin Salman im April 2016 seine „Vision 2030“ für das Königreich vorstellte, setzte er sich ehrgeizige Ziele.
Vier Jahre später fällt die Bilanz ernüchternd aus. Statt eine digitale Zukunft vorzubereiten, schlägt sich MBS, wie der Thronfolger genannt wird, mit dramatischen Haushaltsproblemen wegen des Ölpreisverfalls und der Corona-Pandemie herum. Seine Symbolpolitik zur Verbesserung der Menschenrechtslage und Pläne für den Kauf des britischen Fußballclubs Newcastle United werden von der brutalen Verfolgung seiner Gegner überlagert.
Außenpolitisch hat der 34-Jährige Krisen und Kriege angezettelt, die er nicht wieder in den Griff bekommt.
Das Öl-Desatser
Selbst für das wohlhabende Saudi-Arabien sprengt die „Vision 2030“ jeden finanziellen Rahmen. Allein die geplante Errichtung der neuen Technologie-Stadt „Neom“ am Roten Meer könnte 500 Milliarden Dollar kosten. Das Geld soll unter anderem durch den Börsengang der staatlichen Ölfirma Aramco aufgebracht werden, des reichsten Konzerns der Welt.
Doch an Mega-Investitionen ist vorerst nicht zu denken. Die vom Coronavirus ausgelöste Weltwirtschaftskrise hat die Nachfrage nach Öl kollabieren lassen – und zwar ausgerechnet in einer Zeit, in der sich MBS einen Preiskrieg mit Russland leistete, der auch den Partner USA verärgerte.
Für die saudischen Staatsfinanzen ist das eine Katastrophe. Das Königreich braucht einen Ölpreis von etwa 85 Dollar pro Barrel (159 Liter) für einen ausgeglichenen Haushalt - doch derzeit liegt der Preis bei 23 Dollar. Hinzu kommen Einnahmeausfälle durch die Abschottungsmaßnahmen wegen Corona, die Mekka-Pilger an Reisen nach Saudi-Arabien hindern. Laut Finanzminister Mohammed al Jadaan wird das Land in diesem Jahr bis zu 58 Milliarden Dollar an Krediten aufnehmen müssen.
Eine Vision von Macht
Dem Zeitplan für die Umsetzung der „Vision 2030“ zufolge sollte das erzkonservative Königreich in diesem Jahr dabei sein, eingeleitete Reformen zu verfestigen. Stattdessen erwartet der Internationale Währungsfonds, dass die saudische Wirtschaft im laufenden Jahr um 2,3 Prozent schrumpfen wird. Der Staat hat weniger zu verteilen, die Kernanhängerschaft von MBS in der jungen Bevölkerung – rund 60 Prozent der Saudis sind unter 30 – muss weiter auf die versprochenen Reformen warten.
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Dass die „Vision 2030“ unter bin Salman auch finstere Schattenseiten hat, zeigte sich bereits ein Jahr nach Vorstellung des Reformprogramms im Luxushotel Ritz Carlton in Riad. Der damals frisch ernannte Kronprinz ließ mehrere Hundert Mitglieder der Herrscherfamilie und Geschäftsleute wegen Korruptionsvorwürfen in eben jenem Hotel einsperren.
Die Fünf-Sterne-Internierungen dienten in erster Linie dazu, jeden Widerstand gegen den Machtanspruch des Thronfolgers zu brechen. Damit machte sich MBS im Königsclan unbeliebt. Vor wenigen Wochen sah er sich gezwungen, seinen eigenen Onkel wegen Putschverdachts einzusperren.
Im Jahr 2018 demonstrierte der Prinz zudem, dass er bei der Verfolgung angeblicher Feinde buchstäblich über Leichen geht. Ein saudisches Killerkommando tötete in Istanbul den regimekritischen Journalisten Jamal Khashoggi, in Saudi-Arabien selbst verschwanden regierungskritische Blogger und Frauenrechtlerinnen in den Gefängnissen.
