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Ex-Außenminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel.
© picture alliance / Michael Kappe

Sigmar Gabriel zur Flüchtlingsdebatte: Es herrscht das schlichte Gefühl der Überforderung

Die Flüchtlingszuwanderung bleibt ein zentrales Problem. Das hat Horst Seehofer gespürt. Aber seine Methoden dürfen nicht ungestraft bleiben. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Sigmar Gabriel

Horst Seehofer und die CSU haben überzogen, sich verrannt und sich überschätzt. Die deutsche Kanzlerin zu erpressen und Deutschland in Geiselhaft für die eigenen Rachegelüste und parteipolitischen Ziele zu nehmen, durfte nicht ungestraft bleiben. Zur Wahrheit gehört aber auch: die Probleme mit der Flüchtlingszuwanderung sind durch das Spektakel der letzten Wochen nicht verschwunden. Es bleibt ein zentrales Problem, das Horst Seehofer gespürt hat, für das er aber völlig untaugliche Methoden nutzen wollte.

Denn für Angela Merkels CDU und auch für die SPD gilt: Die politische Klasse bewegt sich auf einer akademisch-differenzierten Ebene, bei der sie hinter der gesellschaftliche Akzeptanzkante und der Angst vor unkontrollierter Zuwanderung hinterher eilt, denn die Welle des Missvergnügens ist in großen Teilen schon weiter. Auch bei denen, die mit großem Engagement 2015 und 2016 Flüchtlingen geholfen haben.

Die Gesellschaft hat sich nach drei Jahren Flüchtlingsdebatte mental wund gescheuert. Und wir reden hier im Sommer der Entscheidung über geschätzt wirklich nur 180.000 bis 200.000 Menschen, die zu uns kommen werden, also weit weniger als in den Jahren zuvor. Aber das Gefühl der Mehrheit der Menschen in Deutschland ist einfach: „Es reicht jetzt erst einmal. Lasst uns die, die da sind, erst einmal integrieren. Dann sehen wir weiter.“

Daran ist nichts Abweisendes, Bösartiges oder Herzloses. Es ist das schlichte Gefühl der Überforderung - vor allem mental. Das Asylrecht kennt keine Obergrenze, die Aufnahmefähigkeit der Menschen schon. Es gibt einen Gezeitenwechsel in ganz Europa in der Flüchtlingspolitik.

Es geht jetzt um die schwierige Aufgabe zu unterscheiden, wen wir aufnehmen und wen wir zurückweisen an Europas Grenzen. Das ist etwas völlig anderes als 2015 als wir jede Zurückweisung für inhuman gehalten haben. Erst wenn wir uns öffentlich zu dieser völlig veränderten Politik bekennen ohne Schaum vor dem Mund und ohne Regierungskrisen zu provozieren,  werden wir wieder vor die Welle kommen.

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