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"Lifeline"-Kapitän Claus-Peter Reisch.
© Axel Steier/Mission Lifeline/dpa
Update

Streit um die "Lifeline": Seenotretter kritisieren hartes Vorgehen von EU-Staaten

Hilfsorganisationen befürchten eine Kampagne zur Beendigung der zivilen Seenotrettung. Der Kapitän des Schiffs "Lifeline" darf Malta nicht verlassen.

Der deutsche Kapitän des Flüchtlings-Hilfsschiffes "Lifeline" hat das harte Vorgehen von EU-Staaten gegen zivile Seenotretter scharf kritisiert. "Die EU nimmt das Sterben aus politischen Gründen in Kauf. Das ist widerlich", sagte Claus-Peter Reisch laut einer Erklärung der Dresdner Hilfsorganisation "Mission Lifeline". "Die EU-Politik versucht mit aller Macht, Seenotrettung zu verhindern." Reisch wurde am Montag einem Richter in Malta vorgeführt. "Mission Lifeline" hatte bereits vergangene Woche den Vorwurf des Rechtsbruchs zurückgewiesen.

Nach Informationen des MDR-Magazins "Exakt" darf Reisch Malta vorerst nicht verlassen. Er musste am Montag nach der ersten Anhörung seinen Pass abgeben, berichtete der Sender. Das Verfahren soll demnach am Donnerstag fortgesetzt werden. Sollte der deutsche Kapitän nicht zum neuen Gerichtstermin erscheinen, drohe ein Bußgeld in Höhe von 10.000 Euro.

Zudem hat das Gericht nach Informationen von MDR-"Exakt" beschlossen, das Schiff "Lifeline" vorerst unter die Verwaltung der Justiz zu stellen. Bis auf weiteres dürfe das Schiff nicht auslaufen und nur drei Besatzungsmitglieder dürften an Bord, um dort den technischen Betrieb aufrechtzuhalten.

Grünen-Politiker spricht von Vorverurteilungen

Der Fotograf und Grünen-Poliker Erik Marquardt, der bei der Anhörung des Kapitäns am Montag im Gerichtssaal in Valletta einer der Beobachter war, sagte, die Vorladung von Reisch sei "offensichtlich relativ schnell runtergeschrieben worden". Vorwürfe seien die Registrierung der "Lifeline" im niederländischen Sportbootregister sowie deren angeblich illegales Einlaufen in maltesische Gewässer. "Das sind Detailvorwürfe, aber eigentlich geht es um die große politische Debatte. Der Prozess soll offenbar genutzt werden, um die Kriminalisierung von Seenotrettung voranzutreiben."

Marquardt sprach von einem unseligen Zusammenspiel mehrerer europäischer Politiker, vom italienischen Innenminister und Lega-Chef Matteo Salvini über Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und den maltesischen Premierminister Joseph Muscat bis zu Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz. "Man fragt sich, wo man gelandet ist, wenn Regierungspolitiker zum Beispiel von einem ,Shuttle-Service für Migranten' oder ,Asyl-Tourismus' sprechen und sich so an einer Vorverurteilung von Helfern beteiligen. Es ist unanständig und beschämend, wenn Retter stärker verfolgt werden, als diejenigen, die Menschen im Mittelmeer sterben lassen."

Namentlich der Bundesregierung warf Marquardt "rechtspopulistische Propaganda" vor. "Ich erwarte, dass SPD und CDU nicht einfach die von einer aggressiven Stimmung gegen Flüchtlinge geprägten Ergebnisse eines EU-Gipfels mittragen", sagte der Grünen-Politiker. Der "irre Innenminister" Seehofer treibe die Bundesregierung und halb Europa vor sich her. "Angela Merkel wurde als mächtigste Frau der Welt beschrieben. Aber Einfluss auf die CSU-Wahlkampagne zur bayerischen Landtagswahl nimmt sie nicht."

Auch Schiff von "Sea-Watch" wird festgehalten

Derweil berichtete die Flüchtlingsrettungsorganisation "Sea-Watch" am Montag, ihr Schiff werde "ohne jegliche Rechtsgrundlage der Behörden" in Malta festgehalten. Die "Sea-Watch 3" sei nicht wie beispielsweise die "Lifeline" im Sportbootregister eingetragen, sondern im königlichen Schiffsregister als niederländisches Seeschiff registriert, das voll berechtigt sei, die niederländische Flagge zu führen. "Dadurch erweist sich die fehlende Erlaubnis, von Malta auszulaufen, nicht als eine Frage der Registrierung, sondern als eine politische Offensive zur Beendigung der zivilen Rettung auf See."

