Streit ums schwarze Gold: Rosnefts riskanter Ölpreispoker
Konzernchef Setschin versucht mit hohen Fördermengen, die US-Schieferölproduzenten zu schwächen. Doch seine Strategie könnte Russland selbst schaden.
Der Ölpreis ist jetzt Chefsache: US-Präsident Donald Trump hat sich in den vergangenen Tagen um Vermittlung zwischen Russland und Saudi-Arabien bemüht. Seit Anfang März fechten beide Länder auf dem Weltmarkt einen Fördermengen-Konflikt miteinander aus, der die US-amerikanischen Schieferöl-Unternehmen mit in den Abwärtsstrudel zieht. Das Herunterfahren der Volkswirtschaften weltweit im Zuge der Coronapandemie und das Kräftemessen zwischen Moskau und Riad haben den Ölpreisrückgang in einen rasanten Absturz verwandelt.
Das internationale Ölkartell Opec versucht seit Längerem, den Preisverfall durch eine Begrenzung der Fördermengen zu stoppen und auch das Nicht-Mitglied Russland dafür zu gewinnen. Doch Anfang März verließ der russische Energieminister Alexander Nowak den Verhandlungsort Wien, noch bevor die offiziellen Beratungen überhaupt begonnen hatten. Russland werde seine Produktion steigern, drohte er. Saudi-Arabien zeigte sich empört und bot Europäern und Chinesen – traditionell Handelspartner Russlands – massive Rabatte an.
Dem Affront vorausgegangen war eine Zusammenkunft des russischen Präsident Wladimir Putin mit den Spitzenmanagern der russischen Öl- und Gasindustrie am 1. März. Igor Setschin, der Vorstandschef des größten russischen Produzenten Rosneft, hatte dort nach Informationen russischer Medien seine Position durchgesetzt: Schluss mit der künstlichen Stabilisierung der Ölpreise durch die Beschränkung der Fördermengen.
Diese, so argumentierte Setschin Insider-Berichten zufolge, habe doch bislang vor allem den USA Vorteile gebracht, die ihr teures, per Fracking gewonnenes Öl so auf dem Weltmarkt platzieren konnten. Ein Ruin der Konkurrenten in den USA durch niedrigere Preise müsse auch im Interesse der Saudis liegen. Zudem könne unbeschränkte Förderung auch den Produzenten in Syrien und Libyen den Rückweg auf den Markt ebnen. Der Hintergedanke: Wovon sollten die Kriegsherren dieser Länder ihre russischen Milliardenkredite zurückzahlen, wenn nicht mit Öl-Einnahmen. Russland selbst, so Setschins Annahme, könne einen Ölpreis zwischen 25 und 30 Dollar pro Barrel einige Jahre durchhalten.
Inzwischen ist selbst Putin besorgt
Andere Experten und Ölproduzenten in Russland sahen das schon damals ganz anders als der Rosneft-Chef, wie sich später bei öffentlichen Auftritten herausstellte. Leonid Fedun, Großaktionär und Vizepräsident des Rosneft-Konkurrenten Lukoil, erklärte dem Fernsehsender RBC, ein Ölpreis unter 25 Dollar pro Barrel sei ein „fürchterlicher Albtraum“. Die Entscheidung, sich auf einen Streit mit der Opec einzulassen, sei „in erster Linie ein Schlag gegen die russische Wirtschaft". Durchsetzen konnte er sich offensichtlich nicht. Kein Wunder: Igor Setschin ist einer der ältesten Freunde Putins. Inzwischen zeigt sich allerdings sogar Putin besorgt: „Für unsere Wirtschaft ist das in der Tat eine sehr ernste Herausforderung“, sagte er am Mittwoch bei einer Regierungssitzung. Es seien daher Gespräche mit der Opec nötig.
Setschin , der selten Interviews gibt, sah sich zu einem Auftritt beim Fernsehsender „Rossija 24“ genötigt. Im Studio erschien er mit einer Rosneft-Jacke, als habe er gerade noch die Arbeiten an einem der Bohrtürme beaufsichtigt. Seit Jahren schon ist Setschin bemüht, seinen Konzern als die letzte Insel des gesunden Menschenverstands in einer Welt darzustellen, die immer stärker auf die Gewinnung von teurem Schieferöl setze. Setschin erklärte, er habe „nicht das Gefühl, dass es dramatisch wäre“. Ein normaler Verdrängungswettbewerb sei im Gange. Ende des Jahres werde der Ölpreis wieder bei 60 Dollar stehen – also weit über der Marke, die Russland braucht, um mit den Einnahmen seinen Staatshaushalt zu sichern.
Doch eine Diskussion über die Konkurrenzfähigkeit russischen Öls war da längst im Gange. Die meisten Experten äußern seriöse Zweifel an Setschins Best-Case-Szenario. Das Problem seien nicht die langfristigen Verträge, sondern Russlands Position auf dem Spotmarkt. Dort ist das russische Öl nicht konkurrenzfähig gegen das saudische. Die Gestehungskosten pro Barrel liegen in Russland nach Schätzungen bei 42 Dollar pro Barrel und in Saudi-Arabien nur bei 17 Dollar. Zudem haben die Saudis keinerlei Probleme, Überbrückungskredite zu erhalten, wenn sie Öl unterhalb der Gestehungskosten verkaufen müssten.
Anders Rosneft: Der Konzern hat Schwierigkeiten, vergleichbare Finanzierungen zu bekommen, weil gegen ihn schon vor Jahren wegen der russischen Krim-Annexion Sanktionen verhängt wurden. Für den Ölförderer besteht nur die Chance, dass der russische Staat Steuererleichterungen gewährt oder den Konzern aus dem Staatsfonds für die Nationale Wohlfahrt subventioniert. Letzterer enthält derzeit 124 Milliarden Dollar und ist eigentlich für die Unterstützung der Bevölkerung in Krisenzeiten gedacht. Setschin kämpft schon seit geraumer Zeit darum, dass er wenigstens einen Teil davon für sein Business erhält.
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