Zugleich machte der Prinz jedoch mit sozialen Reformen weltweit Schlagzeilen. So erlaubte er Frauen das Autofahren, öffnete Kinos und Konzertsäle und nahm der Religionspolizei die Befugnis für Festnahmen. Zuletzt schaffte das Land unter seiner Führung die Prügelstrafe und die Todesstrafe für Minderjährige ab.
Nur: Liberalisierung und Repression gehen Hand in Hand. Mohammed bin Salman will zwar bestimmte Reformen, die zu seiner Vision passen und seine Beliebtheit bei den jungen Saudis steigern sollen. Aber er ist strikt gegen eine freie Zivilgesellschaft, die seine Autokratie infrage stellen könnte.
Düpiert in Nahost
Auch in der Region stößt der oft ungestüm agierende Prinz an seine machtpolitischen Grenzen. Besonders deutlich wird das im Jemenkrieg. Vor fünf Jahren schmiedete MBS eine Allianz und startete mit ihr eine große Militäroffensive gegen die Milizen der Huthis. Gestützt vor allem auf die saudische Luftwaffe sollte der Vormarsch der schiitischen Aufständischen gestoppt und der de facto gestürzten Regierung um Präsident Abed Rabbo Mansur Hadi wieder ins Amt verholfen werden.
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„Sturm der Entschlossenheit“ wurde die Operation getauft. Der Prinz versprach damals seinem patriotisch gestimmten Volk einen schnellen Sieg. Doch daraus wurde nichts. Die Huthis - gestützt auf den Iran - weiten ihren Einfluss aus, greifen sogar mit Drohnen und Raketen die Golfmonarchie direkt an. Zum Ansehen des Thronfolgers, der sich als oberster Beschützer seines Volkes sieht, trägt dies nicht gerade bei.
Auch fügt der Krieg dem Renommee des Königshauses großen Schaden zu. Denn die Intervention im Jemen hat Tausenden Zivilisten das Leben gekostet, Millionen zu Flüchtlingen und Hungernden gemacht, das Armenhaus der arabischen Welt in eine Trümmerlandschaft verwandelt.
Dass der Krieg mit militärischen Mitteln nicht zu gewinnen und die Intervention damit gescheitert ist, dürfte bin Salman längst klar sein. Aber sich einfach zurückziehen kommt für ihn nicht infrage. Zu groß wäre der Gesichtsverlust. Zumal dies hieße, dem Erzfeind Iran das Feld zu überlassen - und das sogar im „Hinterhof“ der Saudis.
Teheran versteht es mit großem Geschick, die saudischen Kontrahenten im Kampf um Einfluss im Nahen Osten vorzuführen. Der Jemen zeigt, wie sehr die Macht des saudischen Könighauses in der Region zu schwinden droht, während die Mullahs immer mehr aufzutrumpfen scheinen.
Dieser Machtverlust bleibt nicht unbemerkt. Katar zum Beispiel zeigt die Schwäche der Golfmonarchie schonungslos auf. Vor drei Jahren sollte das kleine Emirat auf Linie gebracht werden, um es von seinem eigenständigen außenpolitischen Kurs abzubringen. Um das zu erreichen, schlossen die Saudis im Juni 2017 die Grenzen zum Nachbarn und verhängten mit anderen arabischen Staaten eine Blockade gegen das Emirat.
Mehr als ein Dutzend Forderungen sollten die Kataris unter ihrem Herrscher Tamin bin Hamad al Thani erfüllen. Unter anderem drang Saudi-Arabien darauf, dass die Unterstützung für die islamistische Muslimbruderschaft endet, der Sender Al Dschasira und eine türkische Militärbasis geschlossen sowie Beziehungen zum Iran auf ein Mindestmaß reduziert werden.
Nur: Katar denkt gar nicht daran, sich dem Willen Riads zu beugen, das Land trotz erfolgreich dem vermeintlich überlegenen Nachbarn. Für Mohammed bin Salman ist das eine schwere Schlappe. Eine, die dem Prinzen seine Grenzen aufzeigt.