Während die Rettungskräfte im Hafen blockiert würden, seien die vergangenen Tage zu den tödlichsten in diesem Jahr geworden. Am Sonntag meldete das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR weitere 63 Vermisste, am Freitag waren mehr als 100 Menschen ertrunken, darunter Babys und Kinder. Im Moment gibt es laut "Sea Watch" im Einsatzgebiet keine geeigneten Schiffe mehr, obwohl die "Sea-Watch 3" gut ausgerüstet und einsatzbereit sei. "Sea-Watch" forderte die maltesische Regierung nachdrücklich auf, die Behinderung von Rettungskräften einzustellen, da Menschenleben akut gefährdet seien.

"Das Sterben im Mittelmeer geht weiter"

Im Fall der "Lifeline" werfen die Behörden den Flüchtlingshelfern vor, sich bei der Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer behördlichen Anweisungen widersetzt und gegen internationales Recht verstoßen zu haben. Seit Anlaufen des Schiffs in Malta war der 57-jährige Kapitän Reisch mehrfach von der Polizei vernommen worden. Er befindet sich auf freiem Fuß. Die Bundesregierung bot dem Kapitän konsularische Hilfe an.

Rettungsschiff "Lifeline".
Rettungsschiff "Lifeline".
© epd

"Das Sterben im Mittelmeer geht weiter, während wir festsitzen", sagte Reisch. "Was ist das für eine Welt, in der die Retter zu Tätern gemacht werden? Was ist das für eine Welt, in der stärker gegen das Retten als gegen das Sterben vorgegangen wird?"

Reisch kritisierte auch die maltesische Justiz und erhob schwere Vorwürfe gegen die libysche Küstenwache. "Ich stehe hier vor Gericht, aber warum steht hier nicht die libysche Küstenwache?", fragte der "Lifeline"-Kapitän. Die Küstenwache Libyens habe seine Besatzung und ihn "noch vor kurzem mit dem Tod bedroht". Bei "Rettungen" der Küstenwache würden regelmäßig Migranten sterben.

Zugleich kündigte Reisch an, mit der Justiz zu kooperieren. "Ich stehe hier bei Gericht gern zu allen Fragen Rede und Antwort und werde dazu beitragen, alle Fragen aufzuklären." Er sei sich jedoch "keiner Schuld bewusst". Er sei seiner Crew "dankbar", dass die Rettung von 234 Flüchtlingen gelungen sei.

Linksfraktion kritisiert Kriminalisierung der Rettungsorganisationen

Die Linksfraktion im Bundestag kritisierte eine Kriminalisierung der Seenotrettungsmissionen. "Die Bilanz der vergangenen Tage ist wirklich zynisch: Anstatt den Kapitän des Schiffes ,Lifeline' vor den willkürlichen Übergriffen der maltesischen Behörden zu schützen, wird er wie ein Krimineller behandelt", sagte ihr Abgeordneter Michel Brandt. Reisch müsse sich vor Gericht gegen Anschuldigungen verteidigen, die an den Haaren herbeigezogenen seien. Ohne jegliche Rechtsgrundlage werde zudem das Schiff "Sea Watch 3" daran gehindert, den Hafen zu verlassen. "Das gezielte Ausschalten von zivilen Seenotrettungsmissionen ist politisches Kalkül der europäischen Abschottungsbestrebungen und stellt eine dreiste Verletzung des See- und Menschenrechts dar", erklärte Brandt. Er sagte weiter: "Die Bundesregierung stellt die Festung Europa vor internationale Menschenrechte."

Spendenaktion von Jan Böhmermann

"Mission Lifeline" erhält inzwischen auch Unterstützung von Fernsehmoderator Jan Böhmermann. Der Satiriker initiierte eine Online-Spendenaktion, an der sich bis zum Montag mehr als 4000 Personen beteiligten haben. Über die Internetplattform Leetchi kamen bis dahin bereits mehr als 88.000 Euro zusammen. Die Aktion läuft noch sieben Tage. Mit dem Erlös soll sich die Besatzung der in Malta festgesetzten „Lifeline“ rechtlichen Beistand sichern können.

Auf der Plattform sowie in einem Youtube-Video kommentierte Böhmermann seine Spendenaktion: "Ich mach's mal kurz und unkompliziert: Der Besatzung der "Lifeline", die zur Zeit auf Malta festsitzt, wurden rechtliche Konsequenzen angedroht, dafür, dass sie 230 Menschen das Leben gerettet hat." (mit AFP/epd)